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Keine Herde stummer Schafe
27.02.11

Keine Herde stummer Schafe

Ein Thema so alt wie die Kirche: Einigkeit und Streit – geht das zusammen?

 

Ausgabe 9 vom 27. Februar 2011

Ihre Beziehung war nicht frei von Spannungen: die Apostel Petrus und Paulus, hier auf einer Stola aus der Stickereiwerkstatt der Dillinger Franziskanerinnen für Behinderte. Foto: kna

Hermann Mayer Foto: privat

Zufälle gibt es nicht, meinen manche Menschen. Ob es Zufall war oder nicht, dass Prälat Hermann Mayer just in diesen Tagen das Manuskript eines Vortrags in die Hände fiel, den er vor mehr als 30 Jahren – in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil – gehalten hat: Der Text könnte auch für die gegenwärtige Situation geschrieben sein.

„Als Petrus nach Antiochia gekommen war, bin ich ihm offen entgegengetreten, weil er sich ins Unrecht gesetzt hat.“ Der Apostel Paulus berichtet im Brief an die Galater (Kapitel 2, Vers 11) unbefangen über seine Auseinandersetzung mit dem ersten Papst. Niemand warf ihm deshalb mangelnde Frömmigkeit vor. Und trotz dieses Disputs galt zur gleichen Zeit: „Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele.“ (Apostelgeschichte 4, 32)

Einigkeit und Streit zugleich? In jeder lebendigen Familie gibt es Auseinandersetzungen. Einer Gemeinde bekommt es nicht, wenn Probleme unter den Teppich gekehrt werden. Es gibt Situationen, in denen ein offenes Wort notwendig ist, damit der richtige Weg gefunden wird, und nicht jeder, der Unmut äußert, ist schon ein „Nestbeschmutzer“. Geheimdiplomatie oder oberflächliche Demonstration von Geschlossenheit sind nicht immer Zeichen pastoraler Klugheit.

Freimütiger Dialog

In der Kirche gibt es ein Bedürfnis nach Harmonie. Das hat seine Berechtigung in Zeiten äußerer Anfechtungen. Leben wir in einer solchen Zeit? Vielleicht sind es die Medien, die manche nervös machen. Die Medien mit ihrem läs-tigen oder heilsamen Zwang zur Information. Da erhält das Wort neue Bedeutung: „Alles, was ihr im Dunkeln gesagt habt, wird im Licht gehört werden, und was ihr in Kammern ins Ohr geredet habt, wird von den Dächern gepredigt werden.“ (Lukas 12,3)

Kann sich der Geist Gottes nicht auch der Medien bedienen, um den Glauben lebendig zu erhalten? Um die Kirche von Schwächen und Runzeln zu befreien? Gewiss, da kommen auch unangenehme Mitglieder der Gemeinschaft zu Wort. Nicht alles, was gesagt wird, kann gefallen. Aber die Zeit der Bewahrung ist vorbei. Wir können das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Ziel kann nur sein, mündige und reife Christen zu formen. Die meisten sind es längst, weil sich Mitläufer nicht halten können.

Was in den letzten Monaten bei Leserzuschriften in Zeitungen und Zeitschriften auffiel, war die Art, wie Menschen, die sich Christen nennen, miteinander umgehen. Erschreckend die Herabsetzung dessen, der anderer Meinung ist. Vorschnell oft der Zweifel an seiner Gläubigkeit. Selbstgerecht das Urteil über mangelnde Frömmigkeit des Diskussionsgegners. Manchmal auch Unterstellung, Verleumdung, selbst Hass wurde spürbar. Dazu eine bemerkenswerte Unfähigkeit, sich in andere hineinzudenken.

Das ist nicht die Art Jesu Christi, von dessen Teilnahme an fremdem und geächtetem Schicksal die Schrift berichtet. Niemand darf es wagen, den Schatz des Glaubens anzutasten. Aber das Dogma der Unfehlbarkeit definierte auch eine klare Selbstbegrenzung nach Inhalt und Form. Wo die Kirche also nicht unfehlbar ist, ist sie fehlbar. Sie hat von der Fehlbarkeit Gebrauch gemacht – dafür gibt es eine Fülle von Beispielen in der Kirchengeschichte.

