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Deckname war „Unkraut“
14.08.11

Deckname war „Unkraut“

50 Jahre Mauerbau: Zeitzeugen erinnern sich an Jahre der Teilung – Flucht über Eisernen Vorhang

 

Ausgabe 33 vom 14. August 2011

Hinter den Grenzanlagen (links): der bewaldete Hülfensberg mit der Wallfahrtskirche. Foto: privat

Auf dem Rachelsberg mit Blick auf den einstigen Fluchtweg in Richtung Westen: Elfriede Kawollek, Helmut Schade sowie Hildegard und Karl Schade (von links). Foto: privat

Hugo Manegold Foto: privat

Heribert Jünemann Foto: Dietmar Kuschel

Von Hans-Joachim Stoehr

Die Teilung Deutschlandwollten die Mächtigen der SED mit der Berliner Mauer zementieren. Vor 50 Jahren am 13. August wurde mit dem Bau begonnen. Elfriede Kawollek (Kassel) und Hugo Manegold (Meinhard-Grebendorf) schildern, was sie auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs erlebten und wie sie von Ost nach West flohen.

„Vom Rachelsberg ging es steil bergab. Und wir mussten leise sein. Um Geräusche zu vermeiden, haben wir Bettlaken auf dem Boden ausgelegt.“ Elfriede Kawollek aus Kassel erinnert sich noch lebhaft an die Nacht vom 23. auf den 24. Mai 1961. Die damals Zwölfjährige floh mit ihrer Familie aus ihrem Heimatort Rüstungen im Eichsfeld in den Westen.

Franz Schade, der Vater von Elfriede Kawollek, hat in der Zeit vor dem 23. Mai die Flucht vorbereitet. „Er wusste genau, wann die Grenzposten patrouillierten und wo man am besten über die beiden Grenzzäune kommt. Mein Bruder Karl hatte zudem Werkzeug besorgt, um den zweiten Zaun durchzuschneiden“, erinnert sich Elfriede Kawollek.

50 Jahre nach der Flucht hat Elfriede Kawollek mit ihren Brüdern Helmut und Karl den Weg von jener Nacht nochmals zurückgelegt. Vom Rachelsberg schauten sie den steilen Abhang herunter. „Es war gut, dass wir über die Geschehnisse der Flucht sprechen konnten“, sagt die gebürtige Eichsfelderin.

Ein Symbol für die Teilung Deutschlands durch den Eisernen Vorhang war der Hülfensberg oberhalb des Werratals bei Wanfried. Jahrzehntelang lag die Gnadenstätte im Sperrgebiet der Zonengrenze. Elfriede Kawollek erinnert sich, wie sie als Zehnjährige mit ihrem Vater zum Hülfensberg wallte – damals war das noch möglich. „Er zeigt über die Grenze und sagte: ,Da liegt der goldene Westen‘.“

An die Volksfeste auf dem Hülfensberg erinnert sich auch Hugo Manegold aus Grebendorf. Pfarrer der Filialgemeinde ist Mario Kawollek (Eschwege), der Sohn von Elfriede Kawollek. „Wir sind weitläufig miteinander verwandt“, erklärt der gebürtige Eichsfelder, der aus Kella stammt. Das Dorf ist der Nachbarort von Grebendorf, das bereits in Hessen liegt.

„Hintenherum“ von Zwangsaussiedlung erfahren

Manegolds Eltern setzten sich am 6. Juni 1952 mit ihren Kindern innerhalb weniger Stunden in Richtung Westen ab. „Weil unser Dorf unmittelbar an der Grenze nach Hessen lag, sollten wir ausgesiedelt werden“, erinnert sich Manegold. Dies habe sein Vater „hintenherum“ erfahren. Das Schlimmste, so hat Manegolds Vater später notiert, seien nicht die Güter gewesen, die die Familie zurücklassen musste. „Er konnte sich nicht von seinen Eltern verabschieden. Das hat am meisten weh getan.“

Damit die Familie unbehelligt über die „grüne Grenze“ kam, zogen sich die Volkspolizisten „zurück“. „Wir kannten sie und sie wussten Bescheid“, erläutert der 75-Jährige. Insgesamt packten vier Familien ihre Sachen. Die Manegolds nahmen zwei Pferde, vier Kühe und zwei zweijährige Rinder mit. Zwei Pferde mussten sie zurücklassen. In den Tagen nach der Flucht in den Westen konnten Mitglieder der Familie noch fünfmal in ihr Heimatdorf zurückgehen und Habseligkeiten holen.

Vor dem Krieg gingen die meisten Landwirte aus Kella in Betriebe ins nahe Eschwege, um dort zusätzlich etwas zu verdienen. Durch die immer schwerer zu überwindende Grenze wurde dies immer schwieriger. Trotzdem schaffen es Familien wie von Elfriede Kawollek, auch noch 1961 in einer zweiten Fluchtwelle über die Grenze zu gelangen. Lief die erste Aktion unter dem Decknamen „Unkraut“, lautete der „Code“ bei der zweiten „Kornblume“.

