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„Ganz schön was los“
24.10.10

„Ganz schön was los“

Wie drei Generationen sich zwanglos begegnen können: ein Erfahrungsbericht aus Bürstadt

 

Ausgabe 43 vom 24. Oktober

(Von links) Ruth K. (76), Wilma O. (64), Sarah (14) und Ursula M. helfen mit beim Zwiebelkuchenbacken.Fotos: Patricia Mangelsdorff

St. Elisabeth in Bürstadt

Birgit Mascetta (rechts), Leiterin des Sozialen Dienstes, mit Heimbewohnerin

Von Patricia Mangelsdorff

Wie verläuft ein Besuch in einem Pflegeheim? Bedrückend? Leise? Im Bürstädter Altenund Pflegeheim St. Elisabeth erlebt man eine Überraschung und lernt dabei ein ausgezeichnetes Generationenprojekt kennen.

An diesem Tag gibt’s Zwiebelkuchen und neuen Wein. Nichts Besonderes in der Region im Herbst, denke ich. Ungewöhnlich ist aber das Team, das fröhlich Zwiebeln schneidet, ohne sich von den Zwiebeldünsten die Laune verderben zu lassen. Denn hier stehen mehrere Generationen um einen Tisch (Foto rechts).

Das gemeinsame Kochen und Essen ist Teil der Nachmittagsbetreuung im Caritas Alten- und Pflegeheim St. Elisabeth in Bürstadt; dieses Angebot wird vom Projekt „Old meets young“ (Alt trifft Jung. siehe auch „Zur Sache“) unterstützt.

Bei der Nachmittagsbetreuung können Seniorinnen und Senioren, die noch zu Hause wohnen, zweimal in der Woche an gemeinsamen Aktivitäten teilnehmen. Und seit Jahren sind auch immer Schülerinnen und Schüler der Erich Kästner Schule (EKS) Bürstadt dabei. Für Sarah Bechtel (14) ist es der erste Tag im Projekt. Sie hat nicht nur sichtlich Spaß, sondern freut sich darüber zu lernen, wie man Zwiebelkuchen zubereitet.

Ertappt: Jede Menge Vorurteile im Kopf

Ich stehe im Eingangsfoyer von St. Elisabeth. Als ich es vor etwa zwei Stunden betrat, ertappte ich mich dabei, jede Menge Vorurteile im Kopf zu haben: Sicher ein stilles Gebäude, hier und da ein leises Gespräch. Bewohner, die den Besuch junger Leute erwarten, weil sie mit ihrer Zeit nur noch wenig anzufangen wissen. Dünner lauwarmer Kaffee in Thermoskannen. Gedämpfte Stimmung. Weit gefehlt. Stattdessen: Gelächter aus allen Ecken, angeregte Gespräche, schwungvolles Kartenspiel und Espressoduft. Ist das nun ein Altenheim oder ein Café? Ich entdecke eine freundliche Atmosphäre, gestaltet aus Sitzecken, offen und gleichzeitig mit vielen Rückzugsmöglichkeiten. Meine Bemerkung, hier sei aber ganz schön was los, belustigt Birgit Mascetta, Leiterin des Sozialen Dienstes: Von wegen, es seien sonst viel mehr Leute da; heute seien die meisten beim Seniorennachmittag im Bürgerhaus.

Immer mehr junge Leute interessieren sich dafür

Bereits seit 20 Jahren sind Schüler der Bürstädter Erich Kästner Schule (EKS) in St. Elisabeth aktiv. Sie kamen zum Singen und Vorlesen oder boten Spiele an. Allerdings waren sie dabei zunächst weitgehend auf sich gestellt. Auch 2002 und in den folgenden Jahren, als auf Initiative der EKS mit der Gründung von „Old meets young“ erstmals Schülern die Mitarbeit in einem sozialen Projekt angeboten wurde, blieben Schüler und Bewohner von St. Elisabeth weitgehend unter sich.

Mit der Zeit interessierten sich immer mehr junge Leute für die Aufgabe. Birgit Mascetta konnte bei inzwischen 30 bis 40 Schülern nicht mehr jedem genügend Begleitung und Unterstützung geben. So entstand die Idee, erfahrene ehrenamtliche Mitarbeiterinnen in das Projekt einzubinden – quasi als Brücke zwischen den Generationen.

Seit drei Jahren sind Wilma Ofenloch, Marlies Batzel und Christina Kilian mit dabei. Die drei „junge Seniorinnen 60+“ leiten an, beraten, unterstützen und haben ein Auge für das, was vielleicht mal nicht rund läuft.