In unserer komplexen Welt heute gelingt die Einheit nur in der Vielfalt. Für die pfingstliche Kirche ist deshalb Weite und Toleranz notwendig, sonst entstehen Sekten innerhalb der Kirche. Kindliche Anhänglicheit darf nicht zugleich Unmündigkeit bedeuten.

„Ihr sollt niemand auf Erden euren Vater nennen“ (Matthäus 23, 9). Wenn sich die Gläubigen im Mittelalter über dieses Wort Christi hinwegsetzten, so ist dies wahrscheinlich dem Wunsch entsprungen, dem Modell der Herrschaftsform absoluter Monarchie zu entgehen.

Gesunde Spannung

Die Geschichte der Frömmigkeit ist eine Geschichte stets wechselnder Akzente. Wer es wagt, einen Pol auszuklammern, weil er die Spannung nicht ertragen will, wird zum Häretiker. Zum lebendigen Christsein gehört bis zur Zerreißprobe Gottesfurcht und Gottesliebe. Innerlichkeit und Aktivität, Weltverachtung und Offenheit, Selbstbewahrung und Selbstaufgabe. Das Aushalten im Konflikt der Zielsetzungen treibt zu immer neuen Auseinandersetzungen, verhindert Routine und Resignation.

Auch die Glaubenslehre zeugt von Spannungen: zwischen Papst und Bischofskollegium, beide göttlichen Rechtes; zwischen dem Amtspriestertum und dem allgemeinen Priestertum, beide sakramental verankert; zwischen dem Charisma des Amtes und persönlichem Charisma, bei vielen Heiligen bewährt.

Ja, es gibt eine Urpolarität in Christus selbst, dem Herrn der Kirche. Er ist ganz Mensch und wahrer Gott. Keine Seite darf verkürzt werden. Hier ist die „Tugend der Mitte“ sichtbar. Das katholische „und“ hat geholfen, die Einseitigkeiten der Reformation zu überwinden. Denken wir an „Schrift und Tradition“, „Gnade und Freiheit“.

Das Gute nicht übersehen

„Die Kirche ist in der Krise, da müssen die Zügel angezogen werden.“ Gewiss gibt es Sorgen und berechtigte Klagen. Aber es gab schlimmere Zeiten für die Kirche: die Zeit der Gegenpäpste, die Zeit, wo man nicht für die Wahrheit starb, sondern um der Wahrheit willen tötete, die Zeit der Inquisition, der Ketzerprozesse, der Intoleranz, der Renaissancepäpste, der verpassten missionarischen Gelegenheiten in China, die Zeit, von der Erasmus von Rotterdam sagte: „Die Glaubensartikel wachsen, aber die Liebe nimmt ab.“

Andererseits soll das Gute nicht übersehen werden. Was Geistliche und Laien, Frauen und Männer in den letzten 20 Jahren geleistet haben in einem nicht immer leichten Prozess der inneren und äußeren Umorientierung, ist bewundernswert. Auch das Wachsen der Kirche in Afrika und Lateinamerika, die Glaubensstärke vieler Katechisten in den Ländern der südlichen Halbkugel. Der christliche Einsatz, besonders der Jugend, für Frieden, Versöhnung, Freiheit und Menschenrechte ist zu erwähnen.

Nach zwei Seiten kämpfen

Die Geschichte ist ein vortrefflicher Lehrer und zugleich eine Quelle des Trostes. Vieles in den letzten Monaten erinnerte an das Leben und Wirken von John Henry Newman. Er war über das Lehrschreiben „Syllabus“ von Pius IX. bestürzt, das 1864 erschien. Zu oberflächlich und pauschal waren ihm die Urteile gegen Gewissensfreiheit, Demokratie und für den Erhalt des Kirchenstaates. Er schrieb damals: „Die Ratgeber des Heiligen Vaters sind anscheinend entschlossen, unsere Lage in England so schwierig als möglich zu halten.“ Oder in einem anderen Satz: „Zuerst das Gewissen und dann der Papst. Denn spräche der Papst gegen das Gewissen, so würde er sein eigenes Fundament untergraben.“ Dieser Newman, der in kritischer Loyalität zum Papst stand, war für die englischen Katholiken eine Stütze in schwieriger Zeit. Von Beamten der Kurie getadelt, wurde er von Leo XIII. 1879 geehrt und zum Kardinal ernannt.

