Die Kirchenzeitungen für die Bistümer Fulda, Limburg und Mainz
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„Kirche mit Herz“
23.05.10

„Kirche mit Herz“

Nähe zum Menschen in Hannoveraner Großraumpfarrei mit 12000 Gläubigen – Interview

 

Ausgabe 21 vom 23. Mai

Der 53-jährige Bernd Galluschke ist seit 1991 Pfarrer im Osten Hannovers. Bild: privat

Die deutsche Kirche steht vor neuen Herausforderungen. Größere pastorale Einheiten werden dabei sicherlich das Bild mitprägen. Unter anderem darum geht es bei einer Diskussion im Oberurseler Gemeindezentrum St. Crutzen am 31. Mai, 19.30 Uhr.

Dazu hat der Bezirkssynodalrat Hochtaunus Pfarrer Bernd Galluschke aus Hannover eingeladen. Im Interview spricht er über die Erfahrungen aus seiner Pfarrei mit 12000 Katholiken.

Frage: Im Bistum Limburg läuft seit Anfang 2009 der Prozess „Bereitschaft zur Bewegung“ in sechs Piloträumen, initiiert durch Bischof Tebartz-van Elst. Ihm geht es um eine geistliche Erneuerung, zukunftsweisende pastorale Aufgaben unter veränderten personellen Bedingungen und einer veränderten Lebensgesellschaft. Ihr Pilotprojekt in Hannover-Ost gibt es seit 2001. Wie kam es dazu?

Pfarrer Galluschke: Im Jahr 2001 wurde unserem damaligen Bischof Josef Homeyer vor allem über die sich dramatisch verändernde Situation der Priester und die einbrechende Zahl der Pfarrer unwiderruflich deutlich, dass wir die Pastoral nicht so weiterführen können wie bisher. In der Situationsanalyse kam dazu auch noch der sich verschärfende Finanzmangel, der Rückgang der Kirchenbesucher und der gerade dem sozialpolitisch engagierten Bischof erkennbare Bedeutungsmangel der Kirche.

Dieser vierfache Mangel bewegte ihn, im Gespräch mit dem damaligen Professor Tebartz-van Elst einen Pilotversuch zu starten. Eigentlich, so damals Professor Tebartz-van Elst, müsste man das ganze Bistum mit Pilotprojekten übersäen. Aber dafür fehlten natürlich die Begleitungsmöglichkeiten. Daher wurden eine ländlichere Region und eine Großstadtpfarrei ausgesucht, um zwei exemplarische Pilotprojekte durchzuführen. Der Auftrag wurde zusammengefasst unter dem Titel: Missionarisch Kirche sein in größeren pastoralen Räumen. Mit dem Ziel zu verstehen, wie die Mangelsituationen bearbeitet und die Pastoral verändert werden müsste, um zukunftsfähig zu sein. Zwei Dechanten, unter anderem ich, wurden beauftragt, dieses Projekt in einem Zeitraum von fünf Jahren durchzuführen, begleiten zu lassen und immer wieder die Erkenntnisse zu evaluieren.

„Kirche kann dann ein Herz für die Menschen zeigen, wenn es an vielen Orten, Knotenpunkten christlichen Lebens, Nachbarschaften, geprägten Sozialräumen lebendige Zellen gibt.“
Pfarrer Bernd Galluschke

„Kirche mit Herz“ heißt Ihre Website – klingt einladend ... So soll es auch sein! Unsere Vision ist zwar immer wieder eine Gewissenserforschung – ob wir wirklich solch eine Kirche mit Herz sind –, aber das ist nicht so tragisch. Daran können wir nur wachsen. Die Vision ist ernst gemeint: Alle dürfen hier zu Hause sein – auch wenn das manchmal etwas anstrengend ist in unserem Multi-Kulti-Milieu. Kirche muss ja Weltdimensionen haben. Das Herz steht natürlich nicht nur für ein Mitfühlen mit den Menschen, sondern auch als Mitte des Menschen für ein ganzheitliches Sein.

