Die Kirchenzeitungen für die Bistümer Fulda, Limburg und Mainz
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Das erste echte Penthouse von Fulda

Das erste echte Penthouse von Fulda

Bei der Turmbegehung geht es weit rauf. Vom Dach der Stadtpfarrkirche in Fulda haben Besucher einen tollen Blick über die ganze Stadt und auf den Dom. Fotos: Daniela Tratschitt

Die Stadtpfarrkirche St. Blasius hatte bis 1922 einen eigenen Türmer und hat deshalb heute eine Sehenswürdigkeit mehr

Von Daniela Tratschitt

Kirchtürme haben etwas Erhabenes, etwas, das uns zum Himmel aufblicken lässt. Doch diese steinernen Himmelsstürmer haben noch viel mehr: Geheimnisse und Geschichten. Und denen sind wir mit unserer Sommerserie auf der Spur.

Wer an Fuldas Kirchen denkt, hat sofort den Dom St. Salvator im Kopf. Als Grabeskirche des heiligen Bonifatius, des „Apostels der Deutschen“, als einen der wichtigsten Wallfahrtsorte im Land. Aber Fulda hat noch mehr Kirchen, Türme und Geschichten zu bieten. Die Stadtpfarrkirche St. Blasius ist dafür ein Beispiel. Nicht nur, dass der Bau über die Jahrhunderte sein Gesicht komplett verändert hat, dass aus einem Turm zwei wurden. Nein, hier gab es über lange Zeit sogar Türmer. Hier wurde nicht nur gebetet, sondern auch gewohnt. Und zwar ganz oben, im „neuen“ Südturm.

Wer sehen möchte, wie das erste echte Penthouse von Fulda ausgesehen hat, bekommt dazu viele Möglichkeiten – zuerst einmal kann man bei der Gemeinde selbst nachfragen, außerdem bietet die Volkshochschule Fulda Turmführungen an, die nächste am 9. Juli.

Als die vielen Glocken der Stadtpfarrkirche noch von Hand geläutet werden mussten, haben sich die Messdiener mit Schnitzen die Zeit vertrieben – die Treppengeländer tragen die Spuren

Aus eins mach zwei – das geht auch bei Türmen

Die Kirche selbst ist auch den einen oder anderen genauen Blick wert. Immerhin stand schon 970 an dieser Stelle die erste Kirche, die dann 1049 erstmals urkundlich als „Marktpfarrei“ erwähnt wurde. Die zweite Kirche wurde nach einem Brand 1103 im romanischen Stil wieder aufgebaut. Weil sich der Geschmack ändert, wurde sie in der Zeit von 1447 bis 1470 wieder neu gebaut – diesmal im gotischen Stil mit nur einem Turm. Und 1771 bekam St. Blasius nochmal ein neues, barockes Gesicht – und einen zweiten Turm. Das fand man damals einfach schicker. Seit dieser Zeit war auch Platz für einen Türmer. Die Glocken hatten ihr Haus im Nordturm, der Türmer hatte seins im Südturm. Von hier aus hatte er einen perfekten Blick über die Stadt, konnte Feuer oder Feinde schnell erblicken und zur Warnung die Glocke läuten.

Allerdings hat des Türmers Penthouse, außer der unglaublichen Aussicht, keine der Vorzüge moderner Dachwohnungen: kein Lift, kein Platz, kein großzügiges Bad, keine Dachterrasse. Wer den letzten Türmer Johann Josef Schäfer, seine Ehefrau Pauline oder eines seiner 14 Kinder besuchen wollte, bekam in einem Korb den Haustürschlüssel runtergeschickt und musste dann von unten etwas über die 162 Stufen mit hinauf nehmen – Kohle, Holz oder Wasser. Die „gute Stube“ der Türmer ist auch nicht groß – die Türmerfamilien hatten sechs Zimmer mit insgesamt 60 Quadratmetern. Unten befanden sich die offene Toilette im Treppenaufgang, gleich daneben die Miniküche, das Zimmer der Tante, das Wohnzimmer und ein Verschlag für die Kinder. Oben waren ein Zimmer für die Oma, das Schlafzimmer der Eltern und ein weiterer Verschlag für die Kinder. Als Speisekammer und Speicher diente ein Zwischengeschoss. Im Tantenzimmer wohnt heute ein Falkenpärchen mit Nachwuchs.

Dieser Aufstieg ist nicht ohne

Vor einigen Jahren wurden Kirche und Turm komplett saniert. Bewohnbar ist die Wohnung aber nicht. Seit dem endgültigen Auszug von Pauline Schäfer und zweien ihrer Töchter 1954 steht Fuldas ältestes Penthouse leer. Und man kann auch nicht einfach so da hoch. Die Möglichkeit besteht nur bei einer Führung – und die ist nicht ohne. Die Treppe ist ausgetreten und man kann sich an vielen Balken den Kopf stoßen. Doch die Ein- und Ausblicke und das Läuten der 4600 Kilo schweren Erlöserglocke entschädigen für den Aufstieg und für die Gefahr.

www.stadtpfarrei-fulda.de

Interview
Führung mit Petra Sorg

Die Geschichte vom lebensrettenden Hosenträger

Petra Sorg (57) ist Stadtführerin in Fulda und bietet Führungen in den Turm der Stadtpfarrkirche St. Blasius an.