Von Newman, der ein Konvertit war, schreibt sein Biograph Ward: „Als Anglikaner fürchtete er, das Christentum werde durch eine Woge des Liberalismus weggeschwemmt, der die Sicht auf die tieferen Wahrheiten verlor, die in der christlichen Tradition erhalten sind und von der Schrift abgeleitet werden. In seinen katholischen Jahren war die Furcht genau entgegengesetzter Art. Er spürte die Gefahr, dass theologische Engführung ebenso gefährlicher Gegner für das Christentum sei, weil sie eine Allianz zwischen Rechtgläubigkeit und dunkler Enge in Erscheinung bringt.“

Paulus und auch Henry Newman waren in ihren Auseinandersetzungen in keiner einfachen Position. Sie mussten nach zwei Seiten kämpfen. Einerseits gegen die Missdeutung der Freiheit durch Leute, die es sich gewissenlos zu einfach machten – andererseits hatten sie Traditionalisten vor sich, die sich für die Hüter der wahren Religion hielten, tatsächlich aber durch ihre Enge das Apostolat behinderten. In dieser Lage befinden sich heute viele treue Katholiken. Sie dürfen gewiss sein, dass die Extreme – wie die Kirchengeschichte lehrt – sich nicht durchsetzen werden.

Starkes Band des Glaubens

Eine pfingstliche Kirche muss Spannungen aushalten, um lebendig zu bleiben. Eine Herde stummer Schafe ist nicht das Idealbild der Gemeinschaft der Glaubenden. Bewegung ist besser als Friedhofsruhe.

Bei allen Spannungen darf aber nicht vergessen werden, das Band des Glaubens wird stärker sein als alle Gegensätze. Nicht Verunglimpfungen helfen weiter, sondern das Studium der Schrift, der Geschichte und gute Argumente. Bis zur Vollendung der Kirche werden wir mit der Einheit in der Vielfalt leben müssen. Es ist gut, sich auf einen Dialog einzustellen.

Zur Person

Hermann Mayer

Hermann Mayer (83) war unter anderem Diözesanjugend- und Männerseelsorger sowie stellvertretender Leiter des Seelsorgeamts. Seit 1995 ist er im Ruhestand. Seine Aufgabe als Beauftragter des Bischofs für die Missionare aus dem Bistum nimmt er bis heute wahr.

Vor 40 Jahren war Mayer Teilnehmer der Würzburger Synode, die sich damit befasste, die Impulse des Zweiten Vatikanischen Konzils in Deutschland zu verwirklichen. (mw)

Stichwort

Unfehlbarkeit des Papstes

Der Papst ist nicht in allem, was er sagt und tut, unfehlbar. Das vom Ersten Vatikanischen Konzil 1870 festgestellte Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit besagt lediglich, dass er unfehlbar ist, wenn er „ex cathedra“ („vom Lehrstuhl Petri aus“) spricht. Das heißt, wenn er in Ausübung seines Amtes entscheidet, dass eine Glaubens- oder Sittenlehre von der gesamten Kirche festzuhalten ist, sie also zum Dogma erklärt.

Die Unfehlbarkeit wird dem Papst nicht aufgrund menschlicher Fähigkeiten zugesprochen. Das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit beruht vielmehr auf dem Glauben, dass ihn der Heilige Geist bei Entscheidungen in Glaubens- und Sittenfragen vor Irrtum bewahrt.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat die päpstliche Unfehlbarkeit in der Konstitution Lumen gentium (18 und 25)bekräftigt.

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