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Wunschkind trotz Technik nicht garantiert
28.11.10

Wunschkind trotz Technik nicht garantiert

Was Eltern alles tun, um die Ungewissheit in der Schwangerschaft unter Kontrolle zu bringen

 

Ausgabe 48 vom 28. November

Dr. Thomas Hahn Foto: Julia Jendrsczok

Professor Johannes Reiter Foto: Julia Jendrsczok

Von Julia Jendrsczok

Eine Schwangerschaft bedeutet für viele werdende Eltern eine Zeit der Hoffnung und Freude. Für Menschen mit vererbbaren Krankheiten kann sie aber zu einer Zeit der Angst werden. Manche Paare versuchen, ihre Angst mit immer neuen Methoden in den Griff zu bekommen. Zum Beispiel mit der Präimplantationsdiagnostik (PID).

Ein Paar hatte schon mehrere Fehlgeburten hinter sich. Bei einer Untersuchung stellten Humangenetiker einen genetischen Defekt fest, sprachen aber gleichzeitig von einer geringen Chance auf ein gesundes Kind. „Dieses Paar hatte vor dem Hintergrund der vielen Fehlgeburten, die es bereits erlebt hatte, große Angst“, sagt Dr. Petra Thorn aus Mörfelden, Familientherapeutin und Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Kinderwunschberatung „BKiD“. „Sie hatten Angst vor einer weiteren Fehlgeburt, Angst, dass eine künstliche Befruchtung fehlschlägt und Angst, dass bei einer PID keine gesunden befruchteten Eizellen gefunden werden.“ Das Paar ließ im Ausland eine PID (siehe Kasten) durchführen und bekam schließlich ein gesundes Kind.

Dabei stellt sich die moralische Frage, ob die Angst dazu berechtigt, Leben zu selektieren. „Für Paare mit einer solchen Vorgeschichte ist die PID oft die einzige Möglichkeit, überhaupt ein Kind zu bekommen“, sagt Thorn. Nach ihrer Erfahrung nutzen nicht alle die Gelegenheit, ins Ausland zu gehen und sich dort untersuchen zu lassen. Die Beraterin erlebt auch Menschen mit Kinderwunsch, die nach der Beratung auf ein Kind verzichten oder ein Kind adoptieren. „Die Paare setzen sich intensiv mit der Frage auseinander“, betont sie.

„Man kann nur bestimmte Krankheiten untersuchen“

Verängstigte Paare erlebt auch Dr. Thomas Hahn vom Kinderwunschzentrum in Wiesbaden in seiner Praxis. Zu ihm kam ein Paar, das sich ein Kind wünschte. Der Mann saß im Rollstuhl, er litt an einer schweren Erbkrankheit. „Ich möchte nicht, dass meine Kinder diese Erkrankung erleiden müssen, die mich ein Leben lang quält“, sagte er zu Dr. Hahn. „Das Paar tat mir leid“, sagt Hahn, selbst Vater von vier Kindern. Die Angst nehmen konnte er ihm nicht. „Eine PID hätte Sicherheit geben können“, sagt der Gynäkologe.

Die Therapeutin Petra Thorn weist darauf hin, dass die PID den Eltern die Angst vor einem kranken Kind nicht unbedingt nehmen könne: „Man kann ja nur bestimmte Krankheiten untersuchen. Es kann trotzdem zu einer Fehlgeburt kommen, oder das Kind kann mit einer anderen Krankheit behaftet sein.“

„Politik sollte PID nicht verbieten, sondern regeln“

Außerdem könnte die PID den Embryonen schaden. Dr. Hahn: „Frauen, bei denen die PID durchgeführt wurde, wurden weniger häufig schwanger als ohne die Diagnostik. Es scheint nicht belastungsfrei zu sein.“ Trotzdem würde der Reproduktionsmediziner die Untersuchung unter bestimmten Umständen durchführen: „Ich bin da hin und her gerissen. Aber bei Krankheiten, die mit dem Leben unvereinbar sind, sollte die Untersuchung erlaubt werden“, sagt er.

Bei diesem Argument setzen Kritiker an: Sie befürchten einen Missbrauch der Methode, die Entwicklung zum Designer-Baby. „Allein die Angst vor Missbrauch einer aus meiner Sicht in Einzelfällen segensreichen Methode sollte nicht zu deren Verbot führen“, sagt Hahn. Stattdessen sollten sich die Politiker auf die ethische Diskussion einlassen und die PID klar regeln, fordert er.

