Die Kirchenzeitungen für die Bistümer Fulda, Limburg und Mainz
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Dornbusch: Verheissung

Auf allen Vieren in die Freiheit

Dr. Berthold Steinberg ist zufrieden und dankbar, wie sich sein Leben entwickelt hat. Foto: Christa Kaddar

„Mit Gottes Hilfe“: Dr. Berthold Steinberg wagte als junger Mann den Aufbruch in ein neues Leben

Von Christa Kaddar

Mit Glück und viel Gottvertrauen. So hat Bernhard Steinberg sein Leben gemeistert. Heute lebt er in Winkel im Rheingau. Wie er dorthin kam, ist die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht durch einen Tunnel von Ost- nach West-Berlin.

„Eigentlich wollten meine Frau und ich Anfang Februar nach Ägypten reisen. Wir haben Glück gehabt, dass die Unruhen schon anfingen, bevor wir die Reise angetreten hatten“, erzählt Berthold Steinberg, 71. Glück hat er mehr als einmal im Leben gehabt, und vor allem Gottvertrauen, sonst hätte er sich nicht auf die Flucht von Ost- nach West-Berlin eingelassen. Das Gottvertrauen konnte gedeihen in der Geborgenheit der Familie im Kreisstädtchen Worbis im Eichsfeld, einer katholischen „Insel“ in der religionsfeindlichen DDR. „Dieser katholische Glaube wurde im Dritten Reich und in der DDR-Zeit praktiziert. Das war den Stasi-Leuten ein Dorn im Auge, aber so ein bisschen haben sie auch einen Bogen um das Eichsfeld gemacht.“

Berthold Steinberg hat seine Kindheit als sehr glückliche Zeit in Erinnerung. Erste Probleme gab es, als er auf das Abitur zuging. „Ein Offizier der NVA, der Nationalen Volksarmee, kam in unsere Schule, um uns über die militärische Laufbahn zu informieren. Damals, 1958, gab es noch keine Wehrpflicht, die Armee war freiwillig.“ Diese „Freiwilligkeit“ bekam Berthold Steinberg in besonderer Weise zu spüren. Weil er sehr gut in Sport war, wollte die NVA ihn haben. „Entweder Sie melden sich freiwillig zur NVA, oder Sie bestehen das Abitur nicht“, drohte man ihm.

Hilfe nahte durch eine Lehrerin, die seine Eltern von der Kirche her kannten. Dank ihrer Beziehungen beurteilten ihn zwei Amtsärzte als dienstuntauglich. Er bestand sein Abitur, durfte aber nicht Gartenarchitektur studieren, sondern musste Landwirtschaft wählen. Das erste Jahr des Studiums fand in einer LPG, einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, in Sachsen statt. „Als der Betreuer unserer Gruppe sah, dass ich in die Kirche ging, sah er schwarz für mich.“ Berthold Steinberg war jedoch nicht bereit, seinen Glauben zu verleugnen.

„Hatte Gott mich nicht beschützt?“

Im August 1962 unternahm er gemeinsam mit einem Freund einen Fluchtversuch, der jedoch misslang. „Zwei Lkw wurden von der Polizei herausgewunken. Wir waren auf dem dritten Lkw, und der Fahrer brach den Fluchtversuch ab.“ Berthold Steinberg schlug sich die Flucht nicht aus dem Kopf. Sonja, eine Freundin, der die Flucht gelungen war, arbeitete von West-Berlin aus daran, ihn herauszuholen. Als ihn am 11. September 1962 eine unbekannte Studentin aufsuchte, um ihm eine Fluchtmöglichkeit anzukündigen, war er misstrauisch. War es eine Falle? Er verlangte von ihr, dass sie ihm ein Zeichen von Sonja mitbringe, was sie am nächsten Tag tat. Am 14. September sollte es losgehen. Die Studentin nannte ihm den minutiös geplanten Ablauf. „Als ich mich dann auf den Weg zu Jordans Bierstube in der Fehrbelliner Straße machte, war ich hochgradig nervös. Aber ich hatte keine andere Wahl.“

Um 17.15 Uhr betrat er die Bierstube, wo er warten sollte, bis eine rothaarige junge Dame eintrat. „Während ich wartete, zog mein Leben an mir vorbei. Meine Zukunft war ungewiss: Freiheit oder Gefängnis? Mein Gottvertrauen hatte ich nicht verloren. Hatte Gott mich nicht beschützt, als er den dritten Lastwagen davonkommen ließ?“ Die junge Dame kam um 18.40 Uhr, hatte die Zeitung in der Hand und bestellte, wie verabredet, einen Kaffee. „Eigentlich sollte ich noch eine Viertelstunde warten, aber so aufgeregt, wie ich war, ging ich sofort los.“ Gegenüber in der Bernauer Straße auf der West-Berliner Seite hing die verabredete weiße Bettdecke auf dem Balkon. Das bedeutete: Alles klar. Als er das Haus in der Schönholzer Straße 7 betrat, in dessen Flur er die Handwerker mit einem bestimmten Ausspruch begrüßen sollte, war keiner da. Ein Mann tauchte auf, nahm ihn mit in den Keller, wo Studenten an diesem Morgen den Tunneldurchbruch gegraben hatten. „Ich robbte vorwärts, kroch auf allen Vieren durch Matsch und kaltes Wasser. Kurioserweise fühlte ich keine Angst mehr. Bevor ich am anderen Ende in West-Berlin rauskroch, las ich auf einem Schild: „Sie verlassen den demokratischen Sektor von Groß-Berlin.“ Noch heute kommen ihm die Tränen, wenn er sich an den Moment erinnert, als ihm klar wurde: „Ich habe es geschafft!“. Völlig verschmutzt und in sich gekehrt dankte er Gott und seinen Helfern.

