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Obdachlos – und dann noch krank?
18.01.09

Obdachlos – und dann noch krank?

Der Wormser „Gesundheitsladen Nordend“ erleichtert armen Menschen den Arztbesuch

Dr. Frauke Dietrich aus Worms untersucht eine Patientin des Gesundheitsladens Nordend. Sabrina Schultenkämper – als ehrenamtliche Arzthelferin im Einsatz– hilft ihr dabei. Foto: Anja Weiffen

Von Anja Weiffen

Vor allem niedrigschwellig soll das Angebot sein. Der Wormser Gesundheitsladen Nordend will die vermeintlich „wartezimmeruntauglichen Patienten“ erreichen, die nicht zum Arzt gehen wollen oder können. Ende 2008 startete das Caritas-Projekt, für das zurzeit sechs Ärzte ehrenamtlich tätig sind.

Es ist kalt an jenem Mittwoch Nachmittag in Worms, bitterkalt, so kalt, dass man nicht mal einen Hund auf die Straße schicken möchte. Vor dem Gesundheitsladen im Nordend wartet ein Mann seit einiger Zeit darauf, dass die medizinische Anlaufstelle der Caritas öffnet. Er ist krank, schon seit Tagen erkältet. Der Gesundheitsladen gehört zum Stadtteilbüro Nordend des CaritasverbandsWorms. Das Nordend ist ein ehemaliges Arbeiterviertel, das teilweise zum sozialen Brennpunkt der Stadt geworden ist. Die neue Einrichtung, die erst seit anderthalb Monaten existiert, will Armen und vor allem Obdachlosen eine niedrigschwellige medizinische Anlaufstelle vor Ort bieten.

„Das außergewöhnliche und nach unserem Kenntnisstand einzigartige Projekt in dieser Form richtet sich an Personen, die sich nicht trauen zum Arzt zu gehen oder nicht können, weil sie nicht versichert sind“, erklärt Georg Bruckmeir, Fachbereichsleiter Soziale Dienste des Wormser Caritasverbands. Insgesamt sechs Ärztinnen und Ärzte, aber auch zwei Krankenschwestern und eine ehrenamtliche Arzthelferin bilden das medizinische Team des Gesundheitsladens. Fünf der sechs Ärzte sind pensioniert, eine Ärztin praktiziert noch, alle geben freiwillig ihr Können und ihre Zeit, um zu helfen.

Die Gründe, warum Menschen nicht (mehr) zum Arzt gehen, sind vielfältig. „Die zehn Euro oder die Kosten für Medikamente sind nur ein Grund und nicht der zwingendste“, sagt der Fachbereichsleiter und fährt fort: „Oft sind es auch andere Faktoren wie Angst, dass der Arzt ,schimpft‘, weil der Besuch so lange hinausgezögert wurde.“ Hinzu komme Scham, wegen ihrer Auffälligkeit. „Armut riecht. In den Obdachlosenunterkünften steckt die Feuchtigkeit und setzt sich in der Kleidung, im ganzen Menschen fest“, weiß Bruckmeir zu berichten.

Nicht ohne den Hund in die Arztpraxis

Manchmal aber sind die Gründe,

nicht zum Arzt zu gehen, so überraschend wie einfach: „Eine obdachlos eingewiesene Frau, die zu uns in den Gesundheitsladen kam, konnte ihren Hund mitbringen, ihn zumindest durch die große Scheibe des ehemaligen Ladengeschäfts sehen, während er draußen angebunden wartete. Das geht beim ,normalen‘ Arzt in den allermeisten Fällen nicht“, erklärt Angelika Ernst-Auer vom Psychosozialen Zentrum der Caritas Worms. „Für diese Patienten ist der Hund oft ihr ein und alles, sie würden ihn niemandem für die Zeitspanne des Arztbesuchs anvertrauen, also gehen sie nicht in eine Praxis.“

„Die Patienten haben doch Zeit genug!“

Und diese Zeitspanne, die solche „wartezimmeruntauglichen“ Patienten warten, kann sehr lang sein. „Manchmal warten sie drei Stunden, weil die Sprechstundenhilfe überzeugt ist: Die haben doch Zeit!“, erzählt Bruckmeir. Die Diskriminierung, die die Patienten spüren, schreckt sie ab.

Ein nächster Grund, nicht „die Kurve zum Arzt zu kriegen“, kann ein unstrukturierter Tagesablauf sein. „Für viele ist es wirklich ein Problem, pünktlich einen Termin einzuhalten. Statt anzurufen, um einen Arzttermin auszumachen, gehen sie beispielsweise einfach auf gut Glück hin und stehen dann vor verschlossener Tür“, sagt Ernst-Auer.

Eine fast unüberwindliche Hürde stellt das Fehlen einer Krankenversicherung dar. Wie kann das passieren? Auch darauf wissen die Caritas-Mitarbeiter eine Antwort. Ernst-Auer: „Beispielsweise wenn jemand selbstständig gewesen ist, aber jetzt keine Beiträge mehr zahlen kann. Um in eine gesetzliche Versicherung zu gelangen, müssen die letzten zwölf Monate nachgezahlt werden. Das ist für viele einfach zu viel Geld.“

Auch der Mann, der an jenem Mittwoch Nachmittag vor dem Gesundheitsladen wartet, ist nicht versichert. Trotzdem wird er behandelt. „Wir kümmern uns um alle, ob versichert oder nicht“, sagt die Caritas-Mitarbeiterin vom Psychosozialen Zentrum. Der Arzt, der sich an diesem Tag bereit erklärt hatte, im Gesundheitsladen zu helfen, ist jedoch verhindert. Schnell springt Dr. Frauke Dietrich aus Worms ein, ebenfalls eine Ärztin aus dem Team, und behandelt die Erkältung des Mannes.

Der 46-Jährige ist erst seit kurzem obdachlos, der erste Winter ohne Wohnung steht ihm bevor. Seine Geschichte, die er Tanja Lemper vom Stadtteilbüro Nordend erzählt hat, macht betroffen: Wegen einer Erkrankung konnte er seinen Beruf als Schlosser nicht mehr ausüben. Die Partnerschaft ging in die Brüche. Dann kam Hartz IV, schließlich verlor er seine Wohnung. „Wohnungslose Menschen können in der Regel nur drei Nächte in einer Unterkunft bleiben, dann müssen sie in eine andere Stadt ziehen“, sagt Lemper.

„Diesen Menschen gehört mein Herz“

Auch der ehemalige Schlosser war schon in mehreren Städten gewesen wie etwa in Heidelberg, Mainz und Darmstadt. Lemper: „An Weihnachten erlebte er eine Situation wie eine Familie vor 2000 Jahren. Bei seiner Herbergssuche hatte er kein Glück und er musste das Fest auf der Straße verbringen.“ Zudem wurde sein Rucksack mit seinen Sachen zum Übernachten geklaut – dann wurde er auch noch krank.

Frauke Dietrich verschreibt ihm Medikamente und stellt ihm ein Attest aus, damit er zumindest eine Woche lang in der Wormser Obdachlosenunterkunft bleiben kann. Es ist der erste Einsatz der Ärztin im Gesundheitsladen. „Ich habe keine Berührungsängste, im Gegenteil, ich bin ein Mensch mit Helfersyndrom. Diesen Menschen gehört mein Herz“, sagt sie.

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