Die Kirchenzeitungen für die Bistümer Fulda, Limburg und Mainz
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Das goldene Kalb

Katholisch: Lebendiger Plural in Einheit

Drei Männer der Kirche im Redaktionsgespräch – moderiert von Johannes Becher (links) und Ruth Lehnen (rechts). Fotos: Anja Weiffen

Biblische Bilder für die Lage der Kirche: Die Jahresserie der Kirchenzeitung folgt dem Volk Israel bei seinem Auszug aus Ägypten. Und entdeckt Visionen und Gefahren. Diesmal die Versuchung, andere Götter anzubeten. Damals und heute. Ein Redaktionsgespräch mit drei Männern der Kirche: einem Pfarrgemeinderat, einem Religionslehrer und einem Pfarrer.

Das Volk ist auf dem Weg. Von seinem Gott aus dem Gefängnis befreit. Und dann tanzen sie mitten in der Wüste um fremde Götter. Ein goldenes Kalb. Wo sehen Sie heute – in unserer Kirche – ein goldenes Kalb?

Stefan Herok: Das goldene Kalb ist ja das Sinnbild für Ablenkung und für Festhalten an etwas Greifbarem. Damals war es zwar materiell, aber für mich sind auch die vorhandenen Strukturen in der Kirche greifbar. Die alten Israeliten konnten der noch nicht greifbaren Verheißung, die sich mit dem Moses auf dem Berg verbunden hat, nur schwer vertrauen. Und das sehe ich im Moment bei uns in der Kirche auch stark. Verständliche Ängste, dass sich an dem amtlichen Charakter, den Strukturen, an den Größenverhältnissen Dinge ändern werden. Zählt Gemeinde nur nach der Größe, nach der Katholikenzahl, nach der Gottesdienstzahl, nach der Priester- und Mitarbeiterzahl? Und gibt es auf dem Berg noch eine Verheißung und eine Vision?

„Das goldene Kalb ist ein Zeichen der Angst.“ Dr. Christoph Klock

Dr. Christoph Klock: Das goldene Kalb ist ein Zeichen der Angst. Diese Angst ist nicht einmal damit verbunden, dass die Israeliten sich im Kalb von Gott abwenden wollen. Sie wollen ein Bild schaffen, etwas, das sie anschauen können, Es ist eben schwierig, sich auf einen Gott einzulassen, der ständig herausruft aus Sicherheiten und der neue Wege einschlagen möchte. Das goldene Kalb steht daher auch für eine Abhängigkeit von alten, wohlvertrauten Gegebenheiten.

Und es steht auch für eine ungute Angepasstheit. Das Volk auf dem Weg, genau wie wir heute auch, tut sich ausgesprochen schwer damit, loszulassen. Zunächst einmal ist für mich das goldene Kalb Zeichen eines Beharrungsvermögens, das man nicht unterschätzen sollte, und der sich in diesem Beharrungsvermögen ausdrückenden Angst. Angst vor einer ungewissen Zukunft.

Richard Pfeifer: Das goldene Kalb steht für die Unsicherheit. Die Menschen möchten was zum Anfassen haben, das sie vielleicht beschützt. Sie haben einen Gott, der nur verheißen ist, von dem man nur erzählt, den man aber nicht sieht, der nicht so direkt fassbar ist.

„Dass sie mit 50 Leuten sonntags in einer 500-Leute- Kirche sitzen, empfi nden sie nicht als Schmerz, sondern als großes Heiligtum.“ Stefan Herok

Ich sehe nach wie vor viele goldene Kälber. Zum Beispiel eine weit überzogene Wundergläubigkeit, dass da permanent die Erde wackelt oder die Mutter Gottes jeden Tag eine Botschaft verkündet.

Herok: Was ich beim goldenen Kalb noch total spannend finde, ist, woraus es besteht. Die Leute sind bereit – sehr existentiell – Dinge einzubringen. In der Geschichte in der Bibel ist das ihr Schmuck. Da mussten wahrscheinlich die armen Frauen wie immer dran glauben und den größeren Beitrag leisten.

Was sind die Dinge, die die Menschen heute einbringen? Zum Beispiel ihre Frömmigkeit. Nachdem wir 30 Jahre „konziliante Bewegung“ hatten, sind wir jetzt wieder ein bisschen in den kirchlichen Gebräuchen aus der Zeit vor dem Konzil. Das ist was zum Festhalten.

