Die Kirchenzeitungen für die Bistümer Fulda, Limburg und Mainz
 Startseite -  Verlag -  Stellenangebote -  Inhalt -  Impressum -  Kontakt 
Signal der Heimkehr
12.09.10

Signal der Heimkehr

Jüdische Gemeinde in Mainz weiht Gemeindezentrum und Synagoge ein

 

Ausgabe 37 vom 12. September

Rabbiner Julian- Chaim Soussan, der aus Düsseldorf zur Einweihung gekommen war, bläst das Schofar. Das Widderhorn wird auch zum jüdischen Neujahrsfest Rosch-Haschana geblasen, das die Juden in diesem Jahr vom 9. bis 10. September feiern. Vor allem am Neujahrstag symbolisiert der Gebrauch des Horns Hoffnung und das Entstehen von Neuem. Fotos: Anja Weiffen

Der 26 Meter hohe Turm symbolisiert das Widderhorn. Durch die Fenster fällt das Licht genau auf die Stelle, von der aus der Tora gelesen wird.

Jeanine Wittstock und Nira Scherer

Christel Liptow

Von Anja Weiffen

Weit über die Stadtgrenzen hinaus schallt der Ruf von der „neuen Mainzer Synagoge“. Bei der Einweihung, zu der auch Bundespräsident Christian Wulff und der israelische Botschafter Yoram Ben-Ze‘ev anreisten, wurde deutlich, welchen Stellenwert der Neubau hat.

In einer Prozession werden die Torarollen aus den alten Gemeinderäumen in die neue Synagoge getragen. Die Rabbiner stellen die Schriftrollen in den Toraschrein, der das Herzstück des Gebetsraums ist. Nach dem Blasen des Schofar (Widderhorn) entzündet Stella Schindler-Siegreich, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mainz, das Ewige Licht. Es sind die ersten Rituale im neuen Zuhause der jüdischen Gemeinde. Ein Zuhause, das von Dauer sein soll.

Das ist nicht selbstverständlich, wie Charlotte Knobloch, Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, betont. Nach der Shoah sei ein deutsches Judentum von den Juden selbst abgelehnt worden, sagt sie. „Es gab sogar ein Ultimatum, innerhalb von sechs Wochen Deutschland zu verlassen.“

Aber das Judentum sei eine Religion der Hoffnung. Für sie sei diese Hoffnung immer unerschütterlich gewesen. „Es sind Tage wie heute, an denen ich weiß, dass es richtig war, zu bleiben.“ Für die Zentralratsvorsitzende ist die Mainzer Synagoge „selbstbewusstes Signal der Heimkehr des deutschen Judentums“. Sie fährt fort: „Heimat bedeutet mehr als nur toleriert zu werden, sondern als Mensch Anerkennung zu bekommen.“ Viel Zuspruch habe die Gemeinde vor allem aus der Bevölkerung erhalten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg baute eine kleine Anzahl von Juden die Mainzer Gemeinde auf. Immer wieder waren in der Geschichte der Stadt die Juden ermordet oder vertrieben worden. Bis in die 1980er Jahre lebten etwa 75 jüdische Familien in Mainz. Nach dem Zuzug jüdischer Einwanderer aus den ehemaligen Sowjet-Republiken zählt die Gemeinde mehr als 1000 Mitglieder, wodurch der Bau des Gemeindezentrums erforderlich wurde. Jetzt hoffen die Mainzer Juden auf einen eigenen Rabbiner, für den im Obergeschoss des Neubaus eine Wohnung bereitsteht.

Zur Sache

„Die Synagoge ist gebaute Spiritualität“

Schön oder häßlich? Das Werk des jüdischen Architekten Manuel Herz widersetzt sich solchen Kategorien. Als „kühner Bau“ ist die Synagoge bezeichnet worden. Sie sticht hervor, nicht nur im Mainzer Stadtbild, auch unter den neuen Synagogen in Deutschland, die seit der Zerstörung der jüdischen Gotteshäuser vor allem seit den 1990er Jahren gebaut wurden. „Das neue jüdische Gemeindezentrum Mainz zeigt, dass wir uns nicht mehr verstecken müssen“, sagt Charlotte Knobloch, Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Das Auffälligste am Bauwerk, dessen dunkelgrüne Keramikfassade bei Sonnenschein geradezu leuchtet, ist die Silhouette. Sie stellt die fünf Buchstaben des hebräischen Worts „Qadushah“ dar, das Erhöhen oder Segnen bedeutet. Die Schrift ist ein zentrales Element des Konzepts, mit dem der junge Architekt Manuel Herz 1999 den ausgeschriebenen Wettbewerb gewann. „Für mich geht heute ein Traum in Erfüllung“, sagt er bei der Einweihungszeremonie und dankt besonders dem „Kuratorium zur Förderung eines Jüdischen Gemeindezentrums“, zu dem unter anderen auch Kardinal Karl Lehmann gehört.

