Nach 45 Jahren ist Monsignore Hermann-Josef Herd noch immer gern Priester – „Ich würde den Beruf wieder wählen“
Von Maria Weißenberger
Als Hermann-Josef Herd 1965 zum Priester geweiht wurde, war es für die meisten noch selbstverständlich, zur Kirche zu gehören. Jetzt haben wir „ganz andere Zeiten“, die Seelsorge fordert heute mehr, sagt der Pfarrer von St. Peter in Heppenheim. An seiner Begeisterung ändert das nichts: „Es gibt keinen schöneren Beruf.“
„Wir sind nicht Herren eures Glaubens, sondern Diener eurer Freude.“ So hieß der Leitspruch bei seiner Weihe, und der Satz des Apostels Paulus (2 Korinther 1, 24) „gibt mir bis heute Orientierung“, sagt er. Be geistert war er vom „frischen Wind“ des Zweiten Vatikanischen Konzils, und diese Begeisterung schwingt noch immer mit, wenn er erzählt: „Ich habe die Erneuerung bejaht von vorne bis hinten, von der Liturgiereform bis zur Mitverantwortung der Laien“, die schließlich keine Christen zweiter Klasse seien.
Das Bild vom Volk Gottes unterwegs, erklärt er, trifft am besten sein Verständnis von Kirche: Mit den Menschen will er sein, wie es die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ des Konzils sagt: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“ Zweifel und Fragen möchte er noch hinzufügen, „denn Zweifeln gehört zum Glauben“. Wer die Fragen der Menschen nicht ernst nehme, könne die Botschaft Jesu nicht glaubwürdig verkünden. „Wir müssen zuallererst Hörende sein, nicht gleich Prediger.“
Am Anfang seiner Laufbahn sind die Menschen „von selbst“ gekommen, sein Dienst war überwiegend liturgisch geprägt. „Heute müssen wir auf die Menschen zugehen“, sagt Herd, wohl wissend, dass er den lieben Gott nicht zu ihnen bringen muss – der ist schon da. „Es geht darum, ihnen entdecken zu helfen, wo Gott vorkommt in ihrem Leben, und dass der Glaube eine tragende Basis sein kann, mit dem das Leben an Qualität gewinnt“, sagt er. Im Sinne der Menschen müsse sich die Kirche auch in gesellschaftlichen Fragen einmischen, „und das tue ich gern“, betont Herd.
Priester darf sich nicht im Pfarrhaus abkapseln
„Natürlich“ sei er enttäuscht, dass die Zahlen geringer werden; wie viele andere fragt auch er sich: Wo bleiben die Kommunionkinder, wenn der Weiße Sonntag vorbei ist? „Aber wir müssen realistisch sein – die Kirche ist nicht das Einzige, die Leute wählen stärker aus als früher.“ Gerade deshalb dürfe sich der Priester „nicht im Pfarrhaus abkapseln“, er müsse auf andere zugehen – ohne Vorbehalte: „Wir dürfen die Menschen nicht in Schubladen stecken.“ Solche „hingehende“ Seelsorge sei „fordernder, aber auch bereichernder“. Und zeitaufwendiger. Umso dankbarer ist er für „viele tolle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, die er hatte: Kapläne, Diakone, Pastoralreferentinnen – „von allen habe ich viel gelernt“. Die Arbeit im Team mit anderen Seelsorgern, mit Küstern und Sekretärinnen macht ihm Spaß, „wir ergänzen uns gegenseitig“.
In seiner Rolle als Priester versteht er sich nicht nur als Chef, sondern auch als Bruder, Freund und Begleiter – für Hauptamtliche wie für die Ehrenamtlichen. „Die Gemeinde zusammenholen“, sieht er als seine Aufgabe, „den Leuten zeigen, dass sie alle berufen sind.“ Klar, der Pfarrer ist mit der Autorität des Gemeindeleiters ausgestattet – „und vielleicht habe ich auch das eine oder andere autoritär durchgesetzt“, gibt er zu. Doch entscheidend ist, findet er, „dass alle an einem Strang ziehen und die Grundüberzeugung übereinstimmt“. Dann darf auch Auseinandersetzung sein, ist sogar manchmal notwendig.
