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Ein Jahr in der russischen Pampa
24.01.10

Ein Jahr in der russischen Pampa

Hochheimer Abiturientin Hannah Wagner leistet einen Freiwilligendienst in einem Kinderheim

 

Ausgabe 4 vom 24. Januar

Trotz mancher Widrigkeiten hat sich Hannah Wagner an das Leben in Russland gewöhnt. Foto: privat

Hannah Wagner liebt Momente wie diesen: Aljona schmatzt in ihrer Hängematte zufrieden vor sich hin. Die junge Hochheimerin hat das Mädchen zuvor dort hineingelegt. Foto: privat

Hochheim (jas/hw/bp). Hannah Wagner ist 18 Jahre alt. Seit September leistet die Abiturientin aus Hochheim einen Freiwilligendienst im russischen Priozersk. Dort engagiert sie sich in einem Heim für schwer- mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche.

Durch das Osteuropa-Hilfswerk Renovabis gelangte sie „in die russische Pampa etwa drei Stunden von Sankt Petersburg entfernt“. Das Dorf, berichtet sie, bestehe im Wesentlichen aus fünf Plattenbauten. Regelmäßig falle der Strom aus, und kein Busfahrer käme auf die Idee, sich nach dem Fahrplan zu richten. „Die Länder im östlichen Teil Europas stehen wegen mancher Klischees nicht gerade auf der Wunschliste junger Erwachsener, die sich für einen Freiwilligendienst im Ausland entschieden haben“, weiß denn auch die Renovabis-Referentin für Internationale Freiwilligendienste, Wiltrud Wiemold. Doch die anfängliche Skepsis der jungen Frauen und Männer, die einen Einsatz im Osten Europas leisteten, wandele sich nicht selten schnell in große Begeisterung.

„Die jungen Freiwilligen machen gerade wegen bestehender Vorurteile besonders intensive positive Erfahrungen und entwickeln meist eine ganz besondere Beziehung zu ihren Einsatzländern“, betont Wiemold. Diese Erlebnisse seien nicht zu unterschätzen, da sie das ursprüngliche Bild vom „grauen Osten“ in den Köpfen junger Erwachsener erheblich korrigierten.

„Da die Kinder nur einmal die Woche gebadet werden, wurden ihnen allen die Haare abrasiert.“

Hannah Wagner Hannah Wagner bestätigt, dass das Jahr in Russland für sie als Freiwillige „voll von neuen Eindrücken, einer neuen Sprache, neuen Menschen, einfach einem völlig neuen Leben“ sei. Ein Leben, das sie beginnt, trotz „kleiner er Krisen wirklich zu mögen“: Sie hat gelernt, mit einem zweiwöchigen Ausfall der Warmwasserversorgung oder einer nicht richtig funktionierenden Heizung in ihrer Wohnung, die sie mit einem deutschen und zwei russischen Freiwilligen teilt, umzugehen. Die Wochenenden verbringt Hannah oft in Sankt Petersburg bei anderen jungen engagierten Leuten.

Das Wesentliche für Hannah ist die Arbeit im Kinderheim. „Nachdem ich bereits in Deutschland ein Praktikum in einer Einrichtung für behinderte Kinder gemacht habe, werde ich immer wieder wütend, wenn ich sehe, dass diese Kinder hier in Russland unter vollkommen anderen Bedingungen aufwachsen und nie auch nur annähernd dieselben Chancen haben werden“, beklagt die Abiturientin. Und sie unterstreicht, wie wichtig gerade deswegen die Freiwilligenarbeit in diesen Projekten sei.

In Hannahs Kinderheim, das außerhalb Priozersks liegt, leben etwa 300 Kinder. Die schwächsten von ihnen sind auf der Station untergebracht, auf der die jungen Freiwilligen eingesetzt werden. „Fachpersonal gibt es bei uns fast keines“, erzählt Hannah. „Sanitarkas“, Frauen ohne Ausbildung oder Rentnerinnen, „kommen lediglich zum Füttern, Windelnwechseln und Putzen in die Gruppenräume.“ Oft haben sie 48 Stunden am Stück zu arbeiten, was die Motivation nicht fördere, meint Hannah Wagner. Außerdem arbeiten eine Ärztin, einige Krankenschwestern und ein Masseur auf der Station. „Therapeuten“, so die Abiturientin, „kommen höchstens mal zu Besuch vorbei.“

Die Hochheimerin betreut zehn Kinder. Keines von ihnen kann sprechen, viele sind blind. „Da sie nur einmal in der Woche gebadet werden, wurden ihnen allen aus Hygienegründen die Haare abrasiert“, schreibt Hannah in einem Erfahrungsbericht. Diese Maßnahme findet sie „nicht im Geringsten würdevoll, und die Kinder sehen schrecklich damit aus. Doch diese Überlegungen kann bei uns niemand so recht verstehen: Die Hauptsache ist doch schließlich, dass die Pflege möglichst unkompliziert ist.“

Hauptaufgabe Hannahs ist es, Abwechslung in das Leben der Kinder zu bringen, sie aus ihren Betten zu holen, mit ihnen zu reden, zu spielen oder sie einfach nur in den Arm zu nehmen. „Am Anfang ist es mir häufig schwer gefallen, ständig neue Motivation aufzubringen, wenn von diesen schwachen Kindern keine erkennbare Reaktion kam. Doch mittlerweile habe ich gemerkt, dass sie einfach eine ganz andere Sprache haben, mit der sie zeigen, was ihnen gefällt. Durch sie lerne ich, die kleinen Momente zu schätzen“, freut sich die junge Deutsche. Momente zum Beispiel, in denen die blinde Larissa nicht erschreckt, wenn Hannah sie berührt, oder wenn Sascha aufhört zu weinen.

„Inzwischen liebe ich meine Arbeit wirklich, trotz täglichen Kämpfen mit den Sanitarkas“, erklärt Hannah. Auf Unverständnis stößt sie zum Beispiel, dass sie Ilja jeden Morgen in seinen Rollstuhl setzt, obwohl das Füttern doch viel schneller geht, wenn man ihm das Essen im Liegen in den Mund schaufelt. Oder dass Hannah Wagner Nastja selbstständig essen lässt, obwohl das schwer behinderte Mädchen derart kleckert, sodass der Tisch geputzt werden muss.

Trotz solcher Umstände hofft Hannah Wagner, „dass sich auch in Zukunft weiterhin neue Jugendliche dafür begeistern lassen werden, denn die Kinder in den russischen Kinderheimen sind so sehr angewiesen auf Menschen, die sich für sie interessieren und die bereit sind, Stück für Stück das System zu verändern.“

Berichte von Hannah Wagner: www.nicht-groenland.de

Renovabis-Jahresmotto 2010: „Alle sollen eins sein. Miteinander handeln im Osten Europas“. Die Pfingstaktion wird am 25. April in Frankfurt eröffnet.

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