Die Kirchenzeitungen für die Bistümer Fulda, Limburg und Mainz
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Der (Kerzen-)Schein trügt
20.12.09

Der (Kerzen-)Schein trügt

Geistliche Reihe „…davon ich singen und sagen will“ der Bistumsakademie Erbacher Hof in Mainz gestartet

Die O-Antiphon zum Bild lautet folgendermaßen: „O Wurzelspross Jesses, der du dastehst als Zeichen der Völker, komm, uns zu befreien, zögere nicht länger! Der Liedtext bezieht sich auf eine Passage im Alten Testament, die das messianische Reich ankündigt. (Jesaja, 11, 10) Foto: kna

Von Andrea Ackermann

Advent im Kirchenlied – ist das der „liebe Advent“, den uns das Lied „Wir sagen euch an“ ankündigt? Nein, sagt Professor Hansjakob Becker, Referent der Startveranstaltung „Glaubensschätze der Kirchenlieder“, und gibt jeglicher Romantik eine Absage.

Vielfach malen die Adventslieder keine idyllischen Bilder mit glänzenden Kinderaugen, beschaulicher Stimmung und fröhlicher Weihnacht überall. Im Gegenteil, sie lassen uns singen: „In Angst und Elend liegen wir / und fl ehn voll Sehnsucht auf zu dir“.

Anstatt sich in eine heile Welt zurückzuziehen, nimmt der Advent im Kirchenlied die Welt ernst, so, wie sie ist: mit allen Dunkelheiten des Lebens. Lieder für depressiv gestimmte Pessimisten? Wohl eher für Realisten – allerdings nicht für solche, die an der Wirklichkeit verzweifeln. Dies ist eine Botschaft der Adventslieder, die Professor Hansjakob Becker, emeritierter Liturgiewissenschaftler der Universität Mainz, am Eröffnungsabend der „Geistlichen Reihe“ ausgewählt hat.

Die Lieder enthalten eine Hoffnungsperspektive, sagt Becker: Der Sänger bringt „Angst und Elend“ der Welt vor Gott; vor den Gott, der sich immer wieder als der Helfende und Rettende erwiesen hat. Daran erinnern uns die großen Verheißungen und Heilsbilder des Alten Testaments, die uns die Adventslieder vor Augen stellen. So erschallt in jedem Lied auf seine Weise neu der Ruf „O Retter, o Heiland, komm!“.

Die Gesänge sind als Rätsel aufgebaut

„O komm, o komm Emmanuel“ lautete der Titel der Veranstaltung. Im Hintergrund des gleichnamigen Liedes stehen die sieben O-Antiphonen (siehe „Stichwort“). In diesen Rahmenversen erschallt in sieben Varianten der Ruf „O komm!“. Diese Gesänge sind als Rätsel aufgebaut: Jede Strophe verwendet zu Beginn als Anrede einen anderen, dem Alten Testament entnommenen Namen, von „O Weisheit“ bis zu „O Emmanuel“. Mit jedem Namen ist eine Bitte verbunden, zum Beispiel „komm, uns zu befreien“ oder „komm, und heile den Menschen“. Der Sänger bringt damit die Unfreiheit und das Un-heil-Sein des Menschen vor Gott.

Um die O-Antiphonen in der Gemeinde singen zu können, übertrug man sie in deutsche Kirchenlieder. Ein solches „O-Lied“, das Becker vorstellt, ist „Herr, send herab uns deinen Sohn“ (Gotteslob Nr. 112). Um es auf eine schöne, aber etwas zu lange Melodie singen zu können, fügten spätere Gesangbuchherausgeber einen Refrain an: „Freu dich, freu dich, o Israel, / bald kommt zu dir Immanuel.“

Die Besucher des Abends erfahren, welchen Stimmungsumschwung es erfordert, diesen Refrain zu singen, wenn man im gleichen Atemzug mit den Worten „O komm zu uns, o Herrscher mild, / und rette uns, dein Ebenbild“ zu Gott fleht. Die Klage der Strophen wird von der Aufforderung zur Freude im Refrain verdrängt.

Eine ähnliche Entwicklung widerfuhr bereits vor etwa zwei Jahrhunderten dem bekannten Adventslied „O Heiland, reiß die Himmel auf“ (Gotteslob 105). Die ersten drei Strophen rufen in drängender Weise den Heiland herbei. Dabei nehmen sie – wie schon die O-Antiphonen – Bezug auf das Alte Testament: Mit Jesaja „Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor“ (Jesaja 45,8) ruft der Sänger „O Heiland, aus der Erden spring“. Doch dann – die vierte Strophe, so Becker, „wagt das Unerhörte. Sie stellt Gott in Frage“: „Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt?“. Den Heils- und Hoffnungsbildern der ersten Strophen wird nun das „Jammertal“ der Welt, „Finsternis“ und „Tod“ gegenübergestellt. Aus dieser unheilen Welt erschallt das „O Heiland, komm!“ heraus. Das Lied mündet nicht in ein weihnachtliches „Happy End“, sondern bleibt offen: „Hier leiden wir die größte Not“ – „Ach komm, führ uns mit starker Hand / vom Elend zu dem Vaterland!“.

