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Dürfen Christen sich da freuen?
15.05.11

Dürfen Christen sich da freuen?

Zu den Diskussionen über die Tötung von Osama bin Laden und die Reaktionen darauf

 

Ausgabe 20 vom 15. Mai 2011

Professor Peter Reifenberg Foto: Christian Burger

Bernd Lülsdorf ist in der Cityseelsorge in Darmstadt tätig. Foto: privat

Wo immer Menschen seit dem 2. Mai zusammentreffen: Die Tötung des Al-Qaida-Führers Osama bin Laden ist ein Thema. Auch dass Bundeskanzlerin Angela Merkel Freude darüber ausgedrückt hat, bewegt die Menschen. Fragen dazu an den Moraltheologen Professor Peter Reifenberg, Direktor der Bistumsakademie Erbacher Hof in Mainz.

Bin Laden hat viele Menschenleben auf dem Gewissen. Trotzdem: Dürfen sich Christen freuen, wenn ein Mensch getötet wurde?

Die Frage ist sehr grundsätzlich, trägt einen zutiefst ethischen Charakter, rührt an das Selbstverständnis unseres Christseins. Denn der gewaltsam herbeigeführte Tod eines Menschen stellt für den Christen ausnahmslos einen bedauernswerten Verhalt dar und kann niemals Ausdruck der Freude sein.

Denken wir allerdings an Gewaltherrscher der Vergangenheit und der Gegenwart, so wäre es sicherlich auch ethisch zu rechtfertigen, sich auf einen übergesetzlichen Notstand, auf die Weise einer Nothilfe zu berufen. Die gesamte Problematik fasst literarisch unübertroffen Albert Camus in seinem Drama „Les Justes“ ein. Er berücksichtigt gleichzeitig die Sichtweise von Revolutionären wie die eines nicht demokratischen Regimes und beruft sich auf ein höher stehendes Humanum. Aber denken wir real-historisch an das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944, so wären gewiss mit dem Erfolg des „Tyrannenmords“ schlimmere Taten verhindert worden. Der in der Moraltheologie vorgesehene Verhalt des Tyrannenmords bezieht sich auf zukünftig zu befürchtende Gewalttaten, die durch nichts als den Tod des Tyrannen zu lösen sind.

Christen dürfen sich freuen, wenn durch den mutigen Einsatz zivilcouragierter Menschen bedrohende, gewaltsame Zustände abgewendet werden können. Sie dürfen sich freuen, wenn nach menschlichen Maßstäben Gerechtigkeit wieder hergestellt wird. Sie sollten sich eingedenk der Person und des Tuns Jesu Christi jedoch nicht freuen, wenn andere Menschen gewaltsam getötet werden.

Wie beurteilen Sie die Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel?

Zunächst steht es mir nicht zu, Bundeskanzlerin Merkel in ihren Aussagen zu beurteilen. Politiker müssen oft kurzfristig, knapp und schlagfertig auf überfallartige Fragen von Journalisten weittragende Antworten geben. Die Antwort der Kanzlerin hat sicherlich verschiedene Bedeutungsebenen: Zum einen bringt sie berechtigt zum Ausdruck, dass die Operation der amerikanischen Elite-Truppen erfolgreich beendet worden ist. Andererseits verbindet sie diese Freude über das Gelingen dieser Operation mit dem Tode eines Menschen; dies könnte so ausgelegt werden, dass sie sich über eine gezielte Tötung freute, was ich einer klugen diplomatisch argumentierenden Staatsfrau nicht unterstellen würde.

Hätten die Amerikaner bin Laden töten dürfen? Und: Ist für Christen das Völkerrecht die alleinige Grundlage, über eine solche Frage zu entscheiden – gibt es nicht noch etwas, das darüber hinausgeht?

Die Umstände des Todes Osama bin Ladens sind hoch komplex und verdichten sich in Situationen, die wir letztlich nicht mit dem Seziermesser beurteilen und analysieren können. Wir müssten hierzu den Tatbestand bis ins Detail kennen, was nicht der Fall ist. Die Problemfelder bewegen sich zwischen Politik, Recht, Kultur und Moral. Hinzu kommt ein interreligiöser Aspekt, den wir gerade als Christen ausgewogen, vorsichtig und nüchtern beurteilen sollten.

Zunächst muss festgestellt werden, dass die Tötung des Al-Qaida-Führers für das besonders durch den 11. September 2001 traumatisierte amerikanische Volk eine hohe symbolische Bedeutung hat, da es unter steter Kränkung und Demütigung litt. Hinzu kommt auch die menschlich verständliche Sehnsucht, dass der Mörder nicht über das Opfer triumphieren darf.

