Die Kirchenzeitungen für die Bistümer Fulda, Limburg und Mainz
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Die Mutigen im Roten Meer

Gott ist nicht unbekannt verzogen

Wie groß muss die Not sein, dass man trotz aller Gefahren aufbricht? Wie stark der Mut? Stimmen aus dem Meinungsmeer der Kirche. Alle sind sich einig: Christen müssen aufbrechen, das Ziel ist ein Leben beim Rettergott.

Aber: Die Routenplaner zeigen verschiedene Wege. Tröstlich: Jeder meint, eine Furt zum rettenden Ufer zu kennen.

„Weit gemacht“

Missionarische Kirche nimmt jeden und jede mit

Der Weg, den die Kirche durch die Zeit als pilgerndes Gottesvolk nimmt, ist nie ohne Gefahren und Bedrohungen. Deshalb ist das Wort von Johannes Paul II. – „Habt keine Angst!“ – so aktuell. Kirche, die sich im Auftrag Jesu missionarisch zu verstehen hat, muss alles daran setzen, jede und jeden mitzunehmen, niemanden zurück und allein zu lassen. Das Ringen darum, was die Kirche zu tun hat, damit dies immer besser gelingt, sollte deshalb möglichst ohne Angst geschehen.

In der Einheitsübersetzung wird Psalm 4,2 mit „Du hast mir Raum geschaffen, als mir angst war“ übertragen; der Religionsphilosoph Bernhard Welte übersetzte „da mir eng war, hast du es mir weit gemacht“. Gott ist derjenige, der aus Not und Bedrängnis rettet. Kirche kann nie aus sich selbst heraus retten! Im Zweiten Vaticanum wird von der Kirche gesagt, dass sie das Licht Christi in die Welt spiegelt: Sie empfängt das Licht, damit sie es weitergibt. Und die notwendende Bitte um Rettung, die sich aus Angst und Sorge vor Versagen und Scheitern ergibt, hat eine Adresse. Ich bin ganz, ganz sicher, dass von der Adresse, an die der Beter des Psalms sich wendet, keine Botschaft des Inhalts „Adressat unbekannt verzogen“ kommt.

Bernd Trocholepczy ist Professor für Religionspädagogik an der Goethe-Universität Frankurt und Mitunterzeichner des Theologen-Memorandums „Kirche 2011. Ein notwendiger Aufbruch“.

„Kalbsköpfe“

Das Volk im Aufbruch ist innerlich zerrissen

Im ersten Moment bekomme ich die Bilder nicht zusammen: unsere Kirchenwirklichkeit heute und der Auszug aus Ägypten. Treibt uns Freiheitssehnsucht? Aus welcher Sklaverei? Fühlen wir einen Gott im Rücken und voraus, der unseren Gegnern schlimmste Plagen anhängt, um uns rauszuhauen? Sind nicht eher wir die Geplagten? Findet Auszug gerade nicht eher umgekehrt statt?

Ich merke, dass ich es bei Aufbruchsgeschichten schon immer lieber mit Abraham halte…

Eine Metapher allerdings passt für mich schon: In der inneren Zerrissenheit des aufbrechenden Volkes sehe ich uns durchaus. Einerseits können wir in der alten Wirklichkeit nicht bleiben. Wir müssen aufbrechen, nicht weil wir als Volk zu groß, sondern weil wir zu klein geworden sind für unsere Lebensformen von gestern. Zu große und zu viele Kirchen und zu wenig Leute, die reingehen und zu wenige, die an den Altar dürfen. Aber der Aufbruch zur Kirche von morgen macht dem Volk Angst. Genau da wünsche ich uns den Mut aus der Geschichte vom Roten Meer: Wir kommen durch! Und auch die Wüste, die noch vor uns liegt, sie wird uns nicht vernichten! Allerdings brauchen die Leute ihren Moses! Sonst kommen die Kalbsköpfe nur auf dumme Gedanken. So abhängig allerdings, wie sie von ihrem Moses auch sein mögen, er kann es seinem Volk nie recht machen. Das alles kenne ich aus meinem Bistum!

Stefan Herok ist „Referent für Kommunikation und Partizipation“ bei der Neugründung der Pfarreien im Bistum Limburg.

„Stand der Gnade“

Sich nicht mehr schämen, katholisch zu sein

Die Lage der Kirche ist so bedrohlich, weil offensichtlich viele ihrer Glieder einem falschen Messianismus huldigen, „worin der Mensch sich selbst verherrlicht, statt Gott und seinen im Fleisch gekommenen Messias“ (Weltkatechismus, KKK 675). Somit schwindet das Gnadenleben in den Herzen der Getauften und schleichend erkaltet die Liebe zu Gott und den Menschen.

