Die Kirchenzeitungen für die Bistümer Fulda, Limburg und Mainz
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Zehn Gebote: Wegweiser

Die Eltern ehren – um jeden Preis?

Zwei Betrachtungen zum vierten Gebot: „Ehre Vater und Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das Gott dir gibt.“

Von Evelyn Schwab

Die Eltern ehren – für die Jüngsten ist die Bedeutung schnell geklärt: Mama und Papa eine Freude machen oder (meistens) gehorsam sein. Wachsen die Kinder heran, wird die Bandbreite zwischen Dankbarkeit und notwendiger Abgrenzung größer. Ehren bedeutet dann wohl eher respektieren, achten und sich aneinander erfreuen, auch wenn die Ansichten auseinander driften. Richtig gefordert fühlen sich die meisten erwachsenen Söhne und Töchter, wenn ihre Eltern alt geworden sind. Gut, wenn Kinder es dann schaffen, Verantwortung für ihre hilfsbedürftigen Eltern zu übernehmen oder die richtigen Entscheidungen für sie zu treffen.

Ehrfurcht vor den Eltern als Weisung zum gelingenden Leben ist zunächst weit weg in einem von Jugend und Leistung geprägten Alltag. Vermutlich war es zu früheren Zeiten auch nicht gerade einfach, gebrechlichen Vätern und Müttern einen sorgenfreien Lebensunterhalt zu garantieren. Materiell entlasten heute Kranken- wie Rentenversicherung oder finanzielle Vorsorge. Aber es scheint schwieriger geworden zu sein, soziale und emotionale Nähe zu gewähren.

Lange Ausbildungen, wechselnde Orte zum Arbeiten und Leben und womöglich Gründung einer eigenen Familie – Menschen nehmen sich heute Zeit für eine ausgedehnte Jugendphase. Sie denken oft erst mit Ende 30 oder Anfang 40 an eigenen Nachwuchs. Setzt sich der Trend fort, werden die Großeltern dieser Familien genau in den anstrengenden Erziehungsjahren zeitgleich um die 80 Jahre sein.

Werden junge Papas im Erziehungsurlaub sich später auch Familienpflegezeit für den alten Vater nehmen? Ist das Gebot, Vater und Mutter zu ehren, auch eine Frage an christliche Arbeitgeber, gar an die ganze Gesellschaft? Wer jahrelang die Arbeitszeit reduziert, um Eltern zu pflegen, mindert damit die eigene Rente und fällt vielleicht einmal seinen Kindern finanziell zu Last?

Ein gelingendes Leben hängt davon ab, wie du mit deinen Eltern umgehst – das ist der Kern dieses göttlichen Gebots.

Mit Zeit und Zuwendung kann jeder seine Eltern angemessen ehren. Liebe, Dank und Wertschätzung kommen als Geschenke für den zurück, der trotz allem versucht, Gottes Gebot der Ehrfurcht vor den Eltern zu erfüllen.

Von Julia Hoffmann

„Ehre Vater und Mutter“ – in vielen Familien wahrscheinlich kein Problem. Auch wenn die Formulierung heute ungewohnt erscheint, steckt darin Wertschätzung, Respekt und Achtung. Das fällt nicht schwer, wenn Kinder eine gute Beziehung zu den Eltern pflegen, sich regelmäßig treffen, einander zuhören und sich unterstützen.

Aber wie ist das in Familien, in denen es Konflikte gibt? Die Eltern ehren um jeden Preis? Was ist mit Familien, in denen die Kinder misshandelt oder geprügelt werden, oder in denen das emotionale Verhältnis belastet ist? Gilt es dort auch?

„Ehren bedeutet nicht, alles kritiklos hinzunehmen, was die Eltern tun und sagen. Sonst wäre es Gleichgültigkeit“, erklärt Doris Meyer-Ahlen vom Seelsorgeamt in Fulda. Die zuständige Referentin für Familienseelsorge ermutigt dazu, etwa in Konfliktsituationen die jeweilige Person zu ehren, auch wenn es keine vollständige Übereinstimmung in manchen Punkten gibt. Bei Gewalt in der Familie sei es eine Herausforderung, trennen zu können. Einerseits den Menschen zu ehren, andererseits aber die Taten abzulehnen. „Besonders kleine Kinder klammern sich oft an ihre Eltern, auch wenn sie von ihnen schlecht behandelt werden“, sagt die Referentin.

