Die Kirchenzeitungen für die Bistümer Fulda, Limburg und Mainz
 Startseite -  Verlag -  Stellenangebote -  Inhalt -  Impressum -  Kontakt 
„Wir sind Klasse“
10.10.10

„Wir sind Klasse“

Kirche will mit speziellen Angeboten jungen Menschen Orientierung bieten – und Fernstehende ansprechen

 

Ausgabe 41 vom 10. Oktober

An einem Strang ziehen – das will gelernt sein. Wie es gelingen kann, gegen Ausgrenzung und Mobbing in einer Klasse vorzugehen, wird in Seminaren der schulnahen Jugendarbeit vermittelt. Foto: Eva Wilke

Stefanie Bandlow Foto: privat

Freut sich über den Erfolg der schulnahenJugendarbeit: Michael Thurn Foto: privat

Von Eva Wilke

Jona@school heißt die Angebots-Palette, mit der sich die Jugendkirche Frankfurt an Schülerinnen und Schüler wendet. Persönlichkeitsentwicklung und soziale Kompetenz sollen sie stärken. Aber auch ein Türöffner in die katholische Kirche sein.

„Wir sind Klasse!?“ heißt das Seminar, zu dem sich eine siebte Klasse eines Frankfurter Gymnasiums angemeldet hat. 21 Jungen und 13 Mädchen wollen an ihrer Klassengemeinschaft arbeiten. Denn darin sind sich alle einig: So kann es nicht weitergehen.

Die Klasse ist in viele kleine Grüppchen zerfallen, die sich gegenseitig bekriegen. Die Klassenlehrerin, Silvia Sohn, hatte der Klasse den Vorschlag gemacht, das Seminar der Jugendkirche Jona zu besuchen. „Die Gruppe ist sehr groß, wir haben einen sehr hohen Anteil Jungen in der Klasse. Es gab Fälle von Ausgrenzung und Mobbing“, beschreibt Sohn die Situation der Klasse.

Die Aufgabe: einen Turm bauen

Nun steht die Gruppe auf einem gekiesten Platz am Fritz-Emmel-Haus in Kronberg mit Blick auf den Opel-Zoo. Die Aufgabe: „Ihr sollt einen Turm bauen“, so Seminar-Leiter Gregor Schulz. Doch was sich leicht anhört, ist so einfach nicht. Die Holzklötze, aus denen der Turm gebaut werden soll, stehen an einem Ende des Platzes. Sie sind zum Teil nicht rechteckig, sondern haben eine schräge Oberfläche. Im oberen Fünftel haben die Bauklötze alle eine Einkerbung. Hier muss der metallene Steigbügel der Kranvorrichtung greifen, der an vielen Schnüren befestigt ist.

Jede Schülerin und jeder Schüler bekommt eine Schnur in die Hand. Klar ist: Nur durch gemeinsames Handeln kann der Bauklotz ergriffen werden und dann über den Platz, einen Parcours entlang, auf den Bauplatz getragen werden.

Erst Krisensitzung, dann Absprache

Die ersten Versuche gehen schief. Beschuldigungen werden laut. Krisensitzung. Gemeinsam mit Gregor Schulz analysiert die Gruppe, was sich ändern muss und welche Absprachen getroffen werden müssen, damit der Auftrag erfüllt werden kann. Rollen werden geklärt und Aufgaben verteilt. Dann funktioniert es: Der Gruppe gelingt es, drei Klötze aufeinander zu stapeln. Ein Erfolgserlebnis, das trägt. In der anschließenden Pause sitzt die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler gemeinsam in einer Sitzecke. „So zusammen zu sitzen, das wäre vor dem Seminar nicht möglich gewesen“, da sind sich alle einig.