Dr. Hahn möchte mit der Methode spätere Abtreibungen überflüssig machen. Wenn es in Zukunft möglich ist, würde er die Diagnostik aber auch nutzen, um „die Embryonen mit dem besten Entwicklungspotential zu identifizieren“ und sie der Mutter einsetzen. Ein Beispiel dafür, dass die Sorge der Kritiker berechtigt sein könnte.

Zur Sache

Die wichtigsten Begriffe

In-vitro-Fertilisation

  • kurz IVF, heißt übersetzt „Zeugung im Glas“
  • Die Eierstöcke der Frau werden mit Hormonen stimuliert. Dadurch reifen mehrere Eizellen gleichzeitig heran, die der Frau entnommen und außerhalb des Körpers mit Samenzellen des Partners vermischt werden.
  • Schon vor der vollständigen Befruchtung der Eizellen werden diejenigen mit dem besten Entwicklungspotential ausgewählt und 48 Stunden in einer Nährlösung in einem Brutschrank aufbewahrt.
  • Bis zu drei Embryonen werden dann in die Gebärmutter übertragen (Embryonentransfer).
  • Die Methode gehört zum Standard bei der Behandlung von unfruchtbaren Paaren.
  • Etwa jeder vierte Transfer in die Gebärmutter führt zu einer Schwangerschaft.

Präimplantationsdiagnostik

  • Während der IVF kann man eine Präimplantationsdiagnostik (PID) durchführen.
  • Dazu werden außerhalb des Körpers erzeugte Embryonen auf bestimmte Gendefekte untersucht. Weist ein Embryo das Merkmal auf, wird er vernichtet.
  • Die PID ist in manchen Ländern erlaubt, in Deutschland galt sie bislang als illegal. Im Juli 2010 stellte der Bundesgerichtshof in einem Urteil fest, dass die PID nicht gegen das Embryonenschutzgesetz verstößt und damit straffrei bleibt. Seitdem gibt es Forderungen nach einem Verbot.
Interview

„Einmal zugelassen, ist die PID nicht mehr zu steuern“

Die Präimplantationsdiagnostik (PID) wirft nicht nur medizinische, sondern auch ethische Fragen auf. Professor Johannes Reiter ist Moraltheologe an der Universität Mainz und beschäftigt sich seit 2002 mit ethischen Fragen zur PID.

Frage: Wie stehen Sie persönlich zur Präimplantationsdiagnostik?

Reiter: Ich lehne sie aus ethischen Gründen ab. Das primäre Ziel der PID ist die Selektion. Hier wird menschliches Leben nicht um seiner selbst Willen gewollt oder erzeugt, sondern unter dem Vorbehalt einer Qualitätskontrolle. Die Eigenschaften gesund oder krank werden zu lebenswert oder lebensunwert. Hier wird eine Diagnose gestellt, nicht um zu heilen, sondern um Embryonen zu vernichten. Dies wird auch Auswirkungen auf das Arztbild haben.

Worin sehen Sie mögliche Gefahren durch die PID?

Auf Dauer gesehen wird das Lebensrecht in unserer Gesellschaft relativiert. Jetzt noch wollen die Befürworter der Methode ausschließlich schwer kranke Embryonen verhindern. Dabei bleibt es aber nicht. Einmal zugelassen, ist die PID nicht mehr zu steuern. Sie wird zu einem obligatorischen Bestandteil einer In-Vitro-Fertilisation. Denn wenn Eltern schon die Prozedur der künstlichen Befruchtung auf sich nehmen, wollen sie auch eine mögliche Garantie für ein gesundes Kind. Die PID leistet der Vorstellung eines „Menschen nach Maß“ Vorschub. Das Wünschbare wird zur Norm. Das ist verbunden mit tiefgreifenden Veränderungen in der Einstellung gegenüber Krankheit und Leid und gegenüber Behinderten und ihren Angehörigen.

Ist es ethisch vertretbar, einem Paar, das von einer „schweren Erbkrankheit“ betroffen ist, die PID zu gestatten?

Das Paar begibt sich bewusst in einen ethischen Konflikt. Die Entscheidung ist schon vor der PID getroffen: Wir wollen nur ein gesundes Kind. Ethisch verantwortbare Alternativen wären eine Adoption oder der Verzicht auf Kinder.

Kann man einem Paar den Wunsch nach einem gesunden Kind absprechen?

Alle Eltern wollen natürlich ein gesundes Kind haben, aber bei der PID ist die Sache etwas anders: Hier wollen Eltern nur dann ihr Kind, wenn es gesund ist. Das ist ein entscheidender Unterschied. Es gibt aber kein Recht auf ein Kind und es gibt auch kein Recht unter Kindern auszuwählen. Jedes Kind hat ein Recht, um seiner selbst willen gewollt zu sein und nicht Wunschobjekt elterlicher Vorstellungen zu sein.

Die PID ist rechtlich umstritten, die spätere Abtreibung eines behinderten Embryos aber straffrei. Gibt es ethisch gesehen einen Unterschied?

Wenn man von den Folgen ausgeht, gibt es keinen Unterschied. In beiden Fällen kommt es zur Tötung eines Embryos.Unterschiede gibt es jedoch bei der Strategie. Wenn eine Frau meint, sie könne aus physischen oder psychischen Gründen den Embryo nicht austragen, sieht der Gesetzgeber von einer Strafe ab. Bei der PID ist die Frau aber noch nicht schwanger, sondern hier wird das Leben bewusst in der Retorte erzeugt und bewusst selektiert. Bei der Spätabtreibung handelt es sich um einen Konflikt zwischen dem Lebensrecht des Kindes und dem Wollen und Empfinden der Frau. Bei der PID handelt es sich um Kalkül.

Interview: Julia Jendrsczok

Kommentar

Paare nicht allein lassen

Der Preis der PID ist zu hoch. Embryonen sollten nicht vernichtet werden, um einem wahrscheinlich gesunden Kind zum Leben zu verhelfen. Selbst die Embryonen, denen nach der Diagnose eine Chance auf ein Leben eingeräumt wird, werden durch die Untersuchung gefährdet. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass die Kirche die Methode ablehnt.

Aber neben dem ungeborenen Menschen sind noch weitere Menschen von Leid bedroht: die werdenden Eltern. Es wäre fatal, sie zu verurteilen und dann allein zu lassen. Es ist wichtig, ihre Beweggründe zu verstehen und auf sie zuzugehen. Sie handeln oft aus Angst. Sie haben Angst, dass etwas schief läuft in ihrem Leben. Angst, dass die Gesellschaft ein behindertes Kind nicht akzeptiert, dass sie selbst damit überfordert sein könnten. Oder Angst, dass sie eine Totgeburt erleiden müssen.

Dieses Leid kann wohl nur nachvollziehen, wer es selbst erlebt hat. Das Bild von jähzornigen Eltern mit der Gier nach einem perfekten Designerbaby ist sicher nicht richtig. Niemand weiß, wie oft sich Frauen lediglich ein Kind wünschen, das sie nicht tot zur Welt bringen müssen.

Deshalb ist es besonders wichtig, diesen Paaren in ihrer schwierigen Situation glaubhaft die Botschaft Jesu zu vermitteln: Habt keine Angst! Ich bin bei euch.

Wenn Paare nur das strikte Verbot der PID durch die Kirche hören, wundert es nicht, dass sie sich abwenden, dass sie sich unverstanden und abgelehnt fühlen. Deshalb ist es wichtig, beides zu betonen: den Schutz des ungeborenen Lebens, aber auch ein Annehmen und Ernst-nehmen der Paare mit ihren Sorgen und Ängsten. Nur dann kann es gelingen, dass Menschen, die sich mit der Frage der PID beschäftigen, Vertrauen in kirchliche Einrichtungen haben und dort Rat und Hilfe suchen. Nur dann hat die Kirche überhaupt eine Chance, den Eltern ihre Ängste zu nehmen und ihr Ziel zu erreichen: das ungeborene Leben zu schützen.

Julia Jendrsczok

Zitiert

Kirchenvertreter zur PID

Der Mensch mache sich bei dieser Diagnose zum Herrn über das Leben und entscheide bei Embryonen, „wer davon überlebt und wer nicht. Das ist unerträglich“, sagte Erzbischof Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, in einem Interview in der „Welt am Sonntag“.

Der Bischof von Fulda, Heinz Josef Algermissen:„Die faktische Zulassung der PID wird die Mentalität fördern, Leben auszuwählen statt zu wählen.“

„Diese Entscheidung ist mit unserem christlichen Verständnis der Menschenwürde nicht vereinbar“, sagt Ingrid Fischbach, Präsidentin des Katholischen Deutschen Frauenbunds (KDFB), zum Gerichtsentscheid über PID.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Präses Nikolaus Schneider, äußerte „viel Sympathie“ für das Bestreben, die PID „unter eng gefassten Bedingungen zuzulassen“.

Der bayerische evangelische Landesbischof Johannes Friedrich lehnt die PID ab. Sie überschreite die Grenze des ethisch Verantwortbaren, sagte er.

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