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Fast wie im Märchen
03.10.10

Fast wie im Märchen

Einzigartige Kohlhaas-Orgel zurück an ihrem Heimatort – Kirchengebäude umfangreich restauriert

 

Ausgabe 40 vom 3. Oktober

Eine Kulturstätte soll die alte Pankratiuskirche sein – ein Ort für vielfältige Veranstaltungen. Konzerte an der barocken Kohlhaas-Orgel werden sicher dazu gehören. Fotos: Daniela Tratschitt

Albert Schönberger war der Erste, der die Orgel nach ihrer Rückkehr an ihren Ursprungsort spielte.

Am Ziel der Bemühungen: Maria Viviani, Vorsitzende des Fördervereins (am Mikrofon), freut sich.

Von Daniela Tratschitt

Manchmal werden Märchen wahr. Dann wird die Prinzessin nach langem Schlaf wachgeküsst. So wie in Budenheim. Hier waren es gleich mehrere tapfere Kämpfer, die Dornröschen gerettet haben, und es war auch keine Prinzessin, sondern eine alte Kirche und eine historische Orgel.

Seit den 1960er Jahren schlummerte St. Pankratius in Budenheim vor sich hin. Als der Ort am Rhein mit der Dreifaltigkeitskirche eine neue Kirche bekam und St. Pankratius „ausgedient“ hatte, verfiel das Gebäude immer mehr. Und das, obwohl die kleine Kirche eine Prinzessin ihrer Art war: Ihr schlanker Turm ist schon von weitem sichtbar, das klare Äußere lenkt nicht von der Schönheit der sie umgebenden Natur ab, ihr Inneres war von schlichter Eleganz.

Zugegeben: Die Prinzessin war nicht mehr die Jüngste. Nachdem die Gemeinde stetit gewachsen und ihre Kirche nicht mehr im besten Zustand war, fiel 1732 die Entscheidung zum Neubau. 1734 bekam Baumeister Molch den Zuschlag und 3125 Gulden, heute wären das etwa 140 000 Euro, für den Bau. Nach 13 Jahren war die Kirche fertig – 29 Meter lang, 14 Meter breit, 36 Meter hoch. Am 3. September 1747, dem Festtag des heiligen Pankratius, weihte Weihbischof Christoph Nebel sie.

Vom Wert der Orgel wusste in Budenheim niemand

Bis zu ihrer endgültigen Schließung im Winter 1971/72 wurde sie immer wieder renoviert und repariert. Doch das große Geld, um sie instand zu setzen, war nie vorhanden. 16 Jahre lang stand sie leer. Ohne Heizung, mit abblätterndem Außenputz und einem maroden Turm. Und einer Orgel, von deren Wert die Budenheimer nichts ahnten. Bis ihnen ein Artikel in der Fachzeitschrift „Ars organi“ bewusst machte, was für einen Schatz sie horteten. Der Autor Wolfgang Plodek fragte damals schon: „Wer küsst Dornröschen wach?“

1988 wurden erste Reparaturen an der Kirche vorgenommen – aber für die Orgel war es nicht genug. So wurde das Schmuckstück ins Diözesanmuseum gebracht, dort renoviert, anschließend Glanzstück der Ausstellung „Die Orgel als sakrales Kunstwerk“. Später kam es in die Quintinskirche nach Mainz – als Leihgabe. Das Instrument war gerettet. Aus der ehemaligen Kirche wurde die Werkstatt eines Steinmetzes.

1996 formierte sich eine Rettungsmannschaft für „Dornröschen“: der Förderverein Pankratiuskirche Budenheim unter Leitung von Maria Viviani. Langsam arbeiteten sich die Mitgieder zur schlafenden Prinzessin vor. Erst der Pfarrgarten, die Kirchenbänke, die Außenbeleuchtung, dann die schlimmsten Schäden im Innenraum. Aber man wollte mehr – vor allem sollte die Orgel wieder in ihre Heimat zurück.