Schon die Menschen des 17. Jahrhunderts hatten das Bedürfnis, dem Lied einen freudigeren Schluss zu geben und fügten eine siebte Strophe hinzu: „Da wollen wir all danken dir / unserm Erlöser für und für“. Der Sänger dieser Strophe weiß sich bereits am Ziel seiner Wünsche. Das sehnsuchtsvolle Rufen der vorausgehenden Strophen war also gar nicht sein eigenes, sondern er zitiert nur den Ruf der Menschen aus grauer Vorzeit, der mit ihm selbst nichts mehr zu tun hat.

Die Schöpfung liegt bis heute in Geburtswehen

Doch die Welt von heute ist immer noch keine „heile Welt“; der Inhalt der Bittrufe ist nach wie vor aktuell. Paulus schreibt, „dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt.“ (Römerbrief 8,22). In Christi Geburt, Tod und Auferstehung sei unsere Erlösung bereits angebrochen; vollendet sei sie erst bei der erneuten Ankunft des Auferstandenen: „Wir sind gerettet, doch in der Hoffnung“ (Römerbrief 8,24), dass Christus wiederkommen wird. Darauf warten die Menschen, die singen: „O komm, o komm Emmanuel.“

Keine Aufforderung, sofort in Jubel auszubrechen

Dass es doch eine Möglichkeit gibt, dieses Lied mit einem Freuden- Refrain zu singen, erleben die Besucher der Geistlichen Reihe eindrucksvoll: Eine Gruppe ruft um das erlösende Kommen des Heilands zu Gott – eine zweite antwortet in der Rolle des Emmanuel: „Freu dich, bald komm ich, dein Emmanuel!“; ich komme, aber ich bin noch nicht da.

Die Klage ist nicht aufgehoben, die Erlösung steht noch aus. Das „Freu dich“ wird zur Verheißung, nicht zur Aufforderung, die Klage sofort beiseite zu lassen und in Jubel auszubrechen. Diese Freude können die Menschen nicht selbst herbeiführen, sie ist Geschenk. Bis zur Erlösung müssen sie – um Paulus zu zitieren –„ausharren in Geduld“ und einstimmen in den Ruf: „O Heiland, komm bald!“.

Zitiert

O Komm Emmanuel

O komm, o komm Emmanuel, mach frei dein armes Israel! In Angst und Elend liegen wir und flehn voll Sehnsucht auf zu dir.

Refrain: Freu dich, freu dich, o Israel, Bald komm ich, dein Emmanuel!

O komm, o komm Emmanuel, mach frei dein armes Israel! Komm, Weisheit aus des Schöpfers Mund, tu deiner Weisheit Weg uns kund! (Refrain)

O komm, o komm Emmanuel, mach frei dein armes Israel! Komm, ‚Ich-bin-da‘, im Flammenlicht, Erscheine, rette, säume nicht! (Refrain)

O komm, o komm Emmanuel, mach frei dein armes Israel! Komm, Wurzel Jesse, gottgesandt, als Hoffnungszeichen allem Land! (Refrain)

O komm, o komm Emmanuel, mach frei dein armes Israel! Komm, Sonne, Glanz der Ewigkeit, bring Licht in unsre Dunkelheit! (Refrain)

O komm, o komm Emmanuel, mach frei dein armes Israel! Komm Friedenskönig, Schlussstein du, führ, was getrennt, der Einheit zu! (Refrain)

O komm, o komm Emmanuel, mach frei dein armes Israel! Komm, ‚Gott-mit-uns‘, enttäusch uns nicht, Ersehnter, zeig dein Angesicht! (Refrain)

Stichwort

O-Antiphon

So bezeichnet man die siebenursprünglich lateinischen Antiphonen (Rahmenverse), die an den sieben letzten Adventstagen, vom 17. bis 23. Dezember, in der Vesper zum Magnificat gesungen werden. Sie beginnen jeweils mit einer dem Alten Testament entnommenen bildhaften Anrede des erwarteten Heilands und münden in den Ruf „Veni!“, „Komm!“. Der Name „O-Antiphon“ kommt von der Anrufung „O“, mit der jede der Antiphonen anhebt. Entstanden sind sie vermutlich im sechsten Jahrhundert in Gallien. (aa)

Zur Sache

Geistliche Reihe

Die Reihe 2009/2010 „Glaubensschätze der Kirchenlieder“ beinhaltet vier Zyklen. Nach „Advent und Weihnachten“ setzt sich die Reihe in der Fasten- und Osterzeit fort. Der dritte Veranstaltungszyklus thematisiert Pfingsten, der vierte Kirchenlieder zur Wiederkunft Christi. Veranstalter ist die Bistumsakademie Erbacher Hof in Kooperation mit dem Katholischen Bildungswerk Mainz-Stadt, dem Institut für Kirchenmusik, dem Interdisziplinären Arbeitskreis Gesangbuchforschung der Johannes Gutenberg-Universität und der Vereinigung Kultur – Liturgie – Spiritualität e. V.

Nächste Termine: Donnerstag, 7. Januar, 19 Uhr in St. Peter/ St. Emmeran, Peterstr. 3, Mainz, mit dem Titel „Ich steh an deiner Krippen hier“ und Dienstag, 2. Februar, 19 Uhr in der Altmünsterkirche, Münsterstr. 25, Mainz, mit dem Titel „Wie schön leuchtet der Morgenstern“. (wei)

Kontakt: Erbacher Hof, Telefon 0 61 31 / 25 75 50 und im Internet: www.ebh-mainz.de

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