Ehrenamtliche bringen unendlich viel Kraft und Zeit ein in dieses Sicherheitsmodell. Empfinden sie einen Schmerz darüber, dass sie mit 50 Leuten sonntags in einer 500-Leute-Kirche sitzen? Das empfinden sie im Moment nicht als Schmerz, sondern im Gegenteil, als ihr großes Heiligtum, das sie mit viel Kampf davor verteidigen, in Bewegung geraten zu müssen. Das ist der Status quo, der ist in ihren Augen wunderbar.

Auf der anderen Seite haben wir Event-Katholizismus. Für den Papst-Gottesdienst in Berlin ist die Buchung ausgesetzt, weil die Nachfrage so hoch ist... Aber wenn Menschen anstreben, mal wieder eine volle Kirche zu erleben – auch wenn sie sich sieben Kilometer dazu aufmachen müssen –, da sehe ich sie ängstlich.

Dr. Klock: Herr Herok, Sie begegnen Menschen, die sich vor 50 Jahren krumm gelegt haben, damit eine Kirche in ihrem Ort gebaut werden konnte. Diese Menschen haben, genau wie die Israeliten, Existentielles hergegeben für diesen Bau.

Das goldene Kalb ist zerstört worden, eingeschmolzen worden. Die Sicherheiten, auf die sie gesetzt haben, sind einfach nicht mehr da. Und ich habe den Eindruck, dass viele Menschen heute diesen Verlust an Sicherheit hautnah erfahren und sich fragen: Wofür habe ich das damals gemacht, war mein Einsatz umsonst? Wie stehe ich jetzt da?

Es fordert viel Behutsamkeit, mit solchen gerechtfertigten Vorstellungen umzugehen. Die Leute haben etwas geopfert – und viele müssen sich heute, wo die sichere Mitte scheinbar nicht mehr da ist, auf einen ganz neuen Weg machen. Dieser Weg ist der Weg in eine andere Kirche.

Richard Pfeifer (links): Wieder mehr Menschen erreichen „mit der besten Botschaft, die ich kenne“.

„Ich sehe viele goldene Kälber. Zum Beispiel eine weit überzogene Wundergläubigkeit.“ Richard Pfeifer

Ist eine andere Kirche auch eine Sicherheit? Das heißt, was uns heute das Leben schwermacht, ist die Tatsache, dass wir so sehr fixiert sind. So sehr fixiert auf Punkte, auf Orte, aufs Greifbare, Institutionelle. Diese Traditionen sind erfahrungsgesättigte Werte. Man darf das alles überhaupt nicht bagatellisieren, sondern muss es sehr ernst nehmen. Aber im Grunde genommen zeigt die ganze Exodusgeschichte und auch das goldene Kalb, dass es ausgerechnet Gott ist, der diese Sicherheiten immer wieder umstößt. Lassen wir uns darauf ein?

Sind es denn nur die normalen Gottesdienstteilnehmer, die in ihrem Sicherheitsdenken das goldene Kalb anbeten? In der biblischen Geschichte ist es Aaron, ausgerechnet der Priester, der das Opfer verlangt.

Pfeifer: Wir sollten nicht aus dem Blick verlieren, dass auch die „Amtskirche“, die Verantwortlichen der Kirche vom Papst über die Bischöfe bis zu den Priestern dem ausgesetzt sind, goldene Kälber zu bauen und daran festzuhalten und nicht loszulassen.

Dr. Klock: Im Blick auf 50 Jahre Zweites Vaticanum wäre tatsächlich zu fragen, ob Menschen in der Kirche sich wieder zu einer Art Spiritualität des goldenen Kalbs hinwenden?

Vor Jahrzehnten ist noch eine Spiritualität des offenen Horizonts dagewesen, eine Spiritualität, die davon gelebt hat, dass der Christ in seinem Leben immer wieder neu aufbricht. Das deutsche Kennzeichen dafür ist die Würzburger Synode.

Eine Spiritualität des goldenen Kalbs ist eine Spiritualität, die auf das Altbewährte setzt und vielleicht auf das schon längst Überholte. Das sind ja alles Ansätze, die in sich vielleicht gar nicht einmal schlecht sind. Die Schatzkammern der Kirche sind voll, die Frage ist, was man herausholt. Jesus spricht das ja selbst aus in dem Gleichnis von dem Hausmann, der Gutes, Neues und Altes, hervorholt, um dann an Gottes Reich zu bauen.

Auf der anderen Seite ist aber diese Notwendigkeit, jetzt gewagte Schritte, wagemutige Schritte zu gehen. Das goldene Kalb verengt ja meinen Blick, ich schaue ja immer nur auf das Kalb. Was vor ihm ist, dahinter, drumherum, das nehme ich gar nicht mehr wahr und ich kann mich an der Ästhetik des goldenen Kalbs berauschen. Aber auf Dauer wird es mich nicht befriedigen können.