Kann Kirche in einer aus ehemals fünf selbstständigen Pfarreien entstandenen Gemeinde mit bald 12000 Gläubigen überhaupt noch „Herz“ zeigen?

Im Grunde nicht! Andererseits: Jetzt erst Recht, wenn, ja wenn wir uns verabschieden von einer Pfarrer- und Hauptberuflichen- Kirche. Kirche muss Kirche mit den Menschen sein und nicht für sie – das wäre sonst entwürdigend gegenüber den Christen. Kirche kann dann ein Herz für die Menschen zeigen, wenn es an vielen Orten, Knotenpunkten christlichen Lebens, Nachbarschaften, geprägten Sozialräumen lebendige Zellen gibt. Und die sich mit dem Selbstbewusstsein, Kirche vor Ort mit den Menschen zu sein, um sie und um ihre Sorgen, Freude und Nöte kümmern.

Bis dahin war es sicherlich ein langer, für manche auch ein schmerzlicher Weg. Stichwort: Abschied von der eigenen Gemeinde und von Gewohnheiten. Konnten solche Befürchtungen ausgeräumt werden?

In der Tat ist es nicht nur ein langer, sondern auch ein trauriger Weg. Dafür muss Raum sein. Das musste ich erst lernen. Natürlich kenne ich die Trauerphasen, ob nach Kübler-Ross oder in anderen Interpretationen. Aber es war für mich völlig neu, dass dieselben Phasen auch bei gemeindlichen Veränderungen und Aufgaben im System Pfarrgemeinde ablaufen! Damit ist mir sehr viel klarer geworden, was „Chance-Management“ wirklich meint. Befürchtungen und Verlustängste kann man weder ausräumen noch schön reden. Nein! Es gibt einfach die Brutalität der Realität – und die ist weder mit spirituellen Reden noch sonst irgendwie schön zu reden. Der Weg geht nicht anders als durch die Trauerphasen hindurch zu neuer Hoffnung. Man darf dann nur nicht meinen, wenn ein Abschiedsprozess durch gestanden ist, wäre alles ruhig. Weit gefehlt. In diesen Zeiten der Veränderung beginnt bald wieder der nächste Trauerprozess. Veränderung und Abschied gehören zu unserem Leben und zum Christsein dazu. Sonst gibt es auch keine Auferstehung – wir wissen das alle. Und doch versuchen wir heile Welt zu spielen.

Ein Credo bei Ihnen lautet „Missionarisch Kirche sein“. Ist Ihnen dies bereits gelungen?

Nicht nur meiner Wahrnehmung nach haben wir uns auf einen guten Weg gemacht. Aber am Ziel sind wir wahrlich noch lange nicht angekommen. Zu Beginn mussten erst viele Missverständnisse rund um das Wort Mission ausgeräumt werden – vor allem bei den guten Katholiken. Auch die diakonale-missionarische Dimension der Eucharistiefeier ist immer wieder in den Blick geraten. Wir haben einen guten, aber anstrengenden Weg begonnen. Auf dieser langen „Wüstenwanderung“ ist uns jedenfalls klarer geworden, wie „missionarisch Kirche sein“ gehen könnte. Es gibt eine Reihe ganz guter Ansätze, die seit 2001 gewachsen sind. Einige will ich gern benennen als kleine Pflänzchen für missionarische Kirc

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  • unsere Kleinen Christlichen Gemeinschaften mit ihrem Sendungsbewusstsein,
  • der Schülertreff für Kinder aus Problemfamilien;
  • die Kindertagesstätte in ihrer Sorge um Eltern auf der Suche nach Gott;
  • das Hospiz und die Trauerpastoral rund um das Kolumbarium (Urnenhalle);
  • die Initiativen im Bereich der Diakonie – wie zum Beispiel die Valentinsagape für Obdachlose und die „Tafel“ (Essensausgabe für Bedürftige)

Hat sich im Laufe der Jahre auch das Miteinander von Haupt- und Ehrenamtlichen, vielleicht bedingt durch veränderte Strukturen, gewandelt?