Herz hat seinem Mainzer Projekt den Namen „Licht der Diaspora“ gegeben. Damit knüpft er an das mehr als 1000-jährige Erbe der jüdischen Gemeinde in Mainz an, der man wegen ihrer Weisheit den Namen „Licht der Diaspora“ gab. Die Bedeutung des Mainzer Judentums im Mittelalter hat der Daniel-Libeskind-Schüler im Gebetsraum aufgegriffen. An den Wänden haben Stuckateure Worte in Stein gemeißelt. Herz: „Wir sind hier von einem Meer von Buchstaben umgeben, die religiöse Dichtungen der Mainzer Rabbiner des zehnten und elften Jahrhunderts abbilden .“

Für Monsignore Klaus Mayer, Mainzer Pfarrer im Ruhestand mit jüdischen Wurzeln, ist die Einweihung ein besonderer Tag. Sein Großvater Bernhard Mayer war Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, als vor genau 98 Jahren die Vorgängersynagoge eingeweiht wurde. Für Mayer ist die neue Synagoge gebaute Spiritualität. „Jeder, der hierher kommt, muss sich mit dem Bauwerk auseinandersetzen.“ (wei)

Buchtipp: „Gebauter Aufbruch. Neue Synagogen in Deutschland“. Stiftung Baukultur Rheinland- Pfalz, Schnell+Steiner, 19,90 Euro

Zur Person

Leo Trepp tot

Leo Trepp, in Mainz geborener Rabbiner, ist in San Francisco im Alter von 97 Jahren gestorben. Mit ihm starb der letzte Rabbi, der noch während der Nazizeit in Deutschland predigte. Er war in Mainz Honorarprofessor und Ehrensenator. Stadt und Bistum Mainz würdigten ihn „als einen der herausragendsten Vertreter des deutschen Judentums und der christlich-jüdischen Verständigung und Versöhnung“. (kna)

Zitiert

„Ein Traum“

Jeanine Wittstock und Nira Scherer, jüdischen Glaubens: „Für mich ist es wie ein Traum, ich kann kaum glauben, dass unserer Gemeinde nun ein solch beeindruckendes Gebäude zur Verfügung steht“, schwärmt Jeanine Wittstock aus Mainz. „Die Synagoge wird sicherlich ein Besuchermagnet, der viele Menschen aus aller Welt anzieht“, ist sich Nira Scherer aus Wiesbaden sicher. Beide freuen sich auf kulturelle Veranstaltungen und andere Begegnungen mit interessierten Besuchern, die willkommen seien.

Christel Liptow, konfessionslos: „Die Architektur mit ihrer besonderen Linienführung ist einfach grandios und erfrischend anders als das, was man gewohnt ist“, meint Christel Liptow aus Bad Homburg. „Die warme Atmosphäre gibt einem gleich das Gefühl, willkommen zu sein und lädt dazu ein, aufeinander zuzugehen und sich mit Interesse und Toleranz zu begegnen.“

Renate Reuber, katholisch: „Am Freitag habe ich mir schon die Prozession mit den Torarollen angeschaut“, sagt Renate Reuber. „Es war so faszinierend, wie die Menschen auf der Straße getanzt haben.“ Ihr Wunsch ist, dass sich eine ähnlich gute Zusammenarbeit entwickelt wie zwischen evangelischer und katholischer Kirche.

Reinhard Schnell, evangelisch: Reinhard Schnell, der aus der Nähe von Alzey gekommen war, hatte die Übertragung der Eröffnungsfeier im Fernsehen verfolgt und war froh, dass Gebäude beim Tag der offenen Tür mit eigenen Auge sehen zu können. „Für die Zukunft wünsche ich der Gemeinde nur das Allerbeste“, betont Schnell, der 1941 in den Wirren des Kriegs geboren wurde. „Was damals passiert ist macht mich sehr traurig, daher hoffe ich, dass sich solch schlimme Ereignisse nie wiederholen.“

Fotos und Interviews von Nicole Weisheit-Zenz

Ihr Draht zu uns

Redaktion

Liebfrauenplatz 10
55116 Mainz
Tel. 06131 / 28755-0
Fax 06131 / 28755-22
Mail: info@kirchenzeitung.de

Abonnenten

Tel. 06431 / 9113-24
Fax. 06431 / 9113-37
Mail: vertrieb@kirchenzeitung.de

Anzeigen

Tel. 06431 / 9113-22
Fax. 06431 / 9113-37
Mail: anzeigen@kirchenzeitung.de