Manfred Sommer vom Vorstand des Fördervereins erinnert sich: „Um die Kohlhaas-Orgel wieder auf unsere Empore stellen zu können, mussten alle größeren Arbeiten erledigt sein. Kein Staub, kein Dreck, keine Erschütterungen.“ Der erste Schritt war die unumgängliche Erneuerung der Fenster. „Beim Bau konnte niemand ahnen, dass irgendwann eine vielbefahrene Zugstrecke nebenan liegt“, erklärt Sommer. Jetzt mussten Schallschutzfenster eingebaut werden. „Wir haben sie sozusagen ,verkauft‘“, erläutert er. „Das ganze Fenster für 7000 Euro, eine Scheibe für 500 Euro. “

Grün und farbenfroh – ganz anders als heute

Es folgte der Chorraum – ein Testfeld für den Rest der Kirche. Denn das Innere sollte wieder so aussehen, wie es bei der letzten Renovierung 1923 angelegt wurde: dezente Muster, licht und klar. Besonders das stark beschädigte Altarbild sollte erhalten bleiben. „Als die Restauratorin sich an die Arbeit machte, war bald klar, dass es nicht schnell und einfach gehen würde. Bis auf das Altarbild wurde sämtliche Farbe von den Wänden entfernt. Alle Muster wurden per Hand gemalt.“ Auch das große Bild im Chorraum wurde weitgehend restauriert. Es folgten das Kirchenschiff, der Boden, die Emporen. Aus Kostengründen wurden die Wände einfarbig gestrichen, durchbrochen von einigen Mustern und drei historischen Highlights. „Als die abblätternde Farbe entfernt wurde, fanden wir drei wunderbar erhaltene Flecken der ursprünglichen Bemalung von etwa 1870. Grün und farbenfroh, ganz anders als heute.“

Insgesamt hat die Renovierung 420 000 Euro verschlungen. Etwa 47 Prozent wurden über Zuschüsse des Bistums, der Gemeinde Budenheim und der Ehrenamtsförderung des Kreises Mainz- Bingen finanziert. Die restlichen 53 Prozent hat der Förderverein aufgebracht, durch Fenster-Patenschaften, Mitgliedsbeiträge, Spenden und Gewinnbeteiligung an den Ständen beim weihnachtlichen Pankratiusmarkt.

Kaum war die Kirche fertig, taten die Budenheimer alles, um ihre Orgel wieder nach Hause zu holen. Die Quintinskirche musste von ihr Abschied nehmen; Transport und Aufbau finanzierte das Bistum. „Das ist zwar keine wirkliche Kirche mehr, aber auch dem Bistum war es wichtig, den alten Zustand wieder herzustellen“, sagte Generalvikar Dietmar Giebelmann bei den Eröffnungsfeierlichkeiten. Die Kohlhaas-Orgel spielte dabei der frühere Domorganist Albert Schönberger.

Nach 40 Jahren Schlaf ist „Dornröschen“ endlich wieder wach. „Ein Ort für ganz Budenheim“, betont Sommer, soll die alte Pankratiuskirche sein. Eine Kulturstätte, in der vieles stattfinden kann. „Auch Konzerte an der einzigartigen Kohlhaas-Orgel.“ Und wenn sie nicht wieder vergessen wird, dann spielt sie noch in 100 Jahren.

Drei Fragen an...

„Hier war ich gerne einmal Prinz“

... Albert Schönberger (61), ehemaliger Domorganist in Mainz, Kirchenmusiker und Komponist. Und der erste, der die Budenheimer Kohlhaas-Orgel nach ihrer Rückkehr gespielt hat.

Was ist das Besondere an der Budenheimer Kohlhaas-Orgel?