Natürlich hat sich dieses Miteinander verändert. Wir Hauptamtlichen und Hauptberuflichen sind immer mehr zu Begleitern und Ermöglichern für das Engagement der Ehrenamtlichen geworden. Bedingt durch die gewachsene Zahl der Kirchorte, nehmen einige Ehrenamtliche wesentlich mehr an eigenständiger Verantwortung wahr. Auch die Kleinen Christlichen Gemeinschaften führen ein sehr selbstständiges Leben. Vor allem aber hat sich das Bewusstsein von Kirche-sein ganz langsam in eine partizipative (mitwirkende) Haltung verändert. Hier sind wir aber wirklich noch am Anfang.

Sie planen unter anderem den Aufbau von Profilkirchen und auch von Netzwerken im pastoralen Raum, in denen Kleine Christliche Gemeinschaften eine besondere Rolle spielen. Ein schwieriges Unterfangen?

Für die Gemeindemitglieder ist ein solcher Weg arg gewöhnungsbedürftig. Nicht mehr das ganze Angebot an allen Kirchorten zu finden, sondern Kindergottesdienste, Jugendpastoral, Freiwilligenarbeit oder soziales Engagement an bestimmten Orten schwerpunktmäßig vorzuhalten und auszubauen ist aber notwendig, um eine gute Qualität bieten zu können, statt alles irgendwie überall zu versuchen. Die Entstehung von Kleinen Christlichen Gemeinschaften wurde zuerst argwöhnisch beäugt, aber mittlerweile sind sie gut akzeptiert, stellen sie doch ein langsam wachsendes Netzwerk von „Kirchen“ vor Ort dar, die sich auch je nach ihren Charismen und Möglichkeiten einbringen in das Netzwerk von Aktivitäten im pastoralen Raum.

Welches Fazit ziehen Sie nach neun Jahren?

Diese Frage ist im Grunde nicht wirklich in ein paar Sätzen zu beantworten. Mir scheint jedoch, dass in diesen Jahren etwas vom Reich Gottes gewachsen ist, dass die „lebendige Kirche mit Herz für alle“ ein wenig mehr erfahrbar geworden ist für die Menschen im Osten von Hannover, unter anderem durch ein Netzwerk von Kirchen am Ort. Und das gilt auch im Blick auf viele Verluste, zurückgehende Kirchenbesucher und enttäuschte Gemeindemitglieder. In jedem Fall sind für eine gut fundierte Kirchenentwicklung sehr wichtig: ein partizipativer Ansatz von Kirche-sein, ein funktionierendes Team von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen, die sich mutig und mit Gottvertrauen auf den Weg machen, als Kundschafter in neues, unbekanntes Land.

Interview: Bernhard Perrefort

Hintergrund

Erkunden

Neue Möglichkeiten der Seelsorge werden im Prozess „Bereitschaft zur Bewegung“ erkundet, den Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst Anfang 2009 im Bistum Limburg in Gang setzte. Für die sechs Piloträume (Wiesbaden- City, Frankurt-City-Nordend-Ostend, Bad Camberg, Rennerod, Dillenburg und Wetzlar-Süd) sind folgende Themenfelder für die Erkundung benannt worden: Geistliche Gemeinschaften und Gottesdienst, Katechese in einer missionarischen Kirche, Themenfeld Caritas, Aufbau und Vernetzen von Glaubensbiotopen, Profile der Ämter, Dienste, Charismen und Ordensberufungen, Fortentwicklung des synodalen Miteinanders, Neuordnung der Verwaltung. (bp)

www.bereitschaftzurbewegung.bistumlimburg.de

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