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„Unter offenem Himmel“
12.06.11

„Unter offenem Himmel“

In Mainz-Hechtsheim gehen evangelische und katholische Christen mit ihrem Glauben auf die Straße

 

Ausgabe 24 vom 12. Juni 2011

Vor selbst gemalten Kulissen spielten Kinder und Jugendliche in historischen Gewändern Szenen aus dem Leben des Apostels Paulus. Fotos: Maria Weißenberger, Jürgen Strickstrock

Von links: Professor Hans- Jürgen Hennes, Dr. Simone Emmelius, Andreas Becker, Michaela Pilgers, Matthias Kopp, Professor Norbert Müller

Anziehend: das Zelt der Bibel. Rechts im Hintergrund die handgeschriebene Bibel der Gemeinden.

Von Alfons Waschbüsch

Das gab es in Mainz-Hechtsheim noch nie: ein Kirchentag – mitten im Ort, rund um den Lindenplatz, in den angrenzenden Straßen und Höfen. Gemeinsam haben die katholische Pfarrgemeinde St. Pankratius und die evangelische Kirchengemeinde Hechtsheim dazu eingeladen.

Getragen von der Hoffnung, mit einem weitgefächerten Programm weiteren Schwung nicht nur ins ökumenische Miteinander, sondern als Christen auch in eine „weltliche“ Gesellschaft zu bringen, hatten die Hechtsheimer Christen das Fest der Begegnung und des Glaubens initiiert. Das Echo war groß: Hunderte von Menschen, auch aus angrenzenden Stadtteilen, strömten bis in die späten Abendstunden zur Ortsmitte, um aus dem Programmangebot auf der Hauptbühne, in verschiedenen Räumen und Themenzelten das für sie Passende auszuwählen.

Bewusst nicht in kirchliche Räume eingeladen

Bewusst hatten die Gemeinden die Mitte des Ortes „unter offenem Himmel“ und nicht kirchliche Räume für die Veranstaltung ausgewählt. Auf dem Lindenplatz begegneten sich Einzelne und Familien, Jung und Alt, Kirchennahe und Kirchenferne. Hier kamen sie ins Gespräch und feierten fröhlich miteinander. „Wir haben von dem erzählt, was uns bewegt und was uns trägt“, sagten Pfarrerin Sabine Feucht-Münch und Pfarrer Michael Bartmann am Ende des ersten Hechtsheimer Kirchentags.

Der lang anhaltende Beifall der Besucher war nicht nur ein Zeichen des Danks für die Organisatoren. Er ermutigte auch die Gemeinden, den Weg zu einer immer intensiveren ökumenischen Gemeinschaft weiter zu gehen. Zugleich zeigte der Besucherstrom, wie sehr sich die Menschen von dem frohen Fest angesprochen fühlten, auch diejenigen, für die die Kirche nicht zum alltäglichen Leben gehört oder die sich vielleicht schwer tun, über die Kirchenschwelle zu treten.

Alle Altersstufen waren angesprochen: Mehrere Jugend- Musikbands sorgten für Unterhaltung. Viel Applaus gab es für das Singspiel „Servus Paulus – „Ein neuer Wind geht um die Welt“. Unter der Leitung von Gemeindereferentin Silke Kaufmann stellten Schülerinnen der katholischen Jugend Szenen aus dem Leben des Völkerapostels dar.

Während in der Ortsverwaltung Künstlerinnen und Künstler aus Hechtsheim Kinder und Erwachsene zu einer kreativen Mal- Aktion einluden, konnten Singbegeisterte jeden Alters in einem Weingut an offenen Chorproben teilnehmen. In Themenzelten informierten sich die Besucher über kirchliche Aktivitäten. Die makedonisch-orthodoxe Kirchengemeinde bot kulinarische Spezialitäten an und stellte auch den Neubau ihrer Kirche im Hechtsheimer Gewerbegebiet vor. Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) Hechtsheim illustrierte mit einer Fotoschau „Leben und Arbeiten in Hechtsheim“ und bot Beratung in Sozialfragen an. Frauen und Männer in weiteren Themenzelten informierten zum Beispiel über die Hospizarbeit, die Telefonseelsorge und die kirchlichen Beratungsstellen.

Eine „Schatzinsel“ lud zur Suche nach Gott über Brücken „mit tragenden Elementen des Glaubens“ ein. In einem marokkanischen Beduinenzelt aus dem Besitz des Bischöflichen Ordinariats stand der Dialog der Religionen im Mittelpunkt. Hier begegneten die Besucher Mitgliedern des Jüdisch-Christlich-Islamischen (Abrahamitischen) Forums und des Christlich-Islamischen Arbeitskreises Mainz.

