Was kann eine weibliche Führungskraft von Mose lernen? Antworten einer Äbtissin
Von Anja Weiffen
Mose – ein Mann. Und doch auch eine Person, mit der sich Frauen identifizieren können. Vor allem dann, wenn sie wie Mose in einer Führungsrolle sind. So wie Äbtissin Elisa-beth Kralemann, die im Klos-ter Engelthal bei Altenstadt 24 Benediktinerinnen vorsteht. Die Kirchenzeitung hat mir ihr über Mose gesprochen.
Faszinierend findet ihn Äbtissin Elisabeth Kralemann. „Mose wird in der Bibel als Mensch dargestellt. Einer, der mit seiner von Gott gegebenen Aufgabe ringt.“ Besonders liebt sie die Passage vom brennenden Dornbusch – die Berufung. Zuvor habe der Hirte Mose ein selbstbestimmtes Leben geführt, „dann verändert er sich, nicht aus einem eigenen Impuls heraus, sondern durch das Hören auf Gott“. Sie erinnert daran, dass Mose einen Ägypter erschlug und deswegen floh (Exodus 2, 11-14). Ein Mensch mit Fehlern. Und auch mit Schwächen, „zu denen er steht“, sagt Kralemann. Mose kann nicht gut reden. Das überlässt er seinem Bruder Aaron. „Nicht versuchen, jemand zu sein, der man gar nicht ist“, schließt die Äbtissin daraus als Maßstab für eine Führungskraft.
Mose vereint Eigenschaften, die für Männer und Frauen gleichermaßen erstrebenswert sind. „Da ist diese Klarheit und Entschiedenheit, mit der Mose handelt; beispielsweise als die Israeliten in der Wüste plötzlich ein Goldenes Kalb verehren.“ Das Buch Exodus 32, 19-20 erzählt, dass Mose wütend wurde. Und „dann packte er das Kalb, das sie gemacht hatten, verbrannte es im Feuer und zerstampfte es zu Staub. Den Staub streute er ins Wasser und gab es den Israeliten zu trinken“. Mose greift in dieser Situation entschieden durch. „Eine Eigenschaft, die uns Frauen nicht unbedingt auf den Leib geschneidert ist“, sagt die Äbtissin.
Aber Mose erweist sich auch als sehr anpassungsfähig, „was eher als weibliche Qualität gilt“, sagt die Benediktinerin. Mose geht immer wieder auf die Nöte und das Murren seines Volkes in der Wüste ein. „Das ist eine schwierige Situation für ihn“, sagt Kralemann. Doch durch das Eingehen auf die verschiedenen Bedürfnisse nimmt Mose alle mit auf den gemeinsamen Weg ins gelobte Land. Besonders diese Mittlerrolle kann die Äbtissin nachvollziehen. „Mose war es, der das Volk einte und dafür sorgte, dass bei den Israeliten ein Wir-Gefühl entstand.“ Sie sieht Parallelen zur klösterlichen Gemeinschaft, in der sie zwischen der jüngeren und der älteren Generation vermitteln muss. „Die Älteren bedürfen besonderer Sorge und Zuwendung. Doch bei uns sind die Jüngeren in der Minderheit. Das bedeutet, dass ich mich dafür einsetze, dass diese auch zum Zuge kommen“, berichtet sie.
Um Menschen zu einen, braucht es etwas Verbindendes. „Das ist für uns zum Beispiel die Gründungssituation in Engelthal. Wir sind gerufen worden an diesen Ort. Wir haben hier eine gemeinsame Tradition und eine Liebe zu diesem Ort. Das verbindet uns.“ Zur Einheit braucht es Visionen, weiß die Äbtissin und deutet auf das gelobte Land hin, das die Israeliten vor Augen hatten. „Solche Visionen muss eine Führungsperson immer wieder ins Wort bringen und erneuern“, betont sie. Für sie als Benediktinerin heißt das unter anderem, die Regel des Benedikt in die Gegenwart zu übersetzen. Es gibt viele Parallelen zwischen Mose und Benedikt, berichtet die Äbtissin. Benedikt werde in der Literatur wie ein zweiter Mose geschildert. So könne man auch die Benediktregel analog zu den Zehn Geboten verstehen.
Wichtig für eine Führungsperson in der Kirche sei es ebenso, der Gemeinschaft im Geist nahezustehen. Auch in diesem Punkt habe Mose Vorbildfunktion. Beim Kampf der Israeliten gegen Amalek (Exodus 17, 8-16) habe Mose auf einem Hügel gestanden und mit erhobenen Armen seinem Volk beigestanden. Für die Äbtissin bedeutet dies „Beten für die Gemeinschaft und für jeden Einzelnen“. Den Weg auf den Hügel interpretiert die Ordensfrau als Herausgehen aus dem Alltag. Wer führt, braucht auch mal Abstand. „Ich kann mir Mose so vorstellen, dass er ab und zu vom Volk wegging, um neue Kraft zu schöpfen“, sagt Kralemann. Auch sie brauche diese „stille Zeit“ regelmäßig: die frühmorgendliche Gebetszeit und den Rundgang auf dem Klostergelände. Dann ruft sie sich stets ins Bewusstsein, was die christliche Gemeinschaft aufgebaut hat, und fragt sich: „Wozu sind wir angetreten?“