Das Seminar „Wir sind Klasse!?“ ist ein Angebot der Jugendkirche Jona Frankfurt im Rahmen der so genannten „schulnahen Jugendarbeit“. Die katholische Kirche möchte mit diesem Angebot, das sich ausdrücklich nicht als Schulsozialarbeit begreift, Jugendliche ansprechen, die von den Pfarrgemeinden nicht erreicht werden können und „mit Kirche nichts am Hut haben“, wie der Frankfurter Stadtjugendpfarrer Dr. Werner Otto es formuliert. „Wir wollen Jugendliche auf ihrem Weg begleiten und unterstützen, ihnen Orientierung bieten.“

Das Angebot der Jugendkirche eröffnet Jugendlichen und Schulklassen einen Raum für soziales Lernen, der gerade an Gymnasien durch den straffen Lehrplan nach der G8-Umstellung weitgehend verloren gegangen ist. „Die Kinder und Jugendlichen verbringen immer mehr Zeit in der Schule und haben wenig Ausgleich. Soziales Lernen, das früher in Familien, Vereinen und Kirchengemeinden stattfand, muss eigentlich in der Schule stattfinden“, sagt Jugendbildungsreferent Gregor Schulz.

In einem ganz neuen Licht

Aber dort fehlt die Zeit. Das bestätigt auch Silvia Sohn, die ihre Klasse während des Seminars in ganz neuem Licht sieht. „Ich unterrichte Mathematik und Sport an drei Tagen in der Woche in der Klasse. Da haben wir kaum Gelegenheit, Probleme zu bearbeiten.“ Denn Klassenstunden gibt es in der siebten Jahrgangsstufe nicht mehr. Probleme müssen im Fachunterricht besprochen werden. Das geht von der Lernzeit ab.

Daher ist Sohn froh, das Angebot der Jugendkirche von der Schulpsychologin empfohlen bekommen zu haben.

Nachgefragt

„Suche und Sinn sind zentrale Fragen“

Vier Fragen an Stefanie Bandlow (27), Oberursel, Jugendbildungsreferentin in der Katholischen Fachstelle für Jugendarbeit (KFJ) Taunus.

Frage: Wie sind Sie auf das Programm schulnahe Jugendarbeit gekommen, und was zeichnet es konkret aus?

Bandlow: Seit 2008 hat das Bistum Limburg einen Schwerpunkt auf diesen Bereich gesetzt. Damit trägt es der Entwicklung Rechnung, dass die Schule zum zentralen Lebensort für Kinder und Jugendliche geworden ist. Möchten wir als katholische Kirche die Lebenswirklichkeit von Jugendlichen mitgestalten und sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützen, so müssen wir sie in der Schule aufsuchen.

Unser Programm für den Bereich schulnahe Jugendarbeit hat sich nach und nach entwickelt. Den Anfang machte das Angebot „Tage der Orientierung“. Bei dieser meist dreitägigen Veranstaltung geht es darum, die Glaubens- und Lebensfragen der Jugendlichen aufzugreifen, sie miteinander ins Gespräch zu bringen und ihnen neue Impulse für ihr Leben mit auf den Weg zu geben.

Klassenseminare entstanden durch die große Nachfrage von Lehrern nach einer Veranstaltungsform, die sich mit der kompletten Klasse, dem Umgang miteinander sowie offenen oder versteckten Konflikten beschäftigt. Stärkung des Gemeinschaftsgefühls, Einüben von Kommunikations- und Kooperationsfähigkeiten und Förderung sozialer Kompetenzen sind Ziele dieser zweitägigen Seminare.

Zusätzlich bieten wir noch eine Reihe anderer Projekte und Seminare an, die sich an den Bedürfnissen der jeweiligen Schulen orientieren. So erreichen wir Schülerinnen und Schüler quer durch die Milieus und von allen Schulformen, auch viele kirchenferne Jugendliche sind dabei. Ich sehe es als meine persönliche Aufgabe an, bei ihnen ein positives und anregendes Bild von Glauben und von Angeboten der katholischen Kirche zu hinterlassen.

Sie engagieren sich ja unter anderem auch in Förderschulen. Was unterscheidet diese Schulform von „normalen“ Schulen?