Zu einem neuen Aufbruch kann die Kirche gelangen, wenn einige den Mut haben, anders zu leben als die Mehrheit ihrer Zeitgenossen; nämlich aus der Kraft der Sakramente und des Wortes Gottes, in lebendiger Beziehung zum dreifaltigen Gott, zu Maria und den Heiligen. Mit dem seligen Papst Johannes Paul II. ist „ein Aufschwung des sittlichen Bewusstseins und christlichen Lebens eng, ja unlöslich an eine Bedingung gebunden: an die Belebung der persönlichen Beichte.“ Dadurch wird der Einzelne wieder in den Stand der Gnade gelangen und wahre Freude erfahren.

Sobald sich Katholiken nicht mehr schämen katholisch zu sein, sondern ihre Menschenfurcht ablegen, um nach Gottesfurcht zu streben, wird die Kirche durch das „letzte Pascha hindurch, worin sie dem Herrn in seinem Tod und seiner Auferstehung folgen wird, in die Herrlichkeit des Reiches eingehen. Das Reich wird also nicht in stetigem Fortschritt durch einen geschichtlichen Triumph der Kirche zustande kommen, sondern durch den Sieg Gottes im Endkampf mit dem Bösen.“ (KKK 677)

Uwe Winkel ist Pfarrer in Geismar, Spahl und Ketten und gehört zum Sprecherkreis im „Netzwerk katholischer Priester“. Da Bündnis sieht sich als „Notwehrgemeinschaft“ für Priester, die wegen ihrer Papsttreue angegriffen werden.

„Nicht anonym“

Wurzelbehandlung

Die katholische Kirche unseres Erfahrungsbereichs ist in einer beklagenswerten Verfassung. Mangel und Rückgang allenthalben. Und dann erlebe ich verzweifelte Rettungsversuche, bei denen der Mangel durch organisatorische Maßnahmen kaschiert wird: überforderte Priester in Großgemeinden; dazu eine zunehmende Anonymisierung, die die aktive Mitarbeit der Gemeindmitglieder spürbar lähmen wird.

Wenn die Kirche überleben, wenn sie eine Zukunft haben will, bedarf sie keiner Schönheitsoperation, sondern einer Wurzelbehandlung. Eine Neubesinnung auf die wichtigsten Aufgaben der Seelsorge ist dringend nötig: die Wahrnehmung der existenziellen Nöte des einzelnen Menschen und ein mitfühlender Beistand; eine Verkündigung, in der ein Gottesbegriff aufleuchtet, den ich denkend nachvollziehen kann mit einem Prediger als meinem Zeitgenossen; lebendige Gottesdienste zu verlässlichen Zeiten, die bei aller Beachtung von Traditionen neue Formen zulassen. Die Verkündigung der christlichen Botschaft und die personennahe Sorge um die Menschen brauchen das Gegenteil von Globalisierung, nämlich die Beheimatung in einer tragenden Gemeinschaft.

Dr. Willi Belz war Schulleiter und ist aktiv in seiner Pfarrei in Bleidenstadt. Belz ist Ehrenvorsitzender von „donum vitae“ in Hessen.

„Nicht Herren“

Keine Angst vor Gesprächen mit den Engagierten

Die Erzählung vom Durchzug durch das Rote Meer ist für das jüdische Volk zum Symbol der Rettung durch Jahwe und so auch zur Deutung des eigenen Lebens geworden. Die Kirche deutet mit dieser Erzählung unsere Situation: „Einst hast Du Israel aus der Knechtschaft des Pharao befreit und durch die Fluten des Roten Meers geführt; nun aber führst Du alle Völker durch das Wasser der Taufe zur Freiheit“.

Ich sehe die Freiheit in der Kirche bedroht, wenn die Kirchenleitung bestimmt, über welche Themen gesprochen werden darf und wenn sie Anliegen, die Millionen auf der Seele brennen, als keine wesentlichen Anliegen gelten lässt. Dieses verfügende Umgehen der Kirchenleitung mit dem Volk Gottes, auch mit denen, die das Memorandum „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“ verfasst haben, zerstört das Vertrauen zu ihr. Der Eindruck entsteht, sie habe Angst vor Gesprächen mit kritischen Gruppen. Ich erlebe es so in „Wir sind Kirche“, und bedauere diese Ablehnung, denn die Mitglieder von „Wir sind Kirche“ die ich kenne, gehören zu den Engagierten in der Kirche.

Ich sehe eine Lösung der durch Vertrauensverlust entstandenen Krise, wenn die Kirchenleitung nach dem Paulus-Wort handeln würde: „Wir wollen ja nicht Herren über euren Glauben sein, sondern wir sind Mitarbeiter an eurer Freude; ihr steht ja fest im Glauben“ (2 Korinther 1,24).

Kurt Sohns ist Pfarrer in Offenbach und Mitarbeiter im Netzwerk „Wir sind Kirche“.