Wenn Eltern älter werden und es darum geht, wer sich um sie kümmert, wenn sie das selbst nicht mehr können, entstehen oft Erwartungen. „Da sind Eltern auch manchmal etwas unfair“, weiß Meyer-Ahlen. Sie rät, frühzeitig zu besprechen, was sich die Eltern wünschen und in der Familie gemeinsam zu überlegen, wie eine gute Lösung für alle aussehen kann. Dabei herrsche eine Verantwortung von beiden Seiten, betont Meyer-Ahlen. Wenn es gelingt, einen Weg zu finden, mit dem alle leben können, fällt es den Kindern wieder leichter, die eigenen Eltern zu ehren.

„Ich glaub’, ich bin zu Stein geworden“

Pfarrer Werner Gutheil (Mitte) im Gespräch mit Eltern Foto: Anja Weiffen

Wie Eltern sich fühlen, wenn ihre Kinder den Kontakt abbrechen

Von Anja Weiffen

Verlassene Eltern – von ihnen gibt es mehr als gedacht. Selbsthilfegruppen wie die im Zentrum für Trauernde in Hanau holen das Thema aus der Tabuzone. In den Gesprächen drücken die Betroffenen ihre Wut, Trauer und Ohnmacht aus.

Nicht im Traum hat Sabine M. (68) daran gedacht, dass ihr einmal so etwas passieren würde. Gut kann sie sich noch an den Tag erinnern. „Es war ausgerechnet an meinem 66. Geburtstag. Ich besuchte meinen Sohn, der im Ausland lebt, und freute mich darauf, ein paar Tage mit ihm zu verbringen“, erzählt sie. Doch es kam anders, als sie es sich vorgestellt hatte.

Ihr Sohn, damals 42, beschimpfte sie und kündigte einen Bruch mit ihr an, berichtet Sabine M. „Als meine Tochter mich nach der Reise vom Bahnhof abholte und mich fragte, was los sei, sagte ich: Ich glaub’, ich bin zu Stein geworden.“ Einen triftigen Grund für den Kontaktabbruch erfährt die Frau nicht. Heute ahnt sie, dass sich der Bruch schon vorher ankündigte. „Doch ich hab’ es nicht wahrhaben wollen.“ Im Hanauer Zentrum für Trauernde trifft Sabine M. regelmäßig Leidensgenossen. Das Ehepaar B. hat eine Achterbahnfahrt der Gefühle mit seinem heute 46-jährigen Sohn hinter sich.

Identitätssuche kann ein Auslöser sein

„Er war immer wieder eine Zeit lang verschollen, zuletzt haben wir vor zwei Jahren etwas von ihm gehört“, sagt Ursula B. Auch in ihrem Fall gab es einen markanten Tag: „Er verfasste an meinem 65. Geburtstag einen Brief mit der Trennungsankündigung. Er wollte auch, dass sich seine zwei Geschwister daran beteiligen.“

So verschieden die Geschichten vieler betroffener Eltern sind, im Fall der Hanauer Familien zeigt sich, dass es jeweils um eine Identitätssuche der Söhne geht. Reichlich spät, findet Ursula B.: „Eine gewisse Rebellion ist immer da. Aber irgendwann muss doch mal der Verstand einsetzen.“ Die 67-Jährige ist nicht nur traurig, sondern auch wütend. „Eltern sind keine Einbahnstraße. Kinder können mit Eltern nicht machen, was sie wollen.“ Was haben wir falsch gemacht?, fragen sich die Eltern und kommen zu dem Schluss: Sie haben ihre Aufgabe, den Kindern den Start ins Leben zu ermöglichen, nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt.

„Hier geht es um den Generationenvertrag“

Pfarrer Werner Gutheil, der das Zentrum für Trauernde leitet, weitet den Blick für ein gesellschaftliches Phänomen. Auf die Frage, wie solche Verhaltensweisen mit dem vierten Gebot „Du sollst Vater und Mutter ehren“ zusammenpassen, stellt er eine Gegenfrage. Was war mit diesem Gebot zu biblischen Zeiten gemeint? „Hier geht es um den Generationenvertrag – die junge Generation kümmert sich um die alte“, betont Gutheil. Dieses Geben und Nehmen sei heute vor allem durch die Rente, durch Geldleistungen geregelt. Die Beziehungsleistungen lösten sich zunehmend auf.

