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Auf die Bindung kommt es an
31.07.11

Auf die Bindung kommt es an

Ausbildungskurs bietet Eltern Orientierung für ihre Erziehungsaufgabe

 

Ausgabe 31 vom 31. Juli 2011

Leonie Schmidt (links) begleitet das Ehepaar Maier nach den erfolgreichen ersten Wochen weiter und ist jederzeit beim Aufkommen von Problemen für sie ansprechbar. Fotos: Christoph Kirchhoff

Dr. Karl Heinz Brisch leitet die Abteilung für Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie im Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig- Maximilians-Universität München. Er forscht schwerpunktmäßig im Bereich der frühkindlichen Entwicklung zur Entstehung von Bindungsprozessen und ihren Störungen.

Von Christoph Kirchhoff

„Sichere Ausbildung für Eltern“ (kurz: SAFE) ist ein Elternkurs von der Schwangerschaft bis das Kind ein Jahr alt ist. Diplom-Pädagogin Leonie Schmidt, ausgebildete SAFE®- Mentorin, und Sozialpädagogin Barbara Heck-Odignal vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Gießen führen diesen Kurs zum ersten Mal durch.

„Wir wollten uns fundierten Rat holen, um der großen Verantwortung gerecht werden zu können, die mit einem Kind verbunden ist“, erzählen Almut (28) und Markus Maier (36). Unterstützung von Eltern und Geschwistern erhielt das jung verheiratete Paar in dieser Hinsicht nicht. „Deren Erziehungsstil hatte keine Vorbildfunktion für uns.“ Zudem werde man von Erziehungsratgebern „zugeknallt“, sagt Markus Maier. Orientierung erhielten die beiden durch das SAFE-Programm, das der SkF Gießen für werdende Eltern durchführt. Finanziert wird der Kurs unter anderem durch das „Netzwerk Leben“.

Eigene Kindheit bewusst machen

„Im SAFE-Programm lernen die Eltern, die Signale des Babys besser zu verstehen und eine sichere Bindung zu ihm zu entwickeln“, erklärt Leonie Schmidt. Langjährige Forschungen hätten ergeben, dass eine sichere Bindung die beste Basis für die weitere Entwicklung des Kindes ist. Zudem könne durch ein „kompetenzförderndes Feedback“ das Selbstvertrauen der Eltern gestärkt werden. „Viele Eltern machen ihre Erziehungsarbeit bereits gut und wissen es gar nicht“, so Schmidt.

Geholfen hat Almut Maier etwa ein biografisches Interview zur Auseinandersetzung mit der eigenen Bindungsgeschichte. Dadurch konnte sie Erlebnisse aus ihrer eigenen Kindheit, wie die Scheidung ihrer Eltern, bewusst machen und mögliche Auswirkungen auf die Partnerschaft und das Zusammenleben mit dem Kind bedenken. „Ich weiß von meinen Trennungsängsten und kann in Bezug auf meinen Sohn leichter damit umgehen.“

Hilfreich sei vor allem auch die persönliche Betreuung durch die Kursleiterinnen gewesen, sagt Almut Maier. Zudem war der Austausch mit den anderen Eltern wichtig, beispielsweise über das Stillen und das Wickeln oder partnerschaftliche Themen. Das Notfalltelefon, das Leonie Schmidt anbietet, haben die Maiers jedoch bislang nicht in Anspruch nehmen müssen.

Seit fünf Wochen wirbelt das Baby ihren Alltag kräftig durcheinander. „Das Kind dirigiert unsere Zeit“, sagt Markus Maier. Wenn es schläft, sei es manchmal ratsam, ebenfalls zu schlafen, um den mangelnden Schlaf aufzuholen. Die Erledigung des Haushalts müsse dagegen oft hinten anstehen. Ein „24-Stunden-Job“ und ein „Stillmarathon“ sei die erste Lebensphase mit dem Säugling. Dass das so ist – und auch normal ist – darin fühlen sich die jungen Eltern von den SAFE-Referentinnen bestätigt.

Auf Äußerungen des Babys angemessen reagieren

Das Augenreiben könne ein Hinweis dafür sein, dass das Kind müde ist, während ein starrer Blick und die Hinwendung des Kopfes in eine andere Richtung bedeuten könne, dass das Baby gern anders beschäftigt werden will. Mareike Müller (25) hat in dem SAFE-Programm gelernt, genau auf Gestik und Mimik des Kindes zu achten, um es besser zu verstehen. In einem Videotraining wurden dazu modellhafte Situationen analysiert. Dabei gehe es darum, auf akustische Äußerungen, Gestik und Mimik der Kinder angemessen zu reagieren, erklärt Leonie Schmidt.

„Als alleinerziehende Mutter habe ich von den Kursleiterinnen vor allem Bestätigung und Anerkennung bekommen“, sagt Mareike Müller. Aufgrund der Doppelbelastung durch ihr Studium dürfe sie ihr Kind ohne schlechtes Gewissen in die außerhäusige Betreuung geben. Und trotz ihres Ehrgeizes, für ihr Kind immer da sein zu wollen, dürfe sie sich etwa von ihrer Mutter auch helfen lassen.