Sicherlich hatte man bei der Abfassung des Völkerrechts das rechtlich und politisch einzuordnende Phänomen des Terrorismus noch nicht im Blick, da eine gewaltsame Gegenwehr nur im Kriegszustand vorgesehen ist. Wir haben es jedoch bei terroristischen Anschlägen mit einer neuen Form asymmetrischer Kriegsführung zu tun, die durch das Völkerrecht nicht hinreichend eingefasst ist. Ferner ist zu bedenken, dass wir es bei Osama bin Laden mit keinem herkömmlichen Kombattanten (Kampfteilnehmer) zu tun haben. Ist Osama bin Laden eine „Kriegspartei“, ein Anführer in einem bewaffneten internationalen Konflikt, wie es das Kriegsvölkerrecht formuliert, dann wäre auch eine gezielte Tötung durch ein Spezialkommando rechtlich zulässig (vgl. „Die Zeit“ Nr. 19, Seite 2). Wie hat sich der Al-Qaida-Führer selbst verstanden? Wenn, wie 1998 behauptet, als Kriegsführer, dann führt er einen, zwar nicht herkömmlichen, „Krieg“ gegen die USA. Zu einer nüchternen Beurteilung sollte man sich die Resolutionen zu Afghanistan genau anschauen. Die USA sehen in ihrem politi-schen Realismus die Terroristen nicht nur als bloße Kriminelle an, sondern definieren sie als völkerrechtliche Gruppen, die bei einer einseitigen Kriegserklärung mit Gegengewalt zu rechnen haben.

Ob die Kommandogruppe im „situation room“ unter Präsident Obama tatsächlich die Verhaftung Osamas angestrebt hat oder zugleich auch an die Legitimierung einer gezielten Tötung dachte, entzieht sich unserer Beurteilung. Als Christen stehen uns mehrere Quellen der Moral zur Verfügung. Dabei ist das Evangelium vielleicht die wichtigste und maßgeblichste. Dort freilich stellen die Autoren den großen Bruch zwischen menschlichem Gerechtigkeitsgefühl und Gottes Gerechtigkeit unmissverständlich fest. Gottes Gerechtigkeit vollendet sich in unbegrenzter Barmherzigkeit.

Fragen: Maria Weißenberger

Nachgefragt

Von Erleichterung zu tiefer Nachdenklichkeit

Was empfinden Sie angesichts der Tötung von Osama bin Laden? Was bewegt Sie, wenn Menschen ihre Freude darüber ausdrücken? Auf die Fragen von „Glaube und Leben“ schreibt Pas-toralreferent Bernd Lülsdorf:

„Die Nachricht vom Tode Osama bin Ladens habe ich zunächst mit Erleichterung aufgenommen. Der offensichtlich Verantwortliche für die Attentate am 11. September in New York und am 11. März in Madrid kann nun keine weiteren Anschläge mehr planen und ausführen.

Die Bilder des überschwänglichen Jubels auf den Straßen und die – auch durch Bundeskanzlerin Angela Merkel – ausgedrückte „Freude“ haben mich jedoch sehr befremdet. In dem Zusammenhang erinnere ich mich, wie schwer es den Mitgliedern des Kreisauer Kreises gefallen ist, ein mögliches Attentat auf Adolf Hitler vor ihrem Gewissen zu verantworten. Haben sich unsere Moralvorstellungen so verändert, dass wir über die Tötung eines Menschen mit so unverhohlener Freude reagieren können?

Vor allem nachdem Einzelheiten der Ereignisse in Abbottabad bekannt wurden, komme ich nicht umhin, nach der Rechtmäßigkeit dieser Aktion zu fragen, die in meinen Augen eine Tötung ist. Jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes und jeder Mensch hat das Recht auf die Unverletzlichkeit seines Lebens. Dies gilt für jeden Menschen, dies galt auch für Osama bin Laden. Nach meiner Auffassung hätte er sich – wie jeder andere auch – vor einem Gericht verantworten müssen.

Meine anfängliche Erleichterung ist einer tiefen Nachdenklichkeit gewichen.“ Was meinen Sie? Schreiben Sie uns: Redaktion „Glaube und Leben“, Postfach 2049, 55010

Mainz

Service

Erbacher Hof aktuell

Auf die rechtlichen und ethischen Fragen um die Tötung von Osama bin Laden geht die Bistumsakademie mit einer Veranstaltung in Kooperation mit der Juristischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ein. Zum Thema „Gezielte Tötung erlaubt? Der Fall Osama bin Laden“ äußern sich der Völkerrechtler Professor Dieter Dörr und der Rechtsphilosoph Professor Uwe Volkmann (beide Universität Mainz) sowie Professor Peter Reifenberg.

„Offenes Dialogforum – kontrovers“ am 17. Mai um 19.30 Uhr im Haus am Dom in Mainz, Liebfrauenplatz 8

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