Frage: Wie lange machen Sie das schon?

Sorg: Noch gar nicht so lange. Vor rund zwei Jahren kam Pfarrer Winfried Reith und fragte mich, ob ich Waldemar Eckert, der das seit Jahren macht, helfen könnte. Dazu muss man wissen, dass es sich dabei um meine Hauskirche handelt und ich auch Lektorin in der Gemeinde bin. Weil ich nicht Nein sagen kann, mache ich das jetzt mehrmals im Monat ehrenamtlich.

Haben Sie einen Lieblingsplatz im Turm?

Auch wenn das komisch klingt: das Schlafzimmer der Türmerfamilie. Es ist sehr hell, und man hat schon von dort eine tolle Aussicht über die Stadt.

Was ist für Sie besonders beeindruckend an dem Turm?

Wenn man sieht, unter welchen minimalistischen Umständen die Familie Schäfer dort oben jahrelang glücklich gelebt hat. Diese Möglichkeit, sich wieder auf das Wesentliche rückzubesinnen.

Haben Sie eine Lieblingsgeschichte?

Das ist eine, die ich zu Anfang der Führung erzähle: Natürlich hatten die Kinder der Schäfers oft Freunde zu Besuch. Einer davon, ein Kaufmannssohn, wollte beweisen, dass er sich traut, auf einen der Wasserspeier zu klettern. Und er wollte auch wissen, wie die Aussicht ist. Als er draußen hing, bekam er Angst und wollte rückwärts wieder reinkrabbeln. Allerdings verfingen sich seine Hosenträger im Maul des Speiers, und er konnte weder vor noch zurück. Er hat so geschrien, dass ihn die Menschen unten gehört haben. Die holten „D’r Dormschäfer“ und der half dem kleinen Jungen rein. Am Ende hieß es, außer ein paar Schürfwunden sei dem Kleinen nichts passiert – aber seine Hose war ganz nass. Seine Mutter hat danach allerdings erstmal eine Wallfahrt gemacht.

Ist die Führung anstrengend?

Ja, allerdings nicht mehr wegen der vielen Stufen – ich wohne selbst im vierten Stock. Sondern weil ich so aufpassen muss. Auch wenn ich immer sage, das geht auf eigene Gefahr, schau ich immer, dass keiner zurückbleibt.

Kirchturmspitzen

Auf Abstand

Wer an der (Kirchturm-)Spitze ist, der hat es geschafft. Ist ganz oben angekommen. Hat andere „unter sich“, wie es umgangssprachlich heißt. Eine Position, die den Überblick verschafft. Die Weit-Sicht ermöglicht. Aus-Sichten entdecken lässt. Solange nichts das Auge trübt. Nichts die Sicht verschleiert.

Weit weg – über den Dingen stehend – ist manches klarer zu erkennen als direkt vor den Augen. Auf Abstand gehen, hilft wahrzunehmen, was „mittendrin“ nicht zu erkennen war. (Nicht nur) an der Kirchenspitze ein guter Grund, gelegentlich Abstand zu nehmen von allem und allen anderen. An der Kirchturmspitze – oft mit dem Zeichen des Kreuzes „gekrönt“ – wird deutlich: Kein Mensch ist der Höchste. Da ist immer noch einer über dir. Ihm nahe zu sein – auch dazu kann manchmal helfen, sich eine Weile zu entfernen.

Weitab von allen anderen zu kreisen, sich dauerhaft hoch über sie zu erheben, das allerdings geht mit Ihm gar nicht. Er stellt ja gerade die übliche Vorstellung von „Spitzenposition“ auf den Kopf: Er bleibt nicht oben, kommt nahe, auf Augenhöhe. Wendet sich dir zu. Fragt, was dir fehlt, was du brauchst. Fragt nicht pro forma. Will es wirklich wissen: Was willst du, was ich dir tun soll? Hört zu, wenn du antwortest. Tut was. Hilft dir leben. Das ist Spitze.

Maria Weißenberger

Sehenswert

Stadtführungen durch Fulda

Wer die Barockstadt, Domstadt und Fürstenstadt näher kennenlernen will, hat dazu in Fulda viele Möglichkeiten. Egal ob für kleine oder große Gruppen, Einzelreisende, Tagestouristen, interessierte Einwohner oder Familien mit Kindern ab fünf Jahren. Sogar Führungen mit Schauspielern gibt es bei der Touristeninformation.

Auch die Länge der Führungen variiert – je nachdem, was man alles sehen möchte: Altstadt, Dom, Schloss.... Besonders empfehlenswert ist laut Stadtführerin Petra Sorg die Michaelskirche. „Meiner Meinung nach die schönste Kirche von Fulda.“

Info, Buchung und Anmeldung: Telefon: 06 61/1 02 18 14 oderE-Mail: tourismus@fulda.de