„Ich sehe viele goldene Kälber. Zum Beispiel eine weit überzogene Wundergläubigkeit.“ Richard Pfeifer
Ist eine andere Kirche auch eine Sicherheit? Das heißt, was uns heute das Leben schwermacht, ist die Tatsache, dass wir so sehr fixiert sind. So sehr fixiert auf Punkte, auf Orte, aufs Greifbare, Institutionelle. Diese Traditionen sind erfahrungsgesättigte Werte. Man darf das alles überhaupt nicht bagatellisieren, sondern muss es sehr ernst nehmen. Aber im Grunde genommen zeigt die ganze Exodusgeschichte und auch das goldene Kalb, dass es ausgerechnet Gott ist, der diese Sicherheiten immer wieder umstößt. Lassen wir uns darauf ein?
Sind es denn nur die normalen Gottesdienstteilnehmer, die in ihrem Sicherheitsdenken das goldene Kalb anbeten? In der biblischen Geschichte ist es Aaron, ausgerechnet der Priester, der das Opfer verlangt.
Pfeifer: Wir sollten nicht aus dem Blick verlieren, dass auch die „Amtskirche“, die Verantwortlichen der Kirche vom Papst über die Bischöfe bis zu den Priestern dem ausgesetzt sind, goldene Kälber zu bauen und daran festzuhalten und nicht loszulassen.
Dr. Klock: Im Blick auf 50 Jahre Zweites Vaticanum wäre tatsächlich zu fragen, ob Menschen in der Kirche sich wieder zu einer Art Spiritualität des goldenen Kalbs hinwenden?
Vor Jahrzehnten ist noch eine Spiritualität des offenen Horizonts dagewesen, eine Spiritualität, die davon gelebt hat, dass der Christ in seinem Leben immer wieder neu aufbricht. Das deutsche Kennzeichen dafür ist die Würzburger Synode.
Eine Spiritualität des goldenen Kalbs ist eine Spiritualität, die auf das Altbewährte setzt und vielleicht auf das schon längst Überholte. Das sind ja alles Ansätze, die in sich vielleicht gar nicht einmal schlecht sind. Die Schatzkammern der Kirche sind voll, die Frage ist, was man herausholt. Jesus spricht das ja selbst aus in dem Gleichnis von dem Hausmann, der Gutes, Neues und Altes, hervorholt, um dann an Gottes Reich zu bauen.
Auf der anderen Seite ist aber diese Notwendigkeit, jetzt gewagte Schritte, wagemutige Schritte zu gehen. Das goldene Kalb verengt ja meinen Blick, ich schaue ja immer nur auf das Kalb. Was vor ihm ist, dahinter, drumherum, das nehme ich gar nicht mehr wahr und ich kann mich an der Ästhetik des goldenen Kalbs berauschen. Aber auf Dauer wird es mich nicht befriedigen können.
Herok: Das Gegenbild zum goldenen Kalb ist für mich nicht der offene Weg, sondern das noch festere Bild des verheißenen Gesetzes, mit dem Moses vom Berg runterkommt. Das eine ist der Bruder Aaron, der vor Ort mit den Menschen das goldene Kalb macht und dann der zornige Moses, der das Gesetz in Wut zerschmettert.
Ob ich mir Kirchenführer dieses Temperaments wünschen soll, da bin ich ein bisschen unsicher...
Dr. Klock: Wenn jetzt kein Moses in Sicht ist, wer ist dann da? Sind lauter Aarons da?
Herok: Die Aarons sind ja die, die willfährig die Gemeinde- Sehnsucht erfüllen und scheinbar nichts dagegensetzen.
Dr. Klock: Ich möchte eine Lanze für den Aaron brechen. Er ist unten bei den Leuten, Moses ist oben auf dem Berg. Aaron muss sich herumschlagen mit den Problemen und den Ängsten der Menschen und er nimmt sie wahr. Er sagt auch nicht: „Wartet darauf, bis mein Bruder vom Berg kommt!“, sondern er tut etwas und er tut das Falsche. Am Ende wird die Sache natürlich schräg, aber zunächst einmal hat er ein Gespür dafür, was die Menschen brauchen.