Herok: Das Gegenbild zum goldenen Kalb ist für mich nicht der offene Weg, sondern das noch festere Bild des verheißenen Gesetzes, mit dem Moses vom Berg runterkommt. Das eine ist der Bruder Aaron, der vor Ort mit den Menschen das goldene Kalb macht und dann der zornige Moses, der das Gesetz in Wut zerschmettert.

Ob ich mir Kirchenführer dieses Temperaments wünschen soll, da bin ich ein bisschen unsicher...

Dr. Klock: Wenn jetzt kein Moses in Sicht ist, wer ist dann da? Sind lauter Aarons da?

Herok: Die Aarons sind ja die, die willfährig die Gemeinde- Sehnsucht erfüllen und scheinbar nichts dagegensetzen.

Dr. Klock: Ich möchte eine Lanze für den Aaron brechen. Er ist unten bei den Leuten, Moses ist oben auf dem Berg. Aaron muss sich herumschlagen mit den Problemen und den Ängsten der Menschen und er nimmt sie wahr. Er sagt auch nicht: „Wartet darauf, bis mein Bruder vom Berg kommt!“, sondern er tut etwas und er tut das Falsche. Am Ende wird die Sache natürlich schräg, aber zunächst einmal hat er ein Gespür dafür, was die Menschen brauchen.

Pfeifer: Wen interessiert das heute überhaupt noch, was wir gerade hier so reden? Das geht an den Leuten vorbei. Wir brauchen so einen Moses oder jemand, der die zwei Gebotstafeln zerschlägt. Sehr wahrscheinlich muss er heute etwas anderes tun, damit wir die Leute wieder erreichen und sie sehen: Ja, da ist ein Herrgott, der für die Menschen da ist, der ihnen bei ihren tagtäglichen Problemen hilft. Der ihnen beisteht, besonders dann, wenn sie in Schwierigkeiten sind.

Wir verwalten momentan unser Erbe und es erodiert. Man kann sich ausrechnen, wann es gegen Null geht. Ich möchte dafür kämpfen, dass unsere Kirche nicht erodiert, sondern dass wir uns mal wieder nach vorne bewegen. Mehr Menschen erreichen mit unserer frohen Botschaft, die ja nach wie vor die beste Botschaft ist, die ich kenne.

Dr. Klock: Die Kirche hat nicht mehr die alleinige Sinndeutung für solche Bilder. Die Kraft der Bilder selber ist ungebrochen. Nur sind wir nicht mehr die einzigen, die sie verwenden. Könnte sein, dass andere Anbieter diese Bilder heute überzeugender vermarkten als wir, überzeugendere Antworten anbieten als wir. Es kommt sicher nicht von ungefähr, dass die Kirche erodiert.

Aber ist das Deutungsmonopol nicht schon innerhalb der Kirche verloren gegangen?

Die Konservativen sagen: Was in der Dialoginitiative besprochen wird – vom Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen bis zur Zölibatsdebatte – das sind goldene Kälber und da solltet Ihr den Tanz einstellen.

Die anderen sagen: Ihr Konservativen wollt nette, schöne Gottesdienste, aber was der Jesus mit seiner Reich-Gottes- Botschaft gewollt hat, das habt ihr doch überhaupt nicht mehr im Sinn. Euch geht es um die Bewahrung der Institution.

Die extremen Flügel und ihre Deutung vom Kalb – wie kann man Verständigung erreichen?

Pfeifer: Mir fehlt letztlich der Moses, der sagt: So geht es nicht weiter. Da ist sicher heute eine andere Symbolik notwendig, aber mir ist momentan das Ganze zu lethargisch.

Ich habe in der Industrie gearbeitet, da werden auch große Fehler gemacht. Aber da wird sofort, nicht erst nach 20 Jahren, auf die Kurve nach unten reagiert. Das ist aber genau das, was ich bei der Kirche wahrnehme: Die Kurve geht steil nach unten und wir tun nichts. Ich bin auch dafür, dass wir um den Heiligen Geist beten und dass der uns beisteht, aber das ist mir zu wenig. Ich möchte auch selbst die Ärmel hochkrempeln und fragen: Was können wir denn selber tun? Und das erwarte ich auch von unseren Bischöfen.

„Eine Spiritualität des goldenen Kalbs setzt auf das Altbewährte und vielleicht auf das schon längst Überholte.“ Dr. Christoph Klock

Herok: Die Lethargie entsteht gerade dadurch, dass wir zwei Flügel haben, die schon relativ extrem ihre Position vertreten. Und für eine große Gruppe dazwischen, zu der ich mich auch zählen würde, entsteht eine Art Lethargie, weil man in diesen Extremkampf nicht reingezogen werden möchte.