Die junge Generation stehe vor einer anderen Situation als die Nachkriegsgeneration, sind sich Pfarrer und Eltern im Trauerzentrum einig. Und trotzdem: Hier könne man ruhig an die Jüngeren appellieren, nicht alles an den Staat zu delegieren, sagt Gutheil. Er fügt hinzu: „Aber wir haben es auch versäumt, die Erzählungen der Bibel der jüngeren Generation lebensnah zu vermitteln.“

Was er den Eltern anbieten kann, ist Raum – für deren Trauer und Ohnmacht. Letztere drückt sich darin aus, dass Sabine M., Ursula B. und ihr Ehemann die Hoffnung auf die Rückkehr ihrer Söhne aufgegeben haben. „Ich will das gar nicht mehr“, sagt Ursula B. „Ich sage mir einfach, das ist das ganz normale Leben.“ Selbstschutz und Schutz für ihre Ehe, die sonst einem ständigen Hin und Her zwischen Kontakt und Kontaktabbruch ausgesetzt wäre.

Die Betroffenen leiden dennoch. Pfarrer Gutheil will dieser Art der Trauer nachgehen. Dazu interpretiert er eine Szene aus dem Neuen Testament auf seine Art: „Der Zöllner Zachäus stieg auf einen Baum, um von dort aus das Leben zu betrachten. Jesus hat ihn von dort herunter und damit aus seiner Isolation geholt.“ Gutheil möchte diesem Beispiel folgen, indem er den Eltern die Möglichkeit zum Austausch gibt.

Kontakt: Zentrum für Trauernde, Rhönstraße 8, Hanau, Telefon 0 61 81 / 74 01 74

So gesehen

„Zehner-Wort

Die Zehn Gebote auf zwei Gesetzestafeln – für Alfons Deissler fasst das nicht die Bedeutung des Bundes zwischen Jahwe, dem Gott Israels, und seinem Volk. Für den 2005 gestorbenen Alttestamentler sind die Zehn Gebote „die Bundes-Charta“ schlechthin.

Die Übersetzung „Gebote“ ist „nicht glücklich gewählt“, findet Deissler. Besser sei die Bezeichnung „Zehner-Wort“. Alle zehn „Worte“ sind ohne das „Vorwort“ nicht zu verstehen: „Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.“ Nach dieser Befreiung gibt Gott seinem auserwählten Volk zehn „Wegweisungen“ für die Zukunft. Vor jedem der zehn Worte kann man daher voranstellen: Weil ich dein Gott bin, der dich in die Freiheit geführt hat, wirst du …

Die ersten zwei „Wegweiser“ betreffen das Verhältnis zwischen Gott und Mensch: „Du wirst keine anderen Götter neben mir haben“ und „du wirst dir kein Bild von Gott machen“ (erstes Gebot) sowie „Du wirst den Namen deines Gottes nicht missbrauchen“ (zweites Gebot). Der dritte Wegweiser betrifft die „Heiligung des Sabbats“, denn an diesem Tage ruhte Gott – nach Erschaffung der Welt.

Die Wegweiser vier bis zehn betreffen das Zusammenleben, sind aber mit den anderen verbunden. Der vierte betrifft die Eltern. „Ehre Vater und Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt.“ Das fünfte Gebot „Du wirst nicht morden“ bezieht sich ursprünglich auf das eigene Volk – und nicht auf das Töten eines Gegners im Krieg.

Für ein gelingendes soziales Miteinander sorgen die Gebote: „Du wirst nicht die Ehe brechen“, „Du wirst nicht stehlen“ und „Du wirst nicht falsch aussagen gegen deinen Nächsten“. Die letzten Gebote schützen das Eigentum: „… Du wirst nicht begehren, was deinem Nächsten gehört.“

Hans-Joachim Stoehr

Stichwort Zwei Versionen

Die Zehn Gebote gibt es im Alten Testament in zwei Versionen: Im Buch Exodus (20, 1–17) und im Buch Deuteronomium (5, 6–21). Beim vierten Gebot unterscheiden sich die Texte: Das Buch Deuteronomium begründet ausführlicher, weshalb der Sabbat zu heiligen ist. Der Text im Buch Deuteronomium ist vermutlich später entstanden. (st)