In Förderschulen werden Kinder unterrichtet, die in ihren Bildungs-, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten beeinträchtigt sind. Sie bekommen eine entsprechende sonderpädagogische Unterstützung. Die größte Stärke der Förderschulen ist, dass durch mehr Personal die Klassen kleiner gehalten werden können und somit individueller unterrichtet werden kann.

Wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit Förderschulen aus?

Bereits seit 2007 veranstaltet die KFJ Taunus jährlich erlebnispädagogische Tage mit einer SchuB Klasse aus Hattersheim. SchuB steht dabei für „Lernen und Arbeiten in Schule und Betrieb“. In solchen Klassen sind Schüler, die wegen Lern- und Leistungsrückständen den Hauptschulabschluss in der Regelklasse nicht erreichen. Ziel der mit uns durchgeführten erlebnispädagogischen Veranstaltung ist es, die sozialen Kompetenzen der Schüler zu fördern. Kletteraktionen, Kanu fahren, längere Wanderungen und Übernachtung im Freien stellen die Jugendlichen vor große Herauforderungen und machen sie stolz, wenn sie sie bewältigt haben. Bewusst haben wir dafür das Kloster Arnstein als Veranstaltungsort gewählt. Denn Orte, wo Glauben gelebt wird, sind auch für kirchenferne Jugendliche nicht uninteressant; sie müssen nur die Chance bekommen, diese zu erleben. Für viele ist das spirituelle Flair des Klosters genau das, was sie suchen und brauchen.

In diesem Jahr haben wir erstmals mit der Friedrich-von-Bodelschwingh-Schule in Hofheim zusammen gearbeitet, einer Schule für Praktisch Bildbare. Gemeinsam mit zwei Lehrerinnen bereiteten wir uns intensiv auf die Veranstaltung mit Menschen mit Behinderung vor. Veranstaltungsort war das Haus St. Gottfried, ein ehemaliges Kloster in Ilbenstadt. Auffallend waren die vielen Fragen der Jugendlichen, die sie rund um ihr Leben beschäftigen. „Warum bin gerade ich so?“ „Warum bin ich anders als die anderen?“ „Gibt es Gott wirklich?“ Für alle Beteiligten war es eine sehr gute Erfahrung, bei der wir gegenseitig viel voneinander gelernt haben.

Unser Ziel ist es, Angebote wie diese noch weiter auszubauen.

Wie wichtig ist der Bezug von Kindern und Jugendlichen zu Kirche und christlichen Werten?

Manchmal könnte man den Eindruck bekommen, dass ihnen Werte überhaupt nicht mehr wichtig sind. Bei meiner Arbeit als Jugendbildungsreferentin erlebe ich allerdings das Gegenteil. Ich merke oft, dass die Suche nach Orientierung und dem Sinn des Lebens zentrale Themen der Jugendlichen sind, wo sie auf ihre Fragen Antworten von uns Erwachsenen und von der Kirche erhoffen.

Manche Werte unseres Glaubens werden von den Jugendlichen natürlich auch kritisch hinterfragt, aber genau das zeigt, dass sie sich mit ihren eigenen Wertevorstellungen auseinandersetzen und dabei Hilfestellung von außen brauchen. Die Verknüpfung Kinder/Jugendliche und Kirche/Glaube gelingt jedoch nur, wenn die Heranwachsenden auf Menschen treffen, die ihren Glauben authentisch vertreten.

Dort, wo Kirche und junge Leute sich treffen, soll es vor allem schön sein. Dort, wo junge Leute von uns weggehen und es „schön“ fanden (beziehungsweise „krass“ oder „cool“), haben wir sie mit Gott berührt.