Verliebt in den Weinbau und eine junge Geisenheimerin

In Berlin-Marienfelde musste er sich anmelden und einige Formalitäten über sich ergehen lassen, bevor er zu seiner Tante nach Geisenheim im Rheingau weiterreiste. Dort lebte auch sein älterer Bruder, der die DDR vor dem Mauerbau verlassen hatte. „Ich habe ein paar Monate auf Schloss Johannisberg gearbeitet, dadurch gefiel mir der Weinbau.“ Als er sich in eine junge Geisenheimerin, seine spätere Ehefrau, verliebte, die in Gießen Pädagogik studierte, entschloss er sich, dort sein Landwirtschaftsstudium abzuschließen. „Als die Forschungsanstalt in Geisenheim einen Doktoranden suchte, habe ich in Weinbau promoviert.“ Auf dem Gebiet wurde er Experte, wissenschaftlicher Direktor und Honorarprofessor. Seit 1973 lebt er in Winkel, wo er und seine Frau sich in der Pfarrgemeinde engagieren.

„Ich bin sehr zufrieden, wie alles gelaufen ist“, sagt er heute. „Ich habe den Beruf gefunden, der mir Freude bereitet hat. Mir gefällt es im Rheingau – die Landschaft, der Menschenschlag, die Familie, die Freunde und das kirchliche Umfeld. Schwierigkeiten, die mir begegnet sind, konnte ich mit Gottes Hilfe meistern.“

Buchtipp: Ellen Sesta: „Der Tunnel in die Freiheit. Berlin, Bernauer Strasse“, Ullstein, zur Zeit nur gebraucht erhältlich

„Psychologisch fein gesponnen“

Privatdozent Dr. Ralf Rothenbusch Foto: Anja Weiffen

Eine Pflanze mit literarischer Funktion: Wie ein Experte des Alten Testaments den brennenden Dornbusch deutet

Von Anja Weiffen

Eine Zeitlang dachten Forscher, dass es ihn gibt, den brennenden Dornbusch der Bibel. Eine „Gaspflanze“ könne Mose gesehen haben. Wohl kaum, sagt Dr. Ralf Rothenbusch von der Bistumsakademie in Mainz. Der Theologe erklärt, dass hinter dem Motiv etwas anderes steckt:

Großes Interesse erfuhr das 1955 veröffentlichte Buch „Und die Bibel hat doch recht“, das in einer Auflage von mehreren Millionen erschien. Unter anderem wurden darin Naturwissenschaftler herangezogen, die meinten, eine historische Erklärung für den brennenden Dornbusch gefunden zu haben. Eine ihrer Theorien: ein Kraut, das mit winzigen Öldrüsen bedeckt ist und dessen ätherische Ausdünstungen durch den Kontakt „mit offenem Licht plötzlich aufflammen“ können.

Anderer Meinung ist Ralf Rothenbusch, Privatdozent für Altes Testament und Studienleiter der Akademie des Mainzer Bistums Erbacher Hof. Er erklärt die Passage des Buchs Exodus aus theologischer und literaturwissenschaftlicher Sicht: „Liest man den ganzen Text, ist erkennbar, dass eine solche Deutung keinen Sinn ergibt“, begründet er. „Die Geschichte ist für Menschen erzählt worden, die die Welt des Mose kannten.“ Der Text sagt deutlich, dass Mose überrascht ist und eine „außergewöhnliche Erscheinung“ sieht. „Eine naturalistische Deutung nähme der Geschichte die Pointe.“ Rothenbusch sieht im brennenden Dornbusch vor allem ein erzählerisches Element, das für den Verlauf der Geschichte eine Rolle spielt.

Mose wird in Exodus 3, 1-2 als „normaler Kleinviehhirte“ beschrieben, der seine Arbeit tut. Eine erste vage Andeutung, dass Mose offen ist für anderes, sieht der Bibelexperte in der Passage: „Eines Tages trieb er das Vieh über die Steppe hinaus“, die noch zum gewöhnlichen Lebensbereich der Hirten gehört. Die darauf folgende Erscheinung des brennenden Dornbuschs ist für Rothenbusch so etwas wie Gottes „Wink mit dem Zaunpfahl.“ Ein Blickfang Jahwes, um die Aufmerksamkeit des Hirten zu erhaschen.

