Die Kirchenzeitungen für die Bistümer Fulda, Limburg und Mainz
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Ein echtes Herzschlagfinale

Ein echtes Herzschlagfinale

Blick übers Langhaus auf die Westtürme des Wormser Doms. Fotos: Daniela Tratschitt

Ein Gang ohne Netz und doppelten Boden rund um die Westtürme des Wormser Doms

Von Daniela Tratschitt

Kirchtürme haben etwas Erhabenes, etwas, das uns zum Himmel aufblicken lässt. Doch diese steinernen Himmelsstürmer haben noch viel mehr: Geheimnisse und Geschichten. Und denen sind wir mit unserer Sommerserie auf der Spur.

Auch wenn der Wormser Domturm nicht der höchste der sechs vorgestellten gewesen ist, bietet er doch spektakuläres Herzrasen – wenigstens für die, die unter fachkundiger Anleitung da hoch dürfen. Das ist nämlich unüblich und wird nur auf eigene Gefahr und unter besonderen Umständen gewährt. Der Grund: die Türme, speziell die des Westchors, sind relativ ungesichert. Vor allem dann, wenn man die schöne Aussicht über die Nibelungenstadt genießen will.

Architekt Jürgen Hamm auf der Galerie mit Originalsäulen aus dem elften Jahrhundert.

An sich geht die Wackelei schon ganz unten los. Denn anders als bei vielen anderen Kirchtürmen erwartet einen hier keine unendliche Treppe, sondern eine Rampe. „Das ist ein Eselssteig“, erklärt Jürgen Hamm, der derzeitige Architekt des Wormser Doms. „Hier wurden früher die Lasten hochgebracht, mit denen letztendlich die Türme und die Gewölbe gebaut wurden.“ Und da Esel ziemlich guten Halt auf unebenem Grund haben, wurde nicht unbedingt auf Ästhetik oder Sicherheit geachtet: der Bodenbelag besteht aus einbetonierten Kieseln. „Wobei man sagen muss, das der erst Anfang des 20. Jahrhundert erneuert wurde.“ Dann nämlich, als dieser Teil des Doms zum wiederholten Mal komplett neu aufgebaut wurde.

„Der erste Dom wurde von Bischof Burchard zu Beginn des elften Jahrhunderts erbaut. Hier, in den unteren Geschossen des Westturms, kann man noch Teile davon entdecken“, berichtet Hamm. „Allerdings ließ einer von Burchards Nachfolgern den Bau etwas mehr als 100 Jahre nach seiner Fertigstellung wieder Zug um Zug abreißen. Mitte des zwölften Jahrhunderts wird in Worms der schlechte Zustand der Kirchen beklagt. Möglicherweise ging die kurze Bauzeit von nur 18 Jahren für den ganzen Dom zu Lasten der Qualität.“

Weil aber ein Bischof einen Dom braucht, haben Burchard II. und Konrad II. den Dom wieder aufgebaut. Mit fast gleichen Plänen, aber dafür mit mehr Zeit für die Errichtung. 1181, nach nun circa 50 Jahren Bauzeit, wurde dieser Dom dann eingeweiht. Über die Jahrhunderte hinweg wurde der Wormser Dom immer wieder schwer beschädigt, brannte aus, wurde beinahe gesprengt, geplündert und als Pferdestall benutzt. 1886 erbarmte man sich des Gebäudes und fing an zu renovieren – was übrigens wieder einen fast kompletten Abriss des Westchors erforderte. „Diese Seite des Dome ist auf schlechtem Grund gebaut und hat immer Probleme gemacht.“

Wenn man den an die Auffahrt eines Parkhauses erinnernden Eselssteig erklommen hat, bekommt man ungewöhnliche Einund Ausblicke – über das Gewölbe des Langhauses, in verborgene Gänge und Kammern. Der erste Ausstieg liegt in circa 20 Metern Höhe. Von hier aus hat man genaue Sicht auf den Kreuzgang. Allerdings nur, wenn man sich traut, die nicht einmal einen Meter breiten Galerie entlang zu gehen. Mit nichts zwischen dem Wagemutigen und dem Abgrund als ein paar Säulen. In 35 Metern Höhe kann man noch einmal raus. Auf eigene Gefahr, darauf besteht der Mainzer Architekt. Zuerst muss man sich durch einen engen Durchlass kämpfen und dann liegt einem Worms zu Füßen. Einmal rum bedeutet Adrenalin pur. Auch wenn man sagen muss, so sehen nur die Wenigsten diese Dächer des Doms, die Stadt, die Bühne der Nibelungenfestspiele. Einmal gestolpert und es ist aus.