Sie ist ein Meisterwerk mit besonderer Handschrift des Erbauers: zum einen sehr charakteristische Klänge in den einzelnen Registern, dazu diese noch in einer etwas anderen Aufstellung innerhalb des Instruments und Aufteilung im Prospekt (dem „Gesicht“ der Orgel) mit der Harfenformation. Das Pedal ist noch nicht so ausgedehnt wie zu späteren Zeiten, dennoch zeigt sich die Orgel in einer bewundernswerten klanglichen Bewegtheit, das heißt, viele Stile sind möglich, aber die Anlehnung an Musiken vor, zu und nach Mozarts Zeit ist das Naheliegendste.

Wie war das Gefühl, dieses „Dornröschen“ wachzuküssen?

Schönberger: Hier war ich gerne mal Prinz. Allerdings habe ich das „Mädchen“ mit seinem Charme schon früher still verehrt. Wir hatten mehrfach Begegnung miteinander und mochten uns. Auch bei der Orgelweihe und im Konzert danach haben wir uns leidenschaftlich miteinander „unterhalten“. Und alle sollten über Video und Kamera sehen, dass die Orgel in ihrem Spiel fast immer gelächelt hat, weil sich so viele für sie interessiert haben.

Sie haben diese Orgel auch in St. Quintin in Mainz gespielt. Wo liegt der Unterschied?

Schönberger: Ganz klar darin, dass das Äußere der Orgel und der Klang des Instruments hinsichtlich der Intonation zur Gänze auf den Raum der Pankratiuskirche abgestimmt sind. Deshalb war es nur richtig, sie dort wieder aufzustellen, an ihrem Heimatort, wofür sie von Anfang an bestimmt war. Die akustischen Verhältnisse mit ihren Refexionsmöglichkeiten kommen der Orgel in Budenheim besser zugute als in der eher halligen Quintinskirche. Dennoch hat sie dort uns allen wertvolle und hilfreiche Dienste in der Liturgie gegeben, wofür wir dankbar sind. Fragen: Daniela Tratschitt

Zur Sache

Denkmal und kulturelles Erbe

Am 19. September wurde die Kohlhaas-Orgel in Budenheim eingeweiht. Ein großer Moment für das kleine Örtchen. Mit einer Vesper unter der Leitung von Generalvikar Dietmar Giebelmann gedachten viele Menschen der Vergangenheit des Gebäudes. „Die Budenheimer haben mit dieser Tat einen Trend gestoppt. Sie haben uns eine Kirche zurückgegeben.“ Besonders das Engagement des Fördervereins und der Budenheimer Bürger wurde bei den Feierlichkeiten immer wieder betont. „Wer eine Mission und einen starken Glauben hat, kann auch das Unmöglich geglaubte schaffen“, meinte Pfarrer Michael Ritzert.

Auch die Gemeinde Budenheim und der Förderverein kamen zu Wort. Bürgermeister Rainer Becker war sich sicher, dass die Kirchenrenovierung und die Rückkehr der Orgel „einen besonderen Platz im Geschichtsbuch“ der Gemeinde einnehmen werden. Maria Viviani, Vorsitzende des Fördervereins Pankratiuskirche, bezeichnete die Kirche und die zu ihr gehörende Orgel als „Denkmal und kulturelles Erbe von Budenheim“.

Hauptfigur an diesem Tag war allerdings die lang vermisste Orgel. „Im Spiel der Orgel wollen wir Gott erreichen“, sagte Giebelmann bei seiner Predigt. Der ehemalige Mainzer Domorganist Albert Schönberger begleitete die Vesper an der Kohlhaas-Orgel und zeigte den vielen Teilnehmern die Vielfalt ihrer Orgel. Besonders beim abschließenden Konzert – bei dem das Publikum per Videoübertragung am Spieltisch dabei war – konnte Schönberger zeigen, was die Orgel alles zu bieten hat. Somit wurde er, laut Fördervereinsmitglied Frank Fillinger, zum Prinzen, der Dornröschen wachküsst. (ela)

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