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„Viele Grüße von Onkel Hermann“
08.11.09

„Viele Grüße von Onkel Hermann“

Als klerikaler Schmuggler war Hermann Mayer zehn Jahre unterwegs von Deutschland nach Deutschland

Der Erfurter Dom. Wer ihn heute besuchen will, braucht keine innerdeutsche Grenze mehr zu überwinden. Fotos: privat

Prälat Hermann Mayer. Für seine Verdienste um die Partnerschaft zwischen Ost und West erhielt er 1993 das Bundesverdienstkreuz.

Von Maria Weißenberger

„Wir freuen uns riesig und können es kaum begreifen“, sagte der damalige Stadtdekan Werner Bone, als er am 8. Dezember 1989 im Erbacher Hof in Mainz 90 Mitglieder aus Pfarreien des Bistums Erfurt begrüßte. „Wir auch nicht“, antworteten sie im Chor.

Völlig verdattert, erinnert sich Prälat Hermann Mayer, hatten die Grenzwächter bei Eisenach die zwei Busse aus Richtung Mainz passieren lassen, die die Menschen aus dem Partnerbistum zu einem Treffen nach Mainz holten. Vor gut 50 Jahren hat Mayer die DDR-Zöllner anders erlebt. „Herrisch“ benahmen sie sich, wenn er während seiner Zeit als Diözesanjugendseelsorger so manche Hilfsgüter über die innerdeutsche Grenze brachte.

„Fahr mal nach Erfurt“, hatte ihm sein Vorgänger Ludwig Beier 1956 ans Herz gelegt. Bereits vier Jahre vorher, beim Katholikentag in Berlin, hatten die Jugendseelsorger der beiden Bistümer eine Partnerschaft beschlossen.

Zehn Jahre lang ein erfolgreicher Schmuggler

Mayer fuhr. Und begegnete in Erfurt einer Gruppe von Jugendleitern, die unermüdlich und ideenreich in der Diaspora-Diözese tätig waren. Er merkte: „Sie waren getrieben von dem Willen, den Jugendlichen im atheistischen Staat DDR den Glauben zu vermitteln“, sagt er. Aber sie waren arm: Es fehlte an so vielem, an Literatur, an Anregungen für die Jugendarbeit. Und – ein erster dringender Wunsch: Sie brauchten ein Vervielfältigungsgerät. Mayer überlegte nicht lange – er war entschlossen zu helfen. Und wurde zum erfolgreichen Schmuggler, zehn Jahre lang.

Die einzige Möglichkeit, überlegte er, war der Transitverkehr: „Der wurde nicht so heftig kontrolliert.“ So lud er in Berlin ein Vervielfältigungsgerät ins Auto und machte sich auf den Weg. Unbehelligt kam er durch die Kontrolle – doch die Übergabe kam nicht wie geplant zustande: am dritten Parkplatz vom Hermdorfer Kreuz Richtung Berlin sollte sie stattfinden. Aber Hermann Mayer erwartete seine Partner dort stundenlang vergeblich. Durch ein Missverständnis warteten sie an einer anderen Stelle.

Was tun? Kurz entschlossen fuhr Mayer ohne Genehmigung nach Erfurt. Den Wagen stellte er in der Nähe des Doms ab, ging zu Fuß zum Hermannsplatz und klingelte den Spiritual des Priesterseminars, der über der Diözesanjugendstelle wohnte, heraus. Er ging mit ihm, gemeinsam fuhren sie zur Dienststelle. Unterwegs sagte sein Begleiter: „Sie haben aber schlecht geparkt. Ihr Auto stand direkt vor dem Stasi- Hauptquartier.“

Uralte VW-Busse wundersam erneuert

Glück im Unglück. Lange dachte Hermann Mayer damals darüber nach, wie es weitergehen sollte. Und entschied sich, weiter Hilfe zu leisten. Allerdings ergriff er jetzt geeignete Maßnahmen, um zu verhindern, dass sich die Partner verfehlten: „Viele Grüße von Onkel Hermann aus dem dritten Stock“, stand regelmäßig in einem Brief, den er rechtzeitig vor seiner Abreise nach Erfurt schickte. Damit war klar, dass wieder der dritte Parkplatz der Treffpunkt sein sollte. Mehrere Koffer wurden bei jedem dieser Treffen ausgetauscht, zweimal auch nur die Nummernschilder: „Aktion Flügelschraube“ hieß das gut durchdachte „Spiel“, bei dem sich uralte VW-Busse aus Erfurt auf wunderbare Weise erneuerten. Die Motornummern hatten Fachleute in Gau-Bickelheim zuvor „umgepolt“.

Im viel besuchten Mainzer Jugendhaus wussten nur wenige Auserwählte von dem „klerikalen Schmuggler“, der drei- bis viermal im Jahr auf die Reise ging. „Morgen nehme ich einen freien Tag“, ließ er dort lediglich verlauten.