Interview: Mirjam Ratmann

Stichwort

Jugendkirche und Schule

Im Bistum Limburg gibt es drei Jugendkirchen: in Wiesbaden, Limburg und Frankfurt. Alle drei bieten im Zuge der schulnahen Jugendarbeit Projekte für Schulklassen an, die das soziale Klima in Klassen verbessern helfen sollen, aber auch der persönlichen Orientierung dienen. Übergeordnetes Ziel der Angebote der Jugendkirchen für Schulen ist es, auch kirchenferne Jugendliche mit der katholischen Kirche in Berührung zu bringen. Das Bistum Limburg beteiligt sich an der Finanzierung der Projekte. (ewi)

Hintergrund

Ein Bereich, der Boomt

Das ist ein toller Arbeitsbereich, der boomt einfach.“ Michael Thurn (37), Abteilungsleiter Jugendliche und junge Erwachsene im Dezernat Kinder, Jugend und Familie, freut sich über den Erfolg der schulnahen Jugendarbeit im Bistum Limburg. „Wir arbeiten mit über 100 Schulen zusammen, die Tendenz ist steigend. Pro Jahr nehmen etwa 4200 Schülerinnen und Schüler an Maßnahmen der schulnahen Jugendarbeit teil. Das heißt, sie sind bei cirka 180 Tages- oder Mehrtagesveranstaltungen dabei – diejenigen nicht mitgezählt, die die drei Schülercafés in Frankfurt, Geisenheim und Taunusstein- Hahn besuchen. Auch die Jugendlichen, die im Rahmen von Großveranstaltungen in Kirchenräumen stundenweise mit ihrer Schulklasse kommen, sind dabei nicht berücksichtigt“, berichtet der Diplom-Theologe. Er schätzt, dass dies zusammengezählt ungefähr noch einmal 1500 junge Menschen sind.

Ein neuer Schwerpunkt zeichne sich in der Zusammenarbeit mit Förderschulen ab, der Kontakt werde weiter ausgebaut. „Mit Fug und Recht kann gesagt werden, dass die schulnahe Jugendarbeit sich in besonderer Weise auch benachteiligten Schülerinnen und Schülern zuwendet“, so Thurn.

Wie erklärt er sich den Boom der schulnahen Jugendarbeit? „Die jungen Menschen erleben dabei eine positive Begegnung mit Kirche. Das heißt, der Kirche wird zugetraut, soziale und spirituelle Kompetenz, also etwas wirklich Hilfreiches, anzubieten“, sagt Michael Thurn.

Statistische Erhebungen belegten, dass sich dieser Arbeitsbereich positiv entwickelt habe und eine große Nachfrage bestehe. Seiner Erfahrung nach gelingen gerade die Begegnungen mit kirchenfernen Jugendlichen erstaunlich gut: „Kirche gewinnt für sie ein Gesicht, irritiert sie positiv. Insofern hat die schulnahe Jugendarbeit auch etwas Missionarisches“, so Thurn. Deshalb betrachte das Dezernat Kinder, Jugend und Familie die schulnahe Jugendarbeit als einen wichtigen Schwerpunkt, der nach Möglichkeit weiter ausgebaut werden solle. (kai)

Zur Sache

Ergänzend

Schulnahe Jugendarbeit ergänzt Religionsunterricht und Schulseelsorge. Angebote sind unter anderem „Tage der Orientierung“, die spirituelle Erfahrungen ermöglichen. Bei Klassengemeinschaftsseminaren wird soziales Verhalten eingeübt, für neu zusammengesetzte Klassen werden Projekttage angeboten. Oasentage geben Gelegenheit, einen Tag im Kirchenraum zu verbringen. In Schülercafés wird Verantwortung eingeübt. (kai)

Informationen: Telefon 06431/295363, E-Mail:m.thurn@bistumlimburg.de

Ihr Draht zu uns

Redaktion Limburg

Frankfurter Straße 9
65549 Limburg
Tel. 06431 / 9113-34
Fax 06431 / 9113-37
Mail: h-kaiser@kirchenzeitung.de

Redaktion Frankfurt

Domplatz 3 (Haus am Dom)
60311 Frankfurt
Tel. 069 / 8008718-260
Fax 069 / 8008718-261
Mail: b-perrefort@kirchenzeitung.de

Abonnenten

Tel. 06431 / 9113-24
Fax. 06431 / 9113-37
Mail: vertrieb@kirchenzeitung.de

Anzeigen

Tel. 06431 / 9113-22
Fax. 06431 / 9113-37
Mail: anzeigen@kirchenzeitung.de