Die Frauen im Ehrenamt bringen Lebenserfahrung und soziale Kompetenz mit. Wilma Ofenloch ist langjährige Altenpflegerin und nach wie vor stundenweise in der Nachmittagsbetreuung tätig, Christina Kilian leitete früher die Caritas-Kindertagesstätte in Bürstadt. Ohne das Wissen und Engagement der drei Frauen wäre „Old meets young“ so nicht denkbar – das findet Günter Schwering, Leiter von St. Elisabeth.

Handy, Mode, Fußball und Fernsehserien

Zurück zu meinen Vorurteilen. Welche Interessen haben Schülerinnen und Schüler um die 14? Sicher Handys; je nach Geschlecht Mode oder Fußball. Computerspiele. Fernsehserien. Wahrscheinlich war’s das, denke ich. Aber hier erfahre ich: Die Jugendlichen – und zwar zunehmend auch Jungen – sind brennend interessiert an dem, was die Senioren aus ihrem Leben erzählen.

Besonders beeindruckt waren sie beispielsweise, als eines Nachmittags das Gespräch auf die Trümmerfrauen der Nachkriegszeit kam: lebendiger Geschichtsunterricht, in dem sie erfuhren, wie Menschen Stein um Stein ihre Häuser aus Worms holten und in Bürstadt wieder aufbauten. Dass Menschen so viel in ihrem Leben geleistet und Schweres erlebt haben – und immer noch fit sind.

Die jungen Leute sind froh, hier erste Erfahrungen fürs Berufsleben zu sammeln; viele absolvieren später ein Freiwilliges Soziales Jahr oder wählen einen Sozialoder Pflegeberuf. Sie übernehmen die Verantwortung, regelmäßig und verlässlich zu den Senioren zu kommen, und zwar oft nicht nur im Zeitraum eines Schuljahres. Viele tauchen auch später immer wieder auf, manche bleiben fünf Jahre dabei. Und sie sind bereit, sich dabei mit Themen wie Demenz oder Tod auseinander zu setzen.

Und was haben sie davon? Sicher das gute Gefühl, etwas für andere zu tun. Darüber geht das Projekt hinaus. Birgit Mascetta und ihre Kolleginnen erzählen von Hauptschülern, die bei „Old meets young“ erlebten, dass sie „ja doch etwas können“ und denen es Ansporn genug war, den Realschulabschluss zu schaffen.

Täglich kommen Kinder einer Kita zum Essen Nicht nur Schüler, auch viele Ehrenamtliche verschiedener Altersgruppen gehen hier ein und aus. Täglich kommen Kinder einer Kindertagesstätte zum Essen ins Pflegeheim. Alt trifft jung – in St. Elisabeth gehört das zum Alltag. Und vielleicht ist das eines der Erfolgsgeheimnisse von „Old meets young“.

Zur Sache

Schüler bekommen Zertifikat

Jeder achten Klasse der Erich Kästner Schule Bürstadt wird die Teilnahme an dem Projekt „Old meets young“ angeboten. Damit die Schülerinnen und Schüler sich ein Bild von ihren Aufgaben machen können, bietet Birgit Mascetta ihnen zunächst eine Besichtigung des Hauses, bei der sie alles fragen können. Erst danach entscheiden sie sich, ob und in welchem Bereich sie teilnehmen wollen: in einem der Wohnbereiche, in der Nachmittagsbetreuung oder als Begleitdienst bei der jeden Freitagnachmittag stattfindenden Heiligen Messe.

Bis zu 40 Schülerinnen und Schüler arbeiten so in jedem Jahr daran mit, einen Raum der Begegnung zwischen drei Generationen zu schaffen. Das überzeugte die Juroren der Wilhelm Emmanuel von Ketteler Stiftung, die 2010 einen Wettbewerb unter dem Titel „Unsere Erfahrung zählt“ ausgeschrieben hatte, wobei das Bürstädter Projekt auf Platz zwei gelangte. Für die verlässliche Mitarbeit während eines Schuljahres erhält jede Schülerin und jeder Schüler ein Zertifikat.

Von Bedeutung sind beim gesamten Projekt das Wissen und die Erfahrung der „ständigen Bindeglieder“ zwischen den Generationen: die Ehrenamtlichen Wilma Ofenloch, Marlies Batzel und Christina Kilian. (pat)

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