„Die Farbe Lila“

Nachfolgegemeinschaft von Gleichgestellten

Menschen, unter unmenschlichen Bedingungen lebend, sind zu Veränderungen und Risiken bereit. Allerdings brauchen diese Menschen Vorbilder; im Fall der Israeliten ist es die Prophetin Miriam, ausgerüstet mit Handtrommel oder Pauke schreitet sie kultisch tanzend dem Volk voran durch das Schilfmeer. Ihr Gottvertrauen strahlt aus und so führt sie ihr Volk an einem Wendepunkt. Auch sie ist von Gott zur Prophetin und Lobpreisleiterin berufen, zu Unrecht ist ihre Bedeutung gegenüber Moses in den Hintergrund getreten.Patriarchale Geschichtsschreibung, Bibelwissenschaft und kirchliche Lehre haben die Frauen über Jahrtausende beherrschend klein gehalten und in den Hintergrund gedrängt. Doch diese Frauen haben durch ihre diakonischen Dienste mutig die Kirche die Zeiten hindurch am Leben gehalten.

Heute sind viele Katholikinnen nicht mehr bereit, die traditionelle Hierarchie mit ungerechten Strukturen länger hinzunehmen. Sie wollen ihre Begabungen anerkannt haben in einer gewandelten Kirche mit synodalen Strukturen, in der alle, Männer und Frauen, verheiratet oder alleinstehend, nach ihren jeweiligen Charismen auch diakonisch und priesterlich wirken können.

Frauen, von Gott berufen, stehen als Wegbereiterinnen durch das Meer der Ängste und Traditionalismen bereit; die Farbe Rot ist ihnen als Lebensspenderinnen vertraut.

Das „gelobte Land“ der Zukunft ist eine heile und glaubwürdige Kirche als Nachfolgegemeinschaft von Gleichgestellten.

Übrigens, die Farbe Lila verbindet Rot mit Blau, Erde mit Himmel, das Weibliche mit Männlichem; in der Liturgie ist es die Farbe der Umkehr und Erneuerung.

Angelika Fromm, Mainz, Lehrerin und „ausgebildete Diakonin ohne Weihe“.

Zur Sache

Gerettet am Schilfmeer durch Jahwes Hand

Die Exodus-Geschichte: Der Ostwind treibt das Meer auseinander, sodass die Wassermassen rechts und links wie eine Mauer aufragen. Die Israeliten ziehen trockenen Fußes durch das Meer. Dieses Bild hat der amerikanische Regisseur Cecil B. DeMille in seinem Film „Die zehn Gebote“ mit vielen Spezialeffekten in Szene gesetzt. Nur: Trifft der Film auch die geschichtliche Wirklichkeit? Zweifel sind angebracht. Der Mainzer Bibelforscher Heinrich Schneider erläuterte in seinem Kommentar in der „Echterbibel“ bereits 1952: „Das anschauliche Bild von den Mauern aus Wasser stammt vielleicht aus einer mehr dichterischen Darstellung, die mit der prosaischen (,Ostwind‘) verwoben ist.“ Im Kommentar der „Jerusalemer Bibel“ wird auf zwei unterschiedliche Erzählstränge in diesem Kapitel des Buchs Exodus hingewiesen. In der älteren Tradition – nach der Gott den Ostwind schickt – ist noch nicht vom Durchzug des Volks durch das Meer die Rede. Jahwe, Gott der Israeliten, ist der allein Handelnde. Er schickt den Ostwind.

Die Winde, von denen im Buch Exodus die Rede ist, werden heute als Naturphänomene erklärt. Klimaforscher haben herausgefunden, dass in Ägypten schon Winde aufgetreten sind, die mit 100 Kilometern Geschwindigkeit einen zwei Meter tiefen See auf mehrere Kilometer trockenlegen.

Heißt das nun, dass Gott nicht am Wirken war? Fakt ist, dass die in Ägypten unterdrückten Israeliten den Weg in die Freiheit fanden, weil sie am Schilfmeer gerettet wurden. Dass ein Ostwind gerade zum rechten Zeitpunkt am rechten Ort die Rettung der Israeliten bewirkte, nennen die einen „Schicksal“. Andere – wie die Autoren des Alten Testaments – erkennen darin das Wirken ihres Gottes Jahwe, der sich dem Moses als „Ich bin der, der für euch da ist“ offenbart hat. (st)

Zitiert

Grüne Welle

„Wenn das Rote Meer grüne Welle hat, dann ziehen wir frei, dann ziehen wir frei heim aus dem Land der Sklaverei.

Wenn unsre Tränen rückwärts fließen, dann bleiben wir hier, dann bleiben wir hier, weil sich das Land gewandelt hat.

Wenn der Stacheldraht rote Rosen trägt, dann bleiben wir hier...“

Wilhelm Willms