Wie stark einem bei diesem Spaziergang das Herz schlägt, merkt man erst, wenn man wieder unten ist. Und deshalb sind die Türme des Wormser Dom- Westchors auch das absolute Herzschlag-Finale.

Zur Sache

Eine kleine Familie im Nordostturm des Doms

Schon zum vierten Mal haben sich Wanderfalken ihr Nest im Wormser Turm gebaut.

Nicht nur Gläubige und Touristen wissen den Wormser Dom zu schätzen, sondern auch Wanderfalken. Vor drei Jahren haben das Falkenpärchen Friedrich und Isabella den Nordostturm als den perfekten Ort für ihren Horst erwählt. In diesem Jahr gab es sogar doppelt Nachwuchs: Margarethe und Peter. Und damit die Wormser auch was von ihren neuen Nachbarn haben, konnte man das Aufwachsen des gefiederten Geschwisterpaares per Kameraübertragung beobachten. Im Schaufenster des Geschäfts Ofen Horn stand bis zum Abflug der kleinen Wanderfalken im Juni ein riesiger Bildschirm, der live mit einer Webcam am Nest verbunden war. Vom Schlüpfen bis zu den ersten Flugversuchen waren Vogelbegeisterte stets live dabei.

Die kleine Familie fühlte sich augenscheinlich in Worms wohl, Friedrich und Isabella kommen wahrscheinlich im nächsten Jahr wieder, um ihren Nachwuchs aufzuziehen. Für Naturschützer ist die Ansiedlung der Wanderfalken in Worms eine Sensation – auch, dass es mit dem Nachwuchs so gut klappt. Immerhin waren die Falken in Rheinland- Pfalz vor ein paar Jahrzehnten fast ausgestorben.

Die Idee, Falken im Wormser Dom anzusiedeln, kam von dem Tierarzt Dr. Hilmar Kienzl: „Die erfolgreiche Wiederansiedelung dieses imposanten Vogels im Herzen der Stadt ist ein besonderes Ereignis.“ (ela)

Kirchturmspitzen

Schöne Aussicht

Wenn es um kurzsichtiges und engstirniges Denken geht, um egoistisches Handeln oder auch um fiese Verhaltensweisen wie das Bevorzugen der eigenen Gruppe oder die Begünstigung einiger Auserwählter: Dann muss ausgerechnet ich herhalten, mein Name wird für Wörter benutzt wie Kirchturmdenken und Kirchturmpolitik. Was für abwertende Begriffe für einen, der wie wenige den Überblick erlaubt und ungeahnte Aussichten eröffnet! Hätte ich nicht wahrlich positiv besetzte Wörter verdient?

Aber was rege ich mich auf? Das Ende meiner Schmähungen ist in Sicht: Überall werden größere Lebensräume verherrlicht, Gemeinden wachsen zusammen, ja verschmelzen gar zu größeren „Einheiten“. Die hässlichen Wörter werden aussterben – es gibt ja bald kein Kirchturmdenken mehr! Oder denke ich das nur?

Ihr Kirchturm

Sehenswert

Alte Sage neu erzählt

„Uns ist in alten mæren wunders vil geseit, …“ Jeder Schüler wird oder wurde während seiner Schulzeit mit dem Nibelungenlied konfrontiert. Die einen wissen die Geschichte über Liebe, Intrige und Mord zu schätzen, die anderen streiken schon bei diesem ersten Satz. Für erstere ist ein Besuch im Wormser Nibelungenmuseum spannend, weil sie noch mehr über den mittelalterlichen Heldenepos erfahren können, und für letztere, weil sie die Chance haben, eine große Geschichte auf ganz neue Art kennen zu lernen – durch Hörspiele, Videos, Kunst…

Nibelungenmuseum, Fischerpförtchen 10, 67547 Worms Telefon 0 62 41 / 20 21 20 www.nibelungenmuseum.de