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Damit es nicht wieder geschieht
22.11.09

Damit es nicht wieder geschieht

Ökumenische Exkursion der Bodenheimer Kirchengemeinden zum ehemaligen KZ Osthofen

Das KZ Osthofen war eines von etwa 100 „frühen“ Konzentrationslagern und wurde bereits 1934 wieder aufgelöst, damit die Grausamkeiten gegenüber den Häftlingen der Bevölkerung nicht auffielen. Von 1936 bis 1976 war hier eine Möbelfabrik. Die Gedenkstätte wurde 1988 eingerichtet. Foto: Jürgen Strickstrock

Von Jürgen Strickstrock

Zum Gedenken an die Reichspogromnacht vor 71 Jahren besuchten Mitglieder der evangelischen Gemeinde Bodenheim/ Nackenheim und der katholischen Pfarrei St. Alban, Bodenheim, das ehemalige Konzentrationslager Osthofen.

Mehr als 50 Erwachsene und Jugendliche folgten der Einladung; Pfarrerin Dagmar Diehl und Pfarrgemeinderats-Vorsitzender Berthold Reis begleiteten die Gruppe. Am meisten bewegt waren die Teilnehmer von der großen, leeren Lagerhalle mit Betonfußboden, Betonstützsäulen und Betondach. Hier mussten die Häftlinge auf kärglichem, durch Bodenwasser nassem Stroh nächtigen, auch bei bitterer Kälte. Viele der 3000 Naziverfolgten, darunter 300 Juden, die hier gefangen waren, erkrankten schwer und waren für den Rest ihres Lebens davon gezeichnet. Erst spät war es ihnen gestattet worden, sich Holzpritschen zu fertigen.

Zu klein und zu nah am Ort und den Menschen

Die 1872 hier errichtete Papierfabrik wurde 1929 stillgelegt. Das leer stehende Gebäude wurde ab 1933 als KZ genutzt. Osthofen war eines von etwa 100 „frühen“ Konzentrationslagern, die bereits 1934 wieder aufgelöst wurden, weil sie zu klein waren und inmitten von Ortschaften lagen, so dass die Bevölkerung Einblick in die grausame Misshandlung der Häftlinge bekam. Dies wollten die Machthaber vermeiden.

Heribert Fachinger, Geschäftsführer des Fördervereins „Projekt Osthofen“, informierte darüber, dass in Osthofen zunächst überwiegend Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und die für Rheinhessen typischen „Separatisten“ in „Schutzhaft“ genommen wurden. Junge Katholiken aus Gau-Algesheim wurden eingesperrt, weil sie sich während eines Feuerwehrfests beim Singen des „Horst-Wessel-Liedes“ nicht von den Sitzen erhoben. Die Haftzeiten, die ganz im Ermessen des Lagerleiters standen, betrugen zwischen einer Woche und neun Monaten. Die Festnahmen erfolgten ohne richterliche Entscheidung „zum Schutz von Volk und Staat“.

Die NS-Propaganda sorgte dafür, dass über die Festnahmen in den Zeitungen berichtet wurde, oft mit Namensnennungen. Die Bevölkerung sollte eingeschüchtert werden: „Wer sich gegen uns stellt, landet im KZ.“ Bis heute seien Familien in den Dörfern verfeindet, „weil die Älteren noch wissen, wer auf welcher Seite stand“. Kolonnen von Häftlingen wurden am helllichten Tag durch die Straßen zum KZ geführt. Aber es gab keine öffentlichen Proteste, mit Ausnahme einer Büttenrede des Fastnachters Seppel Glückert in Mainz. Aus den Erfahrungen der Weimarer Republik waren auch die meisten Häftlinge der Meinung, der Nazi-Spuk wäre rasch vorbei – ein verhängnisvoller Irrtum. Die Besucher gedachten besonders der Bodenheimer, die hier in Haft waren, darunter die Großväter der Teilnehmer Thomas Glück und Horst Kasper. Kasper war von 1973 bis 1984 ehrenamtlicher Ortsbürgermeister in Bodenheim und erforscht seit Jahren die Geschicke der Bodenheimer jüdischen Familien.

Stolpersteine erinnern an jüdische NS-Opfer

In Bodenheim führte Kasper die Gruppe zu einigen „Stolpersteinen“ im Ort, die an jüdische NS-Opfer erinnern. In einer Gesprächsrunde im evangelischen Gemeindehaus tauschten sich die Teilnehmer darüber aus, was sie in Osthofen besonders berührt hatte, welche Konsequenzen sich daraus ergeben und was jeder tun kann, damit sich die schlimmen Ereignisse niemals wiederholen.

Kasper dankte den Gemeinden, dass sie dazu beigetragen haben, den „Stolpersteinen“ im Gemeinderat eine Mehrheit zu verschaffen. Er sorgte auch für ein ehrendes Gedenken an den ehemaligen Küster von St. Alban, Heinrich Dehos, der sich in der Reichspogromnacht in Mainz einem SA-Schlägertrupp entgegenstellte und so die jüdische Familie Schönberger mit ihrer Sektkellerei vor Gewalt und Zerstörung bewahrte.

Zur Sache

Gedenkstätte

Die Gedenkstätte KZ Osthofen mit der Dauerausstellung „Rheinland- Pfalz: Die Zeit des Nationalsozialismus in unserem Land“ ist werktags von 9 bis 13 Uhr und von 14 bis 17 Uhr (ausgenommen Mittwochnachmittag) geöffnet, an Wochenenden und Feiertagen von 13 bis 17 Uhr. Öffentliche Führungen finden am ersten Sonntag jedes Monats statt.

Kontakt: Telefon 06242 / 910825. Information im Internet: www.projektosthofengedenkstätte.de und www.ns-dokuzentrum-rlp.de

Stichwort

Stolpersteine

Der Künstler Gunter Demnig erinnert an die NS-Opfer, indem er vor ihrem letzten Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir einlässt. Stolpersteine liegen in mehr als 480 Orten Deutschlands, in Österreich, Ungarn und den Niederlanden. Im Oktober wurden in Bodenheim neun Stolpersteine verlegt; 20 weitere sollen 2010 folgen. (mw)

Hintergrund

Ökumenisch

Das ökumenische Miteinander „gegen das Vergessen“ hatten die Gemeinden 2009 anlässlich eines Gedenkgottesdienstes zur Pogromnacht in der evangelischen Kirche vereinbart. Die Initiative zum Besuch in Osthofen ging vom „Frauenfrühstück“ der evangelischen Gemeinde aus. (sk)

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