Gewünscht: eine Kirche, die ihre Fehler zugibt

Auf großes Interesse stieß auch die Anlaufstelle für alle, die „die Kirche schon immer mal was fragen oder ihr was sagen wollten“. Fast immer war dieses „Offene Ohr“, so der Name des Themenzelts, bis auf den letzten Platz besetzt. Viele nahmen die Gelegenheit wahr, ihre Meinung über ihren Glauben und die Kirche kund zu tun. Ganz oben standen die Wünsche nach einer Kirche, die besser die Zeichen der Zeit erkennt, die ihre Fehler zugibt, die Menschen dort abholt, wo sie sind. „Diese Gesprächsform sollte auf ökumenischer Basis in den Gemeinden fortgesetzt werden“, waren sich viele einig.

Dass etwas vom Besonderen ins Alltägliche einfließt

Zum Abschluss versammelten sich die Besucher bei Kerzenschein unter offenem Himmel zu einem ökumenischen Nachtgottesdienst, begleitet von der Jugendband „Die ScheinHeiligen“, dem Katholischen Kirchenchor und dem Gospelchor „sound connection“. Pfarrer Michael Bartmann verabschiedete sich mit dem Wunsch und der Hoffnung, „dass dieser Kirchentag viele Begegnungen möglich machte, wo der Himmel sich ein Stück weit aufgetan hat“. Und Pfarrerin Sabine Feucht-Münch wünschte den Besuchern, dass sie die Erfahrungen des Tags mit nach Hause nehmen und die Gespräche auch ihren Alltag begleiten mögen.

Der gute Verlauf des Tages gab nicht nur den Organisatoren Anlass zur Hoffnung, dass es nach einer „Auftankphase“ einen weiteren Kirchentag geben wird. Das Tor zu mehr ökumenischer Gemeinschaft ist weit geöffnet.

Zur Sache

„Unseren Glauben so leben, dass er wahrgenommen wird“

Sie sollen einander nicht anfeinden und konkurrieren, wer die Besseren sind – sondern stärker die Ökumene leben: Das wünscht sich Andreas Becker, Geschäftsführer der Gesellschaft für Elektro-Physikalische Messgeräte in Wiesbaden, von den christlichen Kirchen. Er gehört zu den Teilnehmern eines Podiumsgesprächs, in dem Verantwortliche aus verschiedenen Bereichen gefordert sind, „Farbe“ zu bekennen: Wie hältst du’s mit dem Glauben?

Die Zuschauerbänke sind lückenlos besetzt, als das von Michaela Pilters (Leiterin der ZDF-Redaktion „Kirche und Leben katholisch“) moderierte Gespräch „über die Bühne“ geht. Fünf Menschen erzählen öffentlich, was für sie ihren Glauben ausmacht und wie er sich in ihrem beruflichen und privaten Alltag auswirkt. „Wir fühlen uns den christlichen Grundwerten verpflichtet“, bekennt Andreas Becker auf der Internet-Seite seiner Firma öffentlich, „wes Geistes Kind“ er ist. „Weltoffenheit zu praktizieren“, gehört für ihn dazu – etwa durch eine interkulturelle Belegschaft. So freut er sich auch, dass immer wieder Muslime kommen und kundtun: „Wir wollen bei Ihnen arbeiten.“

„Katholisch steht bei uns an der Tür und überall obendrauf“, stellt Professor Hans-Jürgen Hennes fest. Der Geschäftsführer des Caritaswerks St. Martin merkt in seiner Arbeit: Die Menschen kommen nicht zufällig in katholische Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen – und er weiß sich verpflichtet, praktisch umzusetzen, „was wir als Signal vor uns hertragen“. Selbstverständlich sind nicht alle Mitarbeiter Christen. „Voraussetzung ist aber, dass sie unser Leitbild, das sich am christlichen Menschenbild ausrichtet, akzeptieren.“

„Allein in der Art und Weise, wie wir über Programme nachdenken“ macht sich ihr Glaube im beruflichen Umfeld bemerkbar, erklärt Dr. Simone Emmelius, Redaktionsleiterin von ZDF neo und Mitglied der Evangelischen Landessynode. Auch wenn nicht alle in einer Amtskirche verankert seien: Die Mitarbeiter setzten sich intensiv mit der Frage auseinander, welche Werte sie in Sendungen vermitteln. Auch Programme, die auf den ersten Blick gar nicht religiös daherkommen, sprechen durchaus das Religiöse im Menschen an, erläutert sie und nennt als Beispiel die Reihe „37 Grad“: „Da steckt viel Ethik drin.“

