Momentan ist die Kirche stark gebeutelt, die Vertrauenskrise beherrscht immer noch viele Berichte in den Medien – wobei sie oft allein auf den Missbrauchsskandal zurückgeführt wird. Sehen Sie das auch so, oder greift diese Erklärung zu kurz? Was entfremdet die Menschen der Kirche?
Dieser Prozess zieht sich ja schon länger hin. Vielleicht übersieht man bei all den Analysen, dass die jetzige Situation das Ergebnis von Entwicklungen ist, die seit vielen Jahren stattfinden. Die bisherige „Volkskirche“ ändert sich einfach ein Stück weit und nimmt andere Dimensionen an – darum ist und bleibt natürlich der Glaube immer mehr eine Entscheidung des Einzelnen – und das ist nicht einfach. Dass die Milieus zerfallen, in denen der Glaube bisher vielleicht leichter leben konnte, wirkt sich ja nicht nur bei uns, sondern auch bei den evangelischen Christen seit langem aus.
Wie kann die Kirche das verlorene Vertrauen zurückgewinnen?
Indem wir das, was wir ohnehin täglich tun und wozu wir berufen sind, gut und noch besser machen – von großen Sonderaktionen halte ich überhaupt nichts. Wenn ich bedenke, dass wir jeden Tag 13 000 Schüler in unseren Schulen haben, 8500 Kinder in den Kindergärten, 1300 Jugendliche in unseren Jugendeinrichtungen – und da ist über Jahrzehnte kein Vorfall gewesen, der Grund für Misstrauen gegeben hätte. Ich habe mich ges-tern eigens noch mal unterrichten lassen: Wir haben im Blick auf unsere Schulen nach wie vor eine sehr große Akzeptanz, wir können gar nicht alle interessierten Schüler aufnehmen, und das gilt auch für andere Einrichtungen. Man soll daher diese Vertrauenskrise auch nicht immer wieder herbeireden. Wir haben noch viel Vertrauen bei sehr, sehr vielen Menschen, die Gott sei Dank zu uns halten. Es gibt ja auch viele Leute – Laien und Priester – die mit einer ungeheuren Loyalität täglich ihren Dienst tun und geschätzt werden von vielen Menschen.
Wir haben unser Versagen vielleicht auch ein bisschen zu viel gebetsmühlenartig wiederholt. Ich habe mich dagegen immer gewehrt. Ich bin mir darüber im Klaren, dass der Missbrauch innerhalb der Kirche für viele Menschen eine furchtbare Enttäuschung war, und was das Leid der Opfer betrifft, lässt sich überhaupt nichts beschönigen. Aber wenn ich einmal gesagt habe, dass es mir bis in die Seele hinein leid tut und dass ich alles tun werde, um sexuellen Missbrauch in der Kirche nach Möglichkeit zu verhindern, dann muss ich das nicht dauernd wiederholen.
Wir sind ja im Lauf der letzten Jahrzehnte von historischer oder soziologischer Seite her manchmal etwas belächelt worden wegen der Schuldbekenntnisse. Ein Schuldbekenntnis zu häufig zu wiederholen, kann auch gefährlich werden.
Es wird inflationär und ist dann nichts mehr wert. Wenn ich einem anderen Menschen gegenüber einmal sage, ich habe Mist gebaut und einen großen Fehler gemacht, oder auch wenn ich jemandem sage, ob in Freundschaft oder Ehe, ich liebe dich, dann wiederhole ich das nicht ewig. Man muss also aufpassen, dass ein solches Wort nicht an Kraft und Wert verliert.
Ich denke, wir dürfen vor allen Dingen den Gewinn an Vertrauen nicht an den Themen vorbei suchen, die heute die Menschen und damit auch die Sendung der Kirche betreffen. Ein Beispiel: Es ist nach wie vor nötig, dass man die Bedeutung Gottes in der Gesellschaft, aber auch im Leben des einzelnen Menschen, immer und immer wieder durchbuchstabiert und zu Bewusstsein bringt. Es ist ja durchaus auch zum Beispiel aufregend für uns, dass in allen Umfragen unter den Werten, die Menschen suchen und bejahen, immer wieder Treue und Verlässlichkeit genannt wird, auch in der Shell-Jugendstudie. Es ist erstaunlich, dass auch junge Leute dies immer wieder suchen. Das ist für uns ein Aufruf, in der Hinführung zur Ehe in diesem Sinn auf die Leute zuzugehen. Aber auch ganz aktuelle Dinge, beispielsweise die Probleme um die Kernkraft, muss man einfach aufgreifen.
Dass das alles dialogisch, kommunikativ, argumentativ geschehen muss, ist gar keine Frage. Ich habe ja schon am Anfang als Vorsitzen-der der Bischofskonferenz ein Grundsatzreferat gehalten über den Dialog als Form der Kommuni-kation in der Kirche (1994), und das ist für mich seit Jahrzehnten selbstverständlich. Papst Paul VI. hat in seiner ersten Enzyklika 1964 wunderbar über den Dialog in der Kirche geschrieben – wenn man sich auch wünscht, dass das von Rom aus etwas ernster genommen würde.
Ich denke auch, wir schleppen manche Themen vor uns her und enttäuschen durch nicht gegebene oder nicht besonders überzeugende Antworten nicht wenige Menschen. So ist es für mich überhaupt keine Frage, dass ich mich bezüglich der Ehe für Treue und Verlässlichkeit einsetze. Aber gerade, wenn ich das mache, muss ich mich stärker um die Menschen kümmern, die daran gescheitert sind – ohne gleich am Anfang die Schuldfrage zu stellen. Ich habe mich ja seit Jahrzehnten sehr bemüht, was den Umgang mit Geschiedenen Wiederverheirateten angeht.
Auch andere Dinge sind ja seit Jahren immer wieder in der Diskussion, etwa das Diakonat der Frau. Darüber ist vieles gearbeitet worden, es gibt da und dort auch amtliche Äußerungen, die aber noch keine Antwort sind. Wobei es mir gar nicht so darauf ankommt, ob es eine Neuerung in der Sache gibt. Mir kommt es auf eine saubere, gediegene Antwort an, und selbst wenn die mir nicht ohne weiteres passt, wäre die Sache mindestens einmal entschieden. Das gilt auch für die „viri probati“ und manche anderen Dinge. Ich glaube, wir müssen uns in diesen unmittelbaren Fragen bewähren.
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