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Von der Natur der Dinge
24.07.11

Von der Natur der Dinge

Warum es sich lohnt, alte Bücher genauer unter die Lupe zu nehmen

 

Ausgabe 30 vom 24. Juli 2011

Regelmäßig und schnurgerade ist die Handschrift: Der Text stammt aus dem Werk „De rerum naturis“ von Hrabanus Maurus. Foto: Anja Weiffen

Von Anja Weiffen

Ein Stück Pergament, achtlos als Einband verwendet – lange Zeit ahnte niemand, welcher Verfasser hinter diesen Zeilen steckt und welche Bedeutung der Fund für die Wissenschaft hat.

Die Martinusbibliothek in Mainz: Der Mainzer Buchwissenschaftler Dr. Franz Stephan Pelgen sucht dort nach Büchern aus der Gelehrtenbibliothek des Wormser Bischofs Stephan Alexander Würdtwein (1719-1796). Die Finger schwarz wie ein Minenarbeiter holt er kein „schwarzes Gold“ hervor, sondern Bücher und Pergamente. 30 000 Bände wälzt er.

Im November 2010 findet Pelgen ein Buch aus dem Jahr 1587. Dessen Einband offenbart einen Schatz: ein gut erhaltenes Fragment einer lateinischen Handschrift. „Ich dachte beim Überfl iegen des Textes an Zeilen aus einem römischen Kochbuch“, berichtet der Buchwissenschaftler.

In der Tat geht es in dem gefundenen Text um den Gebrauch von Essbesteck und Geschirr, um Gekochtes und Gedünstetes. Aber auch um Kleidung und Schuhwerk. Statt auf einen antiken Schreiber war Franz Stephan Pelgen auf einen frühmittelalterlichen Kirchenmann und Mainzer Erzbischof gestoßen: Hrabanus Maurus (um 780-856).

Ein Mann mit Netzwerk und Verbreitungsmaschinerie

Eine genauere Analyse weist das Stück Text als Handschrift aus der Enzyklopädie „De rerum naturis“ (Von der Natur der Dinge) aus, die Hrabanus Maurus 847 veröffentlichte. Ist die schwarze Tinte auf dem Pergament also die Original-Handschrift des späteren Mainzer Erzbischofs? Dr. Christoph Winterer vom Handschriftencensus Rheinland-Pfalz drückt es bei der Präsentation des Fundes in der Martinusbibliothek vorsichtig aus: „Das Fragment stammt aus der Handschriftenproduktion in Fulda oder Mainz, die Hrabanus Maurus angestoßen hat.“ Er datiert die Abschrift auf das dritte Viertel des neunten Jahrhunderts.

Hrabanus Maurus sei ein sehr vernetzter Mensch gewesen, weiß Christoph Winterer. Er habe damals schon eine Verbreitungsmaschinerie seiner Texte in Gang gesetzt. Es waren vor allem klösterliche Schreiber, die Werke vervielfältigten.

Ältere Quellen können Fehler berichtigen

Das Lexikon „Von der Natur der Dinge“ schrieb Hrabanus Maurus quasi im Exil. Als der damalige Abt des Klosters Fulda zwischen politische Fronten geriet, zog er sich als Gelehrter auf den Fuldaer Petersberg zurück. Dort fasste er das Sachwissen der antiken und frühchristlichen Welt in „De rerum naturis“ zusammen.

Je älter eine Handschrift ist, desto näher führt sie Wissenschaftler an den Originaltext und dadurch auch an das damalige Weltbild heran, erläutert Dr. Helmut Hinkel, Direktor der Mainzer Martinusbibliothek. Ältere Quellen können Fehler bei der Abschrift oder der Übersetzung berichtigen. „Manchmal waren die Schreiber gar nicht der Sprache der Texte mächtig, die sie abschrieben“, weiß Hinkel. Er betont noch einmal die herausragende Bedeutung des Fundes. „Für mich ist ein Erlebnis, diesem großen Mainzer hautnah in diesem Pergament zu begegnen.“

Das Hrabanus-Maurus-Fragment ist die zweite Handschrift aus dem neunten Jahrhundert unter Hinkels Obhut. Gab es zuvor 70 mittelalterliche Handschriften in der Martinusbibliothek, hat die Recherche von Pelgen deren Zahl auf 300 anwachsen lassen.

Tierhäute oft praktisch weiterverwendet

Viele Dokumente seien nicht nur durch Krieg und Raub verloren gegangen, sondern vielmehr durch Unachtsamkeit, sagt Dr. Christoph Winterer. Oft sei das Desinteresse so groß gewesen, dass Klöster manches verkauft hätten. Pergament, aus Tierhaut hergestellt und gut haltbar, wurde außerdem praktisch weiterverwendet, etwa für Einbände, wie das Beispiel des gefundenen Fragments zeigt. Niemand weiß, wie viele alte Handschriften und Pergamente sich noch unentdeckt in Bücherregalen befi nden. Franz Stephan Pelgen lässt durchblicken: Durch seine Arbeit wird es noch weitere Funde aus der Martinusbibliothek geben.

Zur Sache

Enzyklopädien des Mittelalters

Vorlage des Werks „De rerum naturis“ (auch: De universo), das Hrabanus Maurus 847 veröffentlichte, ist die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla. Der spanische Bischof gilt als einer der letzten spätantiken Autoren und veröffentlichte 623 ein 20 Bücher umfassendes Lexikon mit dem Namen „Etymologiarum sive originum libri XX“ – kurz „Etymologiae“. Darin fasst Isidor das Wissen der antiken Welt zusammen.

Hrabanus Maurus knüpft an die 20 Bücher des Isidor an. Er gibt jedoch nicht nur die damaligen Sachkenntnisse über die Wirklichkeit wieder, sondern versucht den Sinn, der hinter allen Dingen liegt, zu vermitteln. Daraus schließen Historiker, dass Hrabanus das weltliche Wissen in den Dienst der Glaubensverkündigung stellen wollte. Seinem Werk fügte Hrabanus zwei Bücher hinzu. Aus den zusätzlichen Kapiteln stammt das entdeckte Handschriftenfragment. (wei)

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