Die Qualität der Bindung ist entscheidend, betont Leonie Schmidt. Wenn die Bindung durch Feinfühligkeit, mit der die Erziehungsperson dem Kind begegnet, gelingt, werde auch eine etwaige externe Betreuung keine Entwicklungsstörungen verursachen.

Nachgefragt

„Bildet die Eltern aus, damit sie ihren Erziehungsjob gut machen“

Fragen an Privatdozent Dr. Karl Heinz Brisch. Er hat mit seinem Team das SAFE-Programm für angehende Eltern entwickelt.

Was bedeutet eine sichere Bindung für den Menschen?

Bindung ist ein unsichtbares Band über Raum und Zeit hinweg. Jeder Mensch besitzt eine genetische Bereitschaft und Motivation, sich zu binden. Bindungsbedürfnisse erwachen besonders in Angst-Situationen. Eine sichere Bindung bietet in solchen Situationen Schutz, Sicherheit und Beruhigung – bei kleinen Kindern besonders, aber auch bei Erwachsenen. Dem Prinzip der Bindung steht das Prinzip der Erkundung entgegen. Erkundung kann man sich nur leisten, wenn man die Erfahrung einer sicheren Bindung mit sich trägt.

Wie entsteht eine sichere Bindung?

Es gibt eine „intuitive elterliche Verhaltensbereitschaft“, die Signale und die dadurch ausgedrückten Bedürfnisse des Kindes feinfühlig aufzugreifen. Um eine sichere Bindung herzustellen, braucht es zwischen dem Säugling und seiner Bezugsperson eine dialogische Sprache, Blickkontakt und feinfühlige Berührungen. Die Bezugsperson muss in der Lage sein, die Signale des Kindes wahrzunehmen, angemessen zu interpretieren und feinfühlig und prompt darauf zu reagieren.

Wie soll die Ablösung von den Eltern stattfinden?

Kinder, die sicher gebunden sind, laufen ihrer Mutter nur hinterher, wenn ihr Bindungsbedürfnis aktiviert ist, also wenn sie Angst haben. Das kann sein, wenn ein großer Hund vorbeikommt, weil das Kind einen Albtraum hatte, oder weil die Mutter weggeht. Sobald die Kinder sich sicher fühlen, wollen sie erkunden.

Von einer sicheren Basis aus kann das Kind den Spielplatz erkunden, die nächste Stadt erkunden, die ganze Welt erkunden, weil es, wenn es größer ist, auch dieses Bindungsgefühl verinnerlicht hat. Die Mutter muss dann nicht mehr real anwesend sein. Dreijährige können in den Kindergarten gehen und dort sehr gut spielen, obwohl sie von der Mutter getrennt sind, weil sie die Bindung verinnerlicht haben.

Was ist, wenn die Mutter sie nicht gehen lässt?

Wenn die Mutter das Kind festhält oder ihm Angst macht vor der „bedrohlichen“ Welt, kann es nicht gehen, weil es ja wieder Angst hat. Wenn aber die Mutter zu verstehen gibt, dass sie verlässlich da ist – und wenn sie nicht da ist, dass es dann eine andere verlässliche Bindungsperson gibt, zum Beispiel die Erzieherin – dann kann es im Angstfall zu ihr gehen. Wenn allerdings etwas ganz Schlimmes passiert, muss die Hauptbindungsperson kommen, um das Kind zu trösten.

Können Mütter lernen, ihr Kind loszulassen?

Wenn Mütter aus ihrer kindlichen Entwicklung viele Ängste mitbringen, sind sie dazu prädestiniert, ihr Kind nicht so gut in die Welt ziehen zu lassen, weil ihnen sein Weggang Angst macht. Solche Mütter brauchen daher eine Hilfestellung, um herauszufinden, wo diese Angst sich entwickelt hat. Mit unserem Programm „SAFE – Sichere Ausbildung für Eltern“ kann der Mutter schon während der Schwangerschaft geholfen werden, die alten Geschichten aus der eigenen Kindheit zu lösen, damit sich das mit dem eigenen Baby nicht wiederholt.

Welche politischen Forderungen leiten Sie aus Ihren Forschungen ab?

Baut den Schlüssel in den Betreuungseinrichtungen aus! Bildet die Erzieher in ihren emotionalen Beziehungsfähigkeiten aus! Konzipiert die Betreuungseinrichtungen so, dass Bindungsbegegnungen stattfinden können. Bildet die Eltern aus, damit sie in die Lage versetzt werden, den „Erziehungsjob“ gut zu machen.

Was müssen Eltern für diesen „Erziehungsjob“ lernen?

Wenn sie nur unsicher sind, wie sie mit ihrem Baby umgehen sollen, wie man es anfasst, wie man es füttert, kann man sie rasch schulen. Wenn die Mutter oder der Vater aber ein eigenes Trauma mitbringt, beispielsweise eine Essstörung, dann kann das Kind, wenn es spuckt, einen alten Film bei der Mutter auslösen, was wiederum zu einem bindungshemmenden Verhalten führen kann. Ein solcher Film lässt sich nicht durch eine Beratung auflösen, sondern diese Mutter braucht dann mehr Hilfestellung.

Interview: Christoph Kirchhoff

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