Seine Studenten, berichtet Professor Norbert Müller, sprechen ihn oft auf Werte an. „Ich gebe meine christliche Wertehaltung klar zu erkennen“, sagt der Sportwissenschaftler an der Uni Mainz, der Mitglied des „Päpstlichen Rates für die Laien“ im Vatikan ist. Zwar ist er sich bewusst: „Wer sich klar positioniert, wird auch manchmal abgestempelt.“ Aber deutlich häufiger erlebe er Menschen, die solche Klarheit begrüßen und sagen: Prima, wir wollen auch Farbe bekennen.

„Das persönliche Gebet ist mir wichtig“, sagt Matthias Kopp, Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz. Still werden, sich besinnen – das sei etwa vor schwierigen Entscheidungen eine große Hilfe. Ob die Institution Kirche dem Glauben hinderlich sei? „Wir müssen beides miteinander verbinden“, meint Kopp. Da er die institutionelle Kirche vertrete, müsse er auch über sie reden. „Meinen Glauben lasse ich mir deswegen nicht nehmen“, fügt er schmunzelnd hinzu. Im übrigen erlebe er den „tiefen Willen“ der Bischöfe, über den Glauben zu reden. Zurzeit sei aber der Verlust an Vertrauen ein Hauptthema. Dass dieser durch kontinuierliche Arbeit wieder wettgemacht werden kann, das wünscht sich Kopp in der aktuellen Situation am meisten.

„Dass die Verantwortung der Laien viel ernster genommen werden“, liegt Professor Müller am Herzen. Vor allem müssten die Frauen in ihrer Rolle „besser bewertet“ werden, betont er. Einig sind sich alle darüber, dass Rückzug das falsche Signal ist. Für den Glauben und die christlichen Werte einzustehen – darin sei jeder Einzelne gefordert. Nicht „um uns als die Besseren hervorzuheben“, betont Simone Emmelius. Sondern, sagt Hans- Jürgen Hennes, einfach „indem wir unseren Glauben so leben, dass er wahrgenommen wird“.

Maria Weißenberger

Stichwort

Zelt der Bibel

Bunte große Buchstaben hängen außen am Zelt, leckere essbare Buchstaben liegen auf einem Teller. Das lockt viele ins „Zelt der Bibel“, das von der Katholischen Öffentlichen Bücherei St. Pankratius betreut wird. „Es war dauernd etwas los“, erzählt Leiterin Anna-Maria Glück. „Wir hatten keine Minute Langeweile.“

Immer wieder setzen sich Leute an den runden Tisch, kosten Kekse, blättern in einer Bibel – und füllen das Bibel-Quiz aus. „Wir haben als Gewinn zwei Eintrittskarten für die Bundesgartenschau in Koblenz“, sagt Glück. „Das zieht.“ In einer Ecke kann man sich in Ruhe Bücher anschauen, schmökern, auf Tischen liegen viele alte Bibeln, „Leihgaben eines Mainzer Klosters“.

An den Wänden machen Plakate auf die vielfältigen Angebote der Bücherei aufmerksam: das Literatur-Frühstück, die Weihnachtsbuchausstellung, Vorlesestunden für Kinder. Am 22. August gibt es eine Autoren- Lesung für Kinder und Erwachsene mit Live-Illustration zum Domkinderbuch „Martin und Lena“, am 17. November eine Autorenlesung zu „Licht der Welt“, ein Buch über die Christusbilder der Mainzer Domportale.

Ein Highlight im Zelt: die handgeschriebene „Hechtsheimer Bibel“, entstanden aus Anlass des „Jahres mit der Bibel 1992“. 820 evangelische und katholische Christen haben damals mitgewirkt. Zwölf Kilo schwer, vom Hechtsheimer Buchbinder Günther Orth im Format DIN A 3 gebunden und von dem damals in Hechtsheim wohnenden Künstler Karlheinz Oswald mit einem Bronzekreuz kunstvoll gestaltet. Oswald schuf auch einen bronzenen Bibelständer (Ambo) für das ökumenische Werk, das jährlich abwechselnd zum Sommerfest der jeweiligen Nachbargemeinde übergeben wird. (tebo)

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