Pfeifer: Diese beiden Extrem-Positionen sind aber relativ kleine Größenordnungen. Der ganz große Block ist in der Mitte und der wird momentan von unserer Amtskirche total ignoriert. Ich glaube, das sind Leute, die wollen einfach, dass es in der Kirche weitergeht.

Dr. Klock: Ja, aber was will dieser große Teil in der Mitte? Die kleinen Gruppierungen sind deswegen so markant, weil sie den Mund aufmachen. Und weil sie kirchenamtlich wahrgenommen werden, positiv, negativ oder wie auch immer. Aber für die Menschen in der Mitte ist es extrem schwer, eine eigene Position zu finden. Deswegen ziehen sie sich auch zurück. In die Innerlichkeit oder ganz aus der Kirche.

Stefan Herok (links): Chancen für einen Aufbruch „in lebendigen Formen kirchlicher Beziehungen“.

„Der Papst sollte einfach sagen: Habt keine Angst! Habt Mut! Brecht auf!“ Richard Pfeifer

Wir haben es eben an der Person des Moses festgemacht. Gibt es einen Menschen, der eine solche Funktion wahrnehmen kann? Anders gefragt, was müsste er denn heute mitbringen, dieser Moses? Den Zorn Gottes? Das Gesetz Gottes? Oder doch vor allen Dingen die Hoffnung? Eine zuversichtliche Hoffnung, aus der allein die Kraft kommen kann.

Herok: Er ist ja eher der charismatische Führer. Er ist eben nicht das Amt, er ist eher das Charisma.

Dr. Klock: Die Kirche pendelt zwischen beiden. Mal geht der Ausschlag mehr zum Charisma und mal geht er mehr zum Amt. Dabei zeigt schon die Gemeindetheologie des Paulus, dass beides unbedingt nebeneinander bestehen muss. Die Gemeinde ohne Charisma vertrocknet und eine Gemeinde ohne Amt gleitet ins Chaos ab.

Das ist ja etwas, was auf Gemeindeebene und gesamtkirchlich immer mehr in den Blick gerät: Den Menschen nicht zu sagen, das müssen wir machen, sondern die Menschen zu fragen: „Was könnt ihr, was wollt ihr?“

Herok: Im Moment sehe ich ein Stück vom goldenen Kalb darin, dass viel zu viele – amtlich und ehrenamtlich – ihr Kirche-Sein am Kirchturm, am Pfarrhaus festmachen. Deswegen finde ich es nicht so schlimm, wenn der Kirchturm ein bisschen wegrückt und sich Kirche viel mehr über lebendige Beziehungen und viel mehr über das Ereignis beschreibt…

Was gibt es hier für Familienkreise, was gibt es für einen Bibelkreis, was gibt es für eine KAB, was gibt’s für eine Kolpingfamilie? Und nicht so sehr über das Institutionelle. Da sehe ich eine Chance.

Pfeifer: Ich sehe das ganz genauso. Es nutzt nichts, dass ich in meinen Räten sitze und über die Weltverbesserung rede und dann heimgehe und nichts tue. Das muss reflektieren in mein tägliches Arbeiten, in mein tagtägliches Leben. In der Gemeinde oder im Bistum, wo ich zuhause bin. Nur dafür engagiere ich mich.

Haben wir doch mal Mut, so eine Entwicklung zu machen. Stichwort Dialogprozess, Auftaktveranstaltung in Mannheim im Juli. Lassen wir uns doch mal von so einer Gruppe von Leuten und von dem Geist, der da entwickelt wurde, inspirieren.

Dr. Klock: In Mannheim ist tatsächlich ein Aufbruch passiert. Was kam denn in Mannheim heraus? Doch nicht das ewige Repetieren von Reizthemen, die seit 50 Jahren in der Kirche virulent sind und ständig und ständig abgebürstet werden. Sondern es kam letzten Endes nichts anderes heraus, als dass die Menschen sich generell wieder eine Form des Angesprochen-Seins, des Ernstgenommen- Seins in ihren Fragen wünschen. Man hat den Eindruck gewonnen, dass die Kirche allzu lang nicht die Fragen der modernen Lebenswelt beantwortet hat.