„Und Mose geht in seiner Offenheit und zunächst gar nicht reli-giösen Neugierde darauf ein“, erläutert der Theologe. Die Bibelstelle bedeutet einen Einschnitt, mit dem die Berufung des Mose eingeleitet wird. „Es ist die Szenerie einer besonderen Situation.“ Für den Bibelwissenschaftler keine platte Wundererzählung, sondern eine psychologisch fein gesponnene Einleitung zu einem Dialog zwischen Gott und Mose, „dem längs-ten zwischen Gott und Mensch in der Bibel. Ein Gespräch, das über zwei Kapitel geht“.

Die Offenheit des Hirten sei wichtig dafür, dass dieser berufen wird. Mose wird von Gott nicht als willenlose Figur in Besitz genommen. Dieser lenkt die Aufmerksamkeit des Mose auf subtile Weise vom Pfad ab – Schritt für Schritt. „Gott schaut erst einmal, was passiert“, begründet Rothenbusch und zitiert aus Exodus 3, 4: „Als der Herr sah, dass Mose abbog, um zu gucken, rief Gott ihm aus dem Dornbusch zu: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich.“ Mit der Berufung des Mose kommt die Wende in der Rettungsgeschichte des Exodus.

Hinter diesem Text steht vermutlich eine ältere Überlieferung. Etwa sei im Satz: „Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden“ ein Element aus einer Heiligtumslegende erkennbar. Der Verfasser bedient sich einer seinem Publikum schon bekannten Erzählung, um wiederum eine Geschichte zu erzählen.

Wichtig sei, dass Hintergrundwissen den Leser bereichert und nicht den persönlichen Zugang zum Text als solchem nimmt. Man lasse sich oft allein vom Informationsgehalt eines Bibeltextes leiten. „Das verstellt den eigentlichen Inhalt“, sagt Rothenbusch. Es sei lohnend, eine Passage genauer zu lesen, Texte als Literatur wahrzunehmen und ewas über ihre Zusammenhänge zu erfahren.

Im wörtlichen Verständnis muss sich die Bedeutung von Exodus 3 nicht erschöpfen. Der Theologe erwähnt eine jüdische Deutung: „Der Dornbusch als Zeichen für das Mitleiden Gottes mit dem Volk.“ Jahwe steigt herab vom Berg und erscheint in einem Gehölz, das als eines der gerings-ten gilt – so trocken, dass es brennt, und mit Dornen. Der Busch: auch Symbol des Widerstands. So heißt es in einer jüdischen Auslegung: „Wie der Dornbusch im Feuer brennt und nicht verzehrt wird, so werden die Ägypter die Israeliten nicht aufreiben können.“

Zitiert

Der Ich-bin-da

„Eines Tages trieb Mose das Vieh über die Steppe hinaus und kam zum Gottesberg Horeb. Dort erschien ihm der Engel des Herrn in einer Flamme, die aus einem Dornbusch emporschlug. Er schaute hin: Da brannte der Dornbusch und verbrannte doch nicht. (…) Als der Herr sah, dass Mose näher kam, um sich das anzusehen, rief Gott ihm aus dem Dornbusch zu: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Der Herr sagte: Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden.

Dann fuhr er fort: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Da verhüllte Mose sein Gesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.

Der Herr sprach: (…) Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus! (…)

Da sagte Mose zu Gott: Gut, ich werde also zu den Israeliten kommen und ihnen sagen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt. Da werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen darauf sagen?

Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin der ,Ich-bin-da‘. Und er fuhr fort: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der ,Ich-bin-da‘ hat mich zu euch gesandt.“
Exodus 3, 2-14

Stichwort

Gottesnamen

Gott ist Gott. Er ist einer. Es gibt nur ihn. Da braucht er keinen Namen, der ihn unterscheidet.

So sehen wir das heute. Doch in biblischen Tagen lebt das Volk Israel in einer Umwelt, die viele Götter kennt. „Sie werden mich fragen: Wie heißt er?“ Mose will wissen, welcher Gott ihn schickt. „Sag ihnen: Der Ich-bin-da.“ Hebräisch: JHWH.

Weil die Sprache nur Konso-nanten kennt, keine Vokale, überliefern spätere Zeiten die Aussprache für den Gottesnamen verschieden: Jahwe, Jehova…

Von Anfang an sind die Israeliten aber scheu, den Namen Gottes auszusprechen. So sprechen sie von „Adonaj“ (wörtlich: meine Herrschaften). In der Folge wird zur Gewissheit, dass es nur einen Gott gibt, sein Name wird unwichtig. Folglich heißt es in der griechischen Übersetzung dann: Kyrios. Herr.

Der Gott Israels erhält in der Bibel viele weitere Namen: El Schaddaj (der Allmächtige), Elohim (in der Schöpfungsgeschichte) oder um die Treue von Anbeginn zu zeigen: Der Gott unserer Väter. (job)