Aus katholischem Eichsfeld ins evangelische Werratal

Im Westen angekommen, waren die Eichsfelder Flüchtlinge. Und sie waren „schwarz“ – meint katholisch. „In Kella gab es nur ein evangelisches Ehepaar. In Grebendorf gab es vor 1945 nur drei katholische Familien“, erläutert Manegold. In der nordhessischen Diaspora war das nächste katholische Gotteshaus in Eschwege. „Dorthin sind wir zu Fuß gelaufen“, so der gelernte Eisenhändler. Für Andachten durften die katholischen Christen in Grebendorf die evangelische Kirche nutzen. „Aber erst nach 16.15 Uhr, so entschied damals der evangelische Kirchengemeindevorstand“, erinnert sich Manegold.

Hintergrund

Antwort auf Bespitzelung: Alles sagen – überall und jedem

Die Stasi hat in der DDR jedermann an jeder Stelle bespitzelt. Das beste Mittel dagegen war für Pfarrer Heribert Jünemann (Bruchköbel): „Alles an jeder Stelle jedem sagen.“ Den 59-jährigen Geistlichen bewahrte diese Haltung vor der Wende nicht vor Schikanen und Demütigungen durch die DDR-Staatsmacht. Aber, so fügt er hinzu: „Ich konnte trotz Nadelstichen meinen Priesterberuf nahezu unbehindert ausüben.“

Pfarrer Jünemann stammt aus Treffurt an der Werra, unmittelbar an der Grenze nach Hessen. Wenige Kilometer jenseits der Zonengrenze lag Heldra. „Das war für uns weiter weg als Wladiwostok (russische Hafenstadt am Pazifik)“, erklärt der Geistliche.

Jünemann erinnert sich an Auseinandersetzungen um die Jugendweihe. Die Eltern kamen zu ihm, was sie machen sollten. „Ich sagte ihnen. Ihr macht gar nichts. Denn ihr seid alle Angestellte des Staates, da alles Volkseigentum ist. Deshalb kann die Staatsmacht euch drangsalieren. Ich werde etwas tun. Denn ich bin nicht vom Staat bezahlt. Ich bin dann zu den Behörden gegangen.“

Im Alltag kam es zu kuriosen Situationen. Ein Bürgermeister in seiner Pfarrei wollte beispielsweise die Straße erneuern. Weil er für den Arbeitseinsatz nicht genug Leute zusammenbekam, bat er den Pfarrer um Unterstützung. „Ich habe dann im Gottesdienst bei den Vermeldungen dazu aufgerufen, bei der Straßenerneuerung mitzuhelfen“, fügt Jünemann hinzu.

Das Theologiestudium hat der Geistliche an der Fakultät in Erfurt absolviert. „Wir waren dort etwas auf einer Insel der Seligen“, sagt er im Blick zurück. Zwar kamen manche theologischen Bücher aus dem Westen nicht an, weil sie vorher auf dem Postweg abgefangen wurden. Aber es gab auch Wege, dies zu umgehen. Wurde die Büchersendung an eine Tante nach Mecklenburg geschickt, war das nicht so verdächtig.

„Alles, was nicht verboten wurde, war für uns erlaubt.“ Nach dieser Devise handelten Jünemann und weitere Seminaristen, als sie eine Musikband gründeten. „Das war illegal, und sie hätten uns jederzeit einlochen können. Es passierte uns aber nichts.“ 2010 spielte Jünemann mit seinen Mitmusikern in Schwerin, wo sie 1975 schon einmal aufgetreten waren. „Zwei Mitglieder der Band stammten aus Mecklenburg. Wir fuhren immer zu Beginn der Sommerferien dorthin“, erinnert sich der Geistliche, der seit 2000 Pfarrer in Bruchköbel ist. Jünemann: „Mit unseren Fahrten wollten wir als Seminaristen in den dortigen Gemeinden präsent sein.“ (st)

Am Montag beginnt das neue Schuljahr. Viele Schulen ermöglichen es ihren Schülerinnen und Schülern, einen Gottesdienst zu besuchen. Wie aber steht’s mit dem Religionsunterricht? Drei Fragen an Wolfgang Ritz von der Schulabteilung des Bischöflichen Generalvikariats in Fulda.

Frage: Für das neue Schuljahr liegen vermutlich noch keine Zahlen vor. Zu wie viel Prozent wurde der katholische Religionsunterricht an den verschiedenen Schulformen im vergangenen Jahr abgedeckt?

Ritz: Es ist richtig, wie Sie vermuten. Um eine Aussage über die Abdeckung des Religionsunterrichts zu machen, muss ich schon die offiziellen Daten des Hessischen Kultusministeriums vom letzten Schuljahr heranziehen. Danach erhielten bezogen auf alle Schulformen 25,65 Prozent der katholischen Schülerinnen und Schüler keinen Religionsunterricht. Dabei war der geringste Ausfall zu verzeichnen in den