Herok: Für mich sehe ich die Chance eines Aufbruchs in der Besinnung auf lebendige Formen von kirchlicher Beziehung. Dass es ganz viele Orte von lebendigem Christ-Sein gibt. Die Kita, die vielleicht auf Dauer das Einzige bleibt, was in dem Dorf noch Kirchengebäude ist, dass dort die Kirche der Zukunft ist und kirchliches Leben sich um die Kita herum ansiedelt. Dass die Pfarrsekretärin unter der Woche Sprechstunden anbietet und dass sich die lebendigen Orte, die es jetzt noch gibt, als Kirche begreifen und einladend sind.

Wo die Pfarrer und pastoralen Mitarbeiter das schon selber angenommen haben, da sind die Menschen auch weniger ängstlich und lassen sich auf den Weg ein und mauern nicht.

Dr. Klock: Die Frage ist ja: Wenn es wirklich kirchenrechtlich nicht anders geht, als am Pfarreiprinzip festzuhalten, wie fülle ich diese Riesengebilde mit Leben. Diese innere Lebendigkeit, wie kann ich sie erreichen? Unser goldenes Kalb ist auch eine zu starke Fixierung auf Strukturen und auch auf Personen. Kriegen wir eine Chance, Formen unserer eigenen Lebendigkeit zu entwickeln? Werden wir in dem auch ernst- und angenommen, oder bekommen wir wieder nur eine verordnete Lebendigkeit vorgesetzt?

Wie kann denn der begonnene Aufbruch gestärkt werden? Kann der Papst bei seinem Besuch im September dazu beitragen?

Pfeifer: Gute Frage. Er soll was gegen die Mutlosigkeit sagen. Allen Beteiligten. Das sind die verantwortlichen Bischöfe und die Priester, aber auch die Laien. Es gibt auch viele Laien, die Angst haben. Er sollte einfach sagen: Habt keine Angst! Habt Mut! Brecht auf! Was das Ergebnis ist, das werden wir dann erfahren. Aber wenn wir nichts tun, das wäre auf jeden Fall das Falsche.

Dr. Klock: Gerade der jetzige Papst hat sich als Warner hervorgetan. Und wer immer nur warnt, ist im Grunde ein Entmutiger.

Wenn der Papst sich vorne hinstellen würde: „Früher hat man gesagt, folgt euren Bischöfen und gehorcht ihnen. Ich als Papst aber sage euch: Bildet ein neues Vertrauensverhältnis zu euren Bischöfen!“

Das wäre nur ein Beispiel dafür, die veräußerlichten Formen, die viele mit Glaube und Kirche verbinden, wieder zu inneren Formen werden zu lassen. Wenn er dazu Mut machen würde, dann könnte er auch sagen: „Ich kann euch nicht versprechen, dass alle eure Wünsche jetzt schnell in Erfüllung gehen. Und ich kann auch nicht versprechen, dass die Kirche über ihren Schatten springen kann.“

Herok: Es wäre natürlich interessant, wenn es teilkirchliche Regelungen geben könnte. Das würde ich schon wünschen.

Pfeifer: Entschuldigung, wenn ich Ihnen da widerspreche. Kommen wir doch weg von diesen permanenten Regelungsversuchen. Ich habe das Gefühl, in Rom denkt irgendeiner der Verantwortlichen irgendetwas, und da sind wir Deutschen schon dabei, dieses Denken in ein Gesetz zu gießen und zu erfüllen. Ich möchte gar nicht so viele Regelungen, denn dann gibt es wieder sehr viele, die permanent dabei sind, jedes Komma und jeden Schriftzug überzuinterpretieren.

Herok: Ich meine genau dasselbe, wenn ich sage, dass es teilkirchliche Regelungen geben muss, damit nicht immer mit dem Weltkirchen-Argument alles totgeschlagen wird. In den Teilkirchen kann die Wirklichkeit verschieden aussehen.

Dr. Klock: Das läuft ja auf ein Nachdenken darüber hinaus, was der Begriff katholisch meint. Zentral, einzig, uniform – oder katholisch auch als Plural, aber trotzdem mit einem lebendigen Verstehen von Einheit.

Im Gespräch

Richard Pfeifer (66) ist Vorsitzender des Katholikenrats im Bistum Fulda. Er ist Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). In seiner Heimatgemeinde Biebergemünd- Kassel (Main-Kinzig-Kreis) ist er seit 16 Jahren Sprecher im Pfarrgemeinderat.
Stefan Herok (54) ist „Referent für Partizipation und Kommunikation im Prozess der Neugründung von Pfarreien“ im Bistum Limburg. Davor war er mehr als 30 Jahre Religionslehrer und für die Schulpastoral im Bistum tätig.
Dr. Christoph Klock (57) ist Hochschulpfarrer an der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) Mainz. Er ist stellvertretender Dekan in der Stadt Mainz und Sekretär des Priesterrats im Bistum.