Allen Vorurteilen zum Trotz: „Reli ist unverzichtbar“
Clemens Weißenberger ist Schulseelsorger in Frankfurt- Höchst.„Der Sonntag“ konfrontierte den Pastoralreferenten (45) mit gängigen Vorurteilen über den Religionsunterricht. Vorurteil. Glauben kann man sowieso nicht lernen:
Weißenberger: Stimmt. Auf der einen Seite. Denn der Glaube kommt vom Hören, da muss mir jemand erzählen, dass es Gott gibt. Dass er mich liebt. Dass er in Jesus unter uns Menschen lebte. Und dass er auch mit meinem Leben zu tun hat. Auf der anderen Seite geht es dann darum, jeweils altersgemäß auch „Glaubenswissen“ zu vermitteln: Welche biblischen Männer und Frauen was mit Gott erlebt haben, warum es eine Trennung zwischen Katholisch und Evangelisch gibt oder wie die Bibel entstanden ist. Auch wenn ich vielleicht nicht glaube.
Jesus kommt im Reli-Unterricht sowieso nicht vor:
Es geht in der Bibel um die Erlebnisse, die Menschen mit Gott hatten und haben. Und was die Schülerinnen und Schüler heute mit Gott erfahren, wie sie ihren Glauben er-leben. Diese Begebenheiten werden in Zusammenhang mit den Erzählungen von Jesus gebracht – das sieht der Lehrplan so vor. Und deswegen kommt Jesus eigentlich in jeder Reli-Stunde vor.
Reli ist langweilig:
Tja, das kann ich genauso von jedem anderen Unterricht sagen, wenn ich das Fach nicht mag. Ich habe aber in Reli die Freiheit und sogar die Vorgabe, die Schülerinnen und Schüler in Beziehung zu Gott und dem Glauben zu bringen, aufzuzeigen, wie Glauben und Leben miteinander zu tun haben. Wenn jemand aus der Familie krank ist. Wenn Eltern sich scheiden lassen. Wenn ein Terror-Anschlag war und unschuldige Opfer zu beklagen sind. Dann kann ich das in Reli besprechen. Das kann ich aber nicht in Mathe, in Sport oder einem anderen Fach. Wenn das mal nicht spannend ist...
Reli ist ein Laberfach:
Ich muss in Reli erzählen können. Und Dinge in Zusammenhang bringen und im Zusammenhang sehen. Ich muss für Reli logisch denken können. Reli braucht als Grundlage Schüler sowie Lehrer, die miteinander reden und reden können. Und die auch über alle Themen miteinander sprechen dürfen und sollen. Aber nicht das Fach stiftet zum Labern an. Das liegt – wenn schon – an den Schülern, manchmal vielleicht sogar auch an den Lehrern. Wer in Reli labert, der labert auch in Deutsch, Geschichte und Powi.
In Reli kriegt man gute Noten:
Wer sich gut beteiligt, bekommt gute Noten. Wer sich schlecht beteiligt, bekommt schlechte Noten. So einfach ist das. Und nur für das Herumsitzen im Klassenzimmer hat bei mir noch niemand eine Eins bekommen. Schließlich ist die Note für die Leistung in Religion versetzungsrelevant. Und ich würde mir als Lehrer den Teppich selbst unter den Füßen wegziehen, wenn ich allen nur deswegen eine gute Note geben würde, nur weil sie bei mir im Unterricht sind.
Da glaubt der Lehrer selbst nicht dran:
Sollte es tatsächlich einmal so sein, dass ein Lehrer selbst solche Probleme mit seinem Glauben hat, dass er meint, nicht mehr Religion unterrichten zu können, dann kann er sich von der Verpflichtung entbinden lassen. Das geht in keinem anderen Fach. Und deswegen bin ich der festen Überzeugung, dass alle Reli-Lehrer ihr Fach mit Überzeugung unterrichten. Und dann auch deswegen selbst glauben.
Da guckt man nur Filme:
Ich schaue immer dann Filme, wenn es zum Thema passt. Das machen aber auch die Kolleginnen und Kollegen in Deutsch, Geschichte, Biologie und in anderen Fächern. Ich versuche, meinen Unterricht abwechslungsreich zu gestalten.
Das bringt mich nicht weiter:
Ich frage nach jedem Schuljahr meine Schülerinnen und Schüler, was sie gelernt haben. Und dabei lese ich unter anderem immer wieder auf den Auswertungszetteln: Die Themen, die ich in Reli behandelt habe, haben mir bei der Beantwortung dieser oder jener Frage geholfen. Das sind meist sehr persönliche Dinge. Trennung der Eltern, der Tod eines Freundes oder nahen Angehörigen. Dinge, von denen die Kinder ansonsten in der Schule nichts erzählen. Wo sie Fragen haben – und im Reli-Unterricht die Antworten bekommen. Auch wenn wir Lehrer das nicht immer zu sehen oder hören bekommen.
Ich ginge nur dahin, wenn mein Freund Murat auch da wäre:
Murat darf gerne zum Religionsunterricht kommen. Wenn Murat muslimisch ist und er daran teilnehmen will, müssen seine Eltern den Antrag an die Schulleitung stellen. Ich kenne eine Menge Muslime, die im Reli-Unterricht sind und waren. Und das sind Schülerinnen und Schüler, die den Unterricht bereichern.
Ich lass mir doch von denen nichts sagen!
Aber hallo! Genau das ist meine Aussage. Denn ich bin der Reli- Fachmann, genauso wie mein Kollege in Latein sich prima bei Vokabeln und Grammatik auskennt. Da sagt ja auch niemand: Von dem lasse ich mir nichts sagen. Was aber stimmt, ist, dass Schülerinnen und Schüler in kaum einem anderen Fach dazu angehalten werden sollen, über sich, die Welt und den Glauben nachzudenken und sich eine eigene, fundierte und gesicherte Meinung zu bilden. Das ist auch Aufgabe von Schule, besonders eben auch vom Reli-Unterricht. Und deswegen habe ich auch was zu sagen!
Ein Vorurteil, das Sie als Lehrer hören. Auf Reli kann doch verzichtet werden:
Der Direktor am Gymnasium, an dem ich Abiturprüfungen leite, sagte einmal: „Ich gehe besonders gerne in Reli-Prüfungen. Was ich da erfahre, ist, dass sich die jungen Menschen echte Gedanken um sich und ihr Leben gemacht haben, und das erlebe ich in keinem anderen Fach.“ Und der hat mir auch gesagt, wenn es mal zu in der Öffentlichkeit diskutierten Themen kam, wie etwa die Anschläge am 11. September: „Da erwarte ich, dass das in Religion behandelt wird.“ Und wer meine Erfahrungen objektiv zur Kenntnis nimmt, mit denen ich auf die Vorurteile geantwortet habe, kommt zum Schluss: Reli wird auch weiter in der Schule unverzichtbar sein!