Pfeifer: Wen interessiert das heute überhaupt noch, was wir gerade hier so reden? Das geht an den Leuten vorbei. Wir brauchen so einen Moses oder jemand, der die zwei Gebotstafeln zerschlägt. Sehr wahrscheinlich muss er heute etwas anderes tun, damit wir die Leute wieder erreichen und sie sehen: Ja, da ist ein Herrgott, der für die Menschen da ist, der ihnen bei ihren tagtäglichen Problemen hilft. Der ihnen beisteht, besonders dann, wenn sie in Schwierigkeiten sind.
Wir verwalten momentan unser Erbe und es erodiert. Man kann sich ausrechnen, wann es gegen Null geht. Ich möchte dafür kämpfen, dass unsere Kirche nicht erodiert, sondern dass wir uns mal wieder nach vorne bewegen. Mehr Menschen erreichen mit unserer frohen Botschaft, die ja nach wie vor die beste Botschaft ist, die ich kenne.
Dr. Klock: Die Kirche hat nicht mehr die alleinige Sinndeutung für solche Bilder. Die Kraft der Bilder selber ist ungebrochen. Nur sind wir nicht mehr die einzigen, die sie verwenden. Könnte sein, dass andere Anbieter diese Bilder heute überzeugender vermarkten als wir, überzeugendere Antworten anbieten als wir. Es kommt sicher nicht von ungefähr, dass die Kirche erodiert.
Aber ist das Deutungsmonopol nicht schon innerhalb der Kirche verloren gegangen?
Die Konservativen sagen: Was in der Dialoginitiative besprochen wird – vom Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen bis zur Zölibatsdebatte – das sind goldene Kälber und da solltet Ihr den Tanz einstellen.
Die anderen sagen: Ihr Konservativen wollt nette, schöne Gottesdienste, aber was der Jesus mit seiner Reich-Gottes- Botschaft gewollt hat, das habt ihr doch überhaupt nicht mehr im Sinn. Euch geht es um die Bewahrung der Institution.
Die extremen Flügel und ihre Deutung vom Kalb – wie kann man Verständigung erreichen?
Pfeifer: Mir fehlt letztlich der Moses, der sagt: So geht es nicht weiter. Da ist sicher heute eine andere Symbolik notwendig, aber mir ist momentan das Ganze zu lethargisch.
Ich habe in der Industrie gearbeitet, da werden auch große Fehler gemacht. Aber da wird sofort, nicht erst nach 20 Jahren, auf die Kurve nach unten reagiert. Das ist aber genau das, was ich bei der Kirche wahrnehme: Die Kurve geht steil nach unten und wir tun nichts. Ich bin auch dafür, dass wir um den Heiligen Geist beten und dass der uns beisteht, aber das ist mir zu wenig. Ich möchte auch selbst die Ärmel hochkrempeln und fragen: Was können wir denn selber tun? Und das erwarte ich auch von unseren Bischöfen.
„Eine Spiritualität des goldenen Kalbs setzt auf das Altbewährte und vielleicht auf das schon längst Überholte.“ Dr. Christoph Klock
Herok: Die Lethargie entsteht gerade dadurch, dass wir zwei Flügel haben, die schon relativ extrem ihre Position vertreten. Und für eine große Gruppe dazwischen, zu der ich mich auch zählen würde, entsteht eine Art Lethargie, weil man in diesen Extremkampf nicht reingezogen werden möchte.
Pfeifer: Diese beiden Extrem-Positionen sind aber relativ kleine Größenordnungen. Der ganz große Block ist in der Mitte und der wird momentan von unserer Amtskirche total ignoriert. Ich glaube, das sind Leute, die wollen einfach, dass es in der Kirche weitergeht.
Dr. Klock: Ja, aber was will dieser große Teil in der Mitte? Die kleinen Gruppierungen sind deswegen so markant, weil sie den Mund aufmachen. Und weil sie kirchenamtlich wahrgenommen werden, positiv, negativ oder wie auch immer. Aber für die Menschen in der Mitte ist es extrem schwer, eine eigene Position zu finden. Deswegen ziehen sie sich auch zurück. In die Innerlichkeit oder ganz aus der Kirche.