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Toleranz nicht gleich Offenheit
29.11.09

Toleranz nicht gleich Offenheit

Schlagwort beschäftigt Gießener Schüler – Diskussion mit Philosophieprofessor Rainer Forst

Wie wird man intolerant? Wo fängt die Beleidigung an? Fehlt es vielleicht an Neugier und nicht an Toleranz? – In kleinen Gruppen erarbeitete das Publikum Fragen für die Diskussion. Foto: Stefanie Rieck

Von Stefanie Rieck

„Was bedeutet Toleranz im Zusammenleben?“ fragen die Veranstalter von „Mission impossible? Toleranz“. Damit knüpfen sie an das Thema des Kardinal-Volk-Preises 2008 an. Ihn gewannen Schüler des Gießener Landgraf-Ludwig- Gymnasiums (LLG).

Es sei „etwas Besonderes“, dass sich aus dem Kardinal-Volk-Preis eine Folgeveranstaltung entwickelt hat, sagt Bernadette Schwarz-Boenneke, Studienleiterin der Jungen Akademie in der Akademie Erbacher Hof des Bistums Mainz. Doch die Gießener Schüler seien so aktiv und interessiert gewesen, dass Schwarz-Boenneke gemeinsam mit der Schule das Thema Toleranz nochmals aufgreifen wollte. Zusammen mit dem Katholischen Bildungswerk Oberhessen und der Herbert Quandt-Stiftung lud sie Schüler und Interessierte zur Diskussion mit dem Sozialphilosophen Rainer Forst ein.

Der Film, für den die Schüler 2008 mit dem Kardinal-Volk-Preis ausgezeichnet wurden, eröffnet den Diskussionsabend am LLG. In einer neu bearbeiteten Fassung soll er das Publikum zum Nachdenken über Toleranz und Intoleranz anregen. Er zeigt die Gießener Nordstadt, in der auch das LLG liegt, als sozialen Brennpunkt. Der Film fragt, ob und wie dort Toleranz zwischen deutschen und ausländischen Einwohnern gelebt wird.

Hinschauen, was wirklich abgelehnt wird

„Oft verwechseln wir den Begriff ,tolerant‘ im alltagssprachlichen Gebrauch mit den Eigenschaften Offenheit, Neugier und Interesse, beispielsweise Interesse für eine andere Kultur“, erklärt Bernadette Schwarz-Boenneke. „Ich muss aber nur dann tolerant sein, wenn ich etwas ablehne.“

Professor Rainer Forst warnt gleich zu Anfang: „Toleranz ist eine komplizierte Geschichte.“ Mit seinem Toleranzkonzept, zu dem die drei Faktoren Ablehnung, Akzeptanz und Zurückweisung gehören, macht Forst die Vielschichtigkeit von Toleranz deutlich: Toleranz bedeute zunächst, dass man eine Sache nicht gut findet und ablehnt. Aus gewissen Gründen nehme man sie jedoch trotzdem hin und akzeptiere sie. Zur Zurückweisung komme es schließlich, wenn die Grenzen der Toleranz erreicht seien und man findet, „dass das Falsche jetzt zu falsch ist“.

Aber wo liegen diese Grenzen der Toleranz? Auf diese Publikumsfrage antwortet Forst mit der Forderung, genau hinzuschauen: Was lehne ich wirklich ab und welche Haltung kann ich respektieren, obwohl ich sie nicht teile?

Entscheidend für ihn ist dabei die Fähigkeit, Spannungen auszuhalten: In einer multireligiösen Gesellschaft sei es notwendig, Differenzen offen anzusprechen. „Und eine tolerante Gesellschaft ist eine, die diese religiösen Differenzen austrägt und aushält.“

Der Professor nennt Beispiele für solche Spannungen: der Kopftuchstreit, die Diskussion um Kruzifixe in Klassenzimmern, der Kölner Moscheebau.

„Mit Gleichberechtigung hat das nichts zu tun“

„Plötzlich erscheint mir Toleranz nicht mehr als positiv, sondern negativ.“ Diesen Einwurf aus dem Publikum bestätigt Forst: „Als Minderheit toleriert zu werden, ist nicht schön, aber besser als nicht toleriert zu werden.“ Oft handele es sich um ein hierarchisches Toleranzverständnis gegenüber Minderheiten. „Ihr dürft etwas, aber wie viel und in welchem Rahmen?“ Diese Frage zeige, wer die Entscheidungsbefugnis hat. Mit Gleichberechtigung habe das nichts zu tun.

Wie komplex das Thema Toleranz ist, macht noch einmal der letzte Diskussionspunkt der Veranstaltung deutlich: „Soll man tolerant sein oder nicht?“ Die Antwort des Philosophen: „Beides!“

Zur Person

Rainer Forst

Dr. Rainer Forst lehrt und forscht als Professor für Politische Theorie und Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main. Er gilt als Vertreter der jüngsten Generation der Frankfurter Schule. Seine Forschungsschwerpunkte sind Grundfragen der politischen Philosophie, besonders die Begriffe Gerechtigkeit, Demokratie und Toleranz. Zur Toleranz hat er ein Grundlagenwerk geschrieben:

Forst, Rainer: Toleranz im Konflikt. Geschichte, Gehalt und Gegenwart eines umstrittenen Begriffs. Suhrkamp. 19,50 Euro.

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