Als die Einreise zunehmend schwieriger wurde, traf sich Mayer mit seinen Erfurter Freunden in Nord-Böhmen, der Heimat von des Erfurter Diözesanjugendleiters Hans Donat. 1966 besuchten die Männer in Prag unter anderem Erzbischof Tomasek, der unter Hausarrest im alten Bischofspalais lebte. Was sie nicht merkten: Die Geheimpolizei folgte ihnen, erfuhr die Anschriften der „Feinde des Sozialismus“ im Hotel. Über Moskau gelangten ihre Daten nach Ost-Berlin.

Im März 1967 wurde Hermann Mayer an der Bornholmer Straße verhaftet und ins Zuchthaus Hohenschönhausen gebracht. „Ich wusste nicht, wo ich war“, erzählt er, „sie fuhren mich in einem Auto mit Dunkelkammer dorthin.“ Seine Zelle hatte keine Fenster, nur wenige Glasbausteine. „Durch eine Klappe in der Tür kam Essen und Wasser“, schildert er seine Erlebnisse. „Nachts ging immer wieder das Licht an, der Gefangene wurde beobachtet.“ Er wurde Kreuzverhören bis zu acht Stunden unterzogen. „Heute noch sind sie frei, wenn Sie auspacken“, versuchten ihn die Stasileute zu Fall zu bringen, ihm seine Kontakte in Thüringen zu entlocken. Oder seine Auftraggeber im Westen – an seine private Initiative glaubten sie nicht. Dann, nach vier Wochen, überraschend die Freilassung: „Ich habe erst später erfahren, dass ich freigekauft wurde.“

Viel Aufhebens macht er nicht um das, was er erlitten hat. „So habe ich einmal erlebt, wie das ist“, meint er knapp. Vergessen wird er die wochenlange Isolationshaft nicht. „Aber viel stärker im Bewusstsein sind mir die menschlichen Beziehungen und Begegnungen im Rahmen der Partnerschaft“, erklärt er. Und manche Freundschaft hält bis heute.

Zitiert

Leuchtraketen

Städtepartnerschaft Erfurt – Mainz, 1988. Ein erstes Zeichen der Auflockerung: Die Oberbürgermeisterin von Erfurt, Rosa Seibert, kam an den Rhein. Es gab auch ein Gespräch mit den kirchlichen Partnern. Darüber wurde in „Glaube und Leben“ berichtet. Die Folge: Georg Sterzinsky, damals Generalvikar in Erfurt, wurde von der Stasi verhört. Mit der Freiheit, die die „rote Rosa“ bei ihrem Besuch beschworen hatte, konnte man noch nicht rechnen. Ich entschuldigte mich bei Sterzinsky. Er schrieb, inzwischen Bischof in Berlin: „Sie hatten gute Absichten. Ich habe volles Verständnis. Jetzt kann man sagen, es war gut, dass solche ,Leuchtraketen‘ hochgingen!“ Hermann Mayer

Zur Sache

Nachdem die Mauer fiel

Eine Stadtbesichtigung und eine Domführung, ein Besuch in der Stephanskirche mit den Chagallfenstern – und ein geselliger „Mainzer Abend“ gehörten zum Programm eines Wochenendes im Dezember 1989 in Mainz. Zwei Busse hatten 90 Mitglieder aus 15 Pfarrgemeinden des Bistums Erfurt abgeholt. In „Kontaktgesprächen“ im Erbacher Hof ging es darum, die bestehenden Beziehungen zu vertiefen und neue Möglichkeiten der Partnerschaft zu erörtern. (mw)

Stichwort

Katholikenräte

Als nach der Wende aus der „Katholischen Aktion“ ein „Katholikenrat“ wurde, hat der Mainzer Katholikenrat Mitte der 1990er Jahre erstmals mit dem Erfurter Gremium Kontakt aufgenommen – und sich dabei auf die alten Beziehungen berufen, die Hermann Mayer aufgebaut hatte. In den 1990ern fanden dann zwei Treffen statt, die dem Kennenlernen dienten – eins in Mainz, eins in Erfurt. Durch die unterschiedlichen Wahltermine fielen immer wieder Jahre aus, weil sich die Zusammensetzung der Gremien änderte und man immer neu motivieren musste. Im neuen Jahrtausend fanden dann sehr intensive Begegnungen statt, unter anderem 2005 ein Wochenende in Hünfeld mit einer Wanderung auf einem Stück der Bonifatius-Route, 2007 in Erfurt anlässlich des Elisabeth-Festes und 2009 am Geistlichen Tag der Räte beim Domjubiläum in Mainz. Neben den äußeren Anlässen stand immer auch ein Austausch über die Strukturen und die jeweils aktuellen Räte- Themen auf der Tagesordnung.

Martina Reißfelder, Geschäftsführerin des Mainzer Katholikenrats: „Wir Mainzer lernten dabei insbesondere, dass wir nicht der Nabel der Welt sind, sondern dass es anderswo auch Herausforderungen gibt.“ Dies seien in Erfurt beispielsweise das atheistische Umfeld, die hohe Arbeitslosigkeit und fehlende Unter-Strukturen in Dekanaten. (pm)

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