Die Kirchenzeitungen für die Bistümer Fulda, Limburg und Mainz
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Von allen Kunstwerken am Dom dem Himmel am nächsten
07.06.09

Von vielen älteren, aus flachen Metalltafeln gearbeiteten „Kollegen“ unterscheidet sich der Wetterhahn auf dem Mainzer Dom durch seine körperhafte Gestaltung. Der Meister J. G. Hebel hat sich auf dem Röhrenständer verewigt. Foto: Archiv

Winzig sieht er aus, der Wetterhahn auf dem Westturm des Doms, wenn man bei einem Bummel über den Markt zu ihm hinaufschaut. Aber da ist er ja auch weit, weit weg. Mehr als 80 Meter über dem Pflaster thront der „Domsgiggel“, wie ihn die Mainzer – richtiger: die Meenzer – nennen. Wer ihn schon einmal aus der Nähe gesehen hat, weiß: Mit etwa einem Meter Höhe und mehr als einem Meter Breite ist er schon ein monströses Vogelvieh. Aber zu ihm hinauf kommt halt so leicht keiner. Und dass er herunterflattert, wie es die Mainzer Autorin Helga Höfle in ihrer Geschichte „Der Domsgickel“ erzählt, wird wohl ein Märchen bleiben. Herunter geholt wurde der alte Herr allerdings mehr als einmal, seit 1774 seine Geburtsstunde geschlagen hatte. 1889 etwa wurde er bei Neuanlage der Blitzableitung kurz entfernt, wie Dr. Friedrich Schneider 1901 in seiner Schrift „Der Wetterhahn auf dem Dom zu Mainz“ schreibt. Anlass für seine ausführliche Beschäftigung mit dem Giggel waren „nothwendig gewordene Herstellungen“ im Mai 1901: Das erhobene rechte Bein war in seiner Befestigung so schadhaft geworden, dass die Umdrehung des Körpers behindert war und Unfallgefahr bestand, falls sich das Bein lösen würde.

Tatsächlich heruntergefallen ist im Zweiten Weltkrieg der Schwanz – wobei der Domsgiggel der einzige Verletzte blieb. Der Messdiener Konrad Schué, der die Federn im Kreuzgang des Doms entdeckte, gab seinen Fund sogleich im Dommuseum ab, wo man das kupferne Gefi eder in einer Truhe aufbewahrte. Heute ist der einstige Ministrant 79 Jahre alt und Seniorchef eines traditionsreichen Mainzer Elektro- Sanitär-Heizungs-Betriebs. Lebhaft erinnert er sich an seine Begegnungen mit dem Domgiggel – beim Fund der Schwanzfedern ist es nämlich nicht geblieben: 1956 erhielt Schués Vater Theodor den Auftrag, dem Hahn wieder einen Schwanz zu verpassen. Da fi el seinem Junior ein, wo die Original-Federn verstaut worden waren – und tatsächlich: Sie lagen noch in der Truhe.

Bei genauer Untersuchung des „Patienten“ stellte sich heraus, dass die Haltestange durch ein Geschoss so beschädigt war, dass der Hahn sich nicht mehr drehen konnte. Dadurch war das Schwanzgefieder dem Wind ungeschützt ausgeliefert – kein Wunder, dass die dünnen, aus einer Kupfer-Messing-Legierung bestehenden Federn abbrachen. Damit das mit dem neu angepassten Schwanz nicht wieder passieren konnte, machte Schlossermeister Anton Eckert den Vogel wieder beweglich. Malermeister Hermann Franz putzte das Tier vor seiner Rückkehr auf den Turm mit Blattgold heraus. Im Rumpf wurde eine neue Bleischatulle verborgen. Ausdrücklich ist in der darin enthaltenen Urkunde vom 15. Dezember 1956 der volkstümliche Name „Domsgickel“ festgehalten – und ein Gebet um Frieden.

Fliegen konnte das stattliche Vieh natürlich auch jetzt nicht – und weil es mit seinen Ausmaßen viel zu breit war für das schmale Gerüst an der Turmspitze, unternahm der junge Konrad Schué bei eisigem Wind eine nicht ungefährliche Kletterpartie: Den Riesenvogel in einem Fahnentuch eingeschlagen auf dem Rücken, stieg er außen am Gerüst hoch. (Seiner Frau hat er wohlweislich erst davon erzählt, nachdem das Unternehmen geglückt war.)

Seitdem dreht sich der Domsgiggel wieder im Wind – und damit war auch die alte, echt meenzerische Wetterregel wieder in Kraft gesetzt: „Scheißt der Giggel Richtung Rhein, wird morgen Regenwetter sein.“ Meistens stimmt’s, sagt Konrad Schué.

Maria Weißenberger

© Annegret Burk