Wann er seine Berufung zum ersten Mal gespürt hat, daran kann sich Herd gar nicht genau erinnern. Schon als Schulkind hatte er die Idee, Priester zu werden; wie ein roter Faden habe sie sich durch sein Leben gezogen. In der Gemeinde hat er Gruppen geleitet, war aktiv in der Pfarrjugend. Niemand habe ihn gedrängt. „Überleg dir das gut“, sagten seine Eltern, „du darfst dann nicht heiraten.“ In der Pubertät habe er sich schon die Frage gestellt, ob er ehelos leben könne. „Zum Glück“, sagt er, hat er eine „ganz normale Jugend erlebt“, lernte Mädchen kennen, hat sich auch mal verliebt. „Das gehört dazu.“ Und vermittelt zumindest eine Ahnung davon, worauf man im Zölibat verzichtet. „Für mich ist er die richtige Lebensform“, sagt Herd, „sie entspricht meiner Beziehung zu Christus. Und macht mich frei für die Gemeinde.“ Wobei es wichtig sei, bei aller Arbeit persönliche Freundschaften nicht „schleifen zu lassen“.
Den Ehrenamtlichen nicht immer noch mehr aufhalsen
Vorstellen kann sich Herd durchaus auch verheiratete Priester: „Überlegungen, viri probati – bewährte verheiratete Männer – zu weihen, sollten wir nicht mehr auf die lange Bank schieben“, findet er; auch über die Weihe von Diakoninnen sollte man nachdenken. Für ihn ist der Priestermangel eines der Zeichen für die Krise, in der sich die Kirche befindet – „nicht erst durch den Missbrauchsskandal“, betont er. Die großen Seelsorgeeinheiten seien sicher zurzeit notwendig, doch gehe dadurch auch der persönliche Kontakt verloren. „Den Ehrenamtlichen können wir nicht immer noch mehr aufhalsen.“
Traurig über das angekratzte Profil der Kirche
Manche Entwicklung in der Kirche hat ihn enttäuscht. „Da bemüht man sich vor Ort, baut Brücken – und dann kommen von Rom Signale, die nach Rückschritt riechen.“ Dabei denkt er etwa an gewisse liturgische Instruktionen, an die Erklärung zum Kirchenverständnis, die viele evangelische Christen verletzt hat, an die Vorgänge um die Piusbruderschaft. Aus Gesprächen weiß er: „Diese Dinge stimmen viele Katholiken traurig, denen ihre Kirche noch wichtig ist.“ Er fügt hinzu: „Auch ich bin traurig über dieses angekratzte Profi l meiner geliebten Kirche.“ Menschennah und gottvoll, wie der Theologe Paul Zulehner sagt, stellt er sie sich vor. Deshalb engagiert er sich, ist immer noch gern Priester. „Christus braucht Menschen, die an seiner Stelle für die Menschen da sind, für das Reich Gottes in der Welt.“
Warum er sich dennoch entschieden hat, Ende August in den Ruhestand zu gehen? „Man soll die dritte Lebensphase angehen, solange man noch Kraft hat und halbwegs gesund ist“, sagt der 70-Jährige. Energie wird er für die Umstellung brauchen, nicht zuletzt wegen seiner zölibatären Lebensform: „In der Gemeinde habe ich automatisch Kontakte genug“, sagt er. Künftig müsse er kreativer werden, aktiv seine Kontakte pflegen. „Deshalb bleibe ich in der Nähe“, hat er entschieden und sich in Bensheim eine Wohnung gesucht.
Arbeitslos wird er nicht: Er wird in der Seelsorge für Priester im Ruhestand mitwirken. An Begegnungen wird es also kaum fehlen – und die machen viel von der Faszination seines Berufs für ihn aus: „Ich würde es wieder so machen“, sagt er bestimmt. „Es gibt keinen anderen Beruf, der so bunt ist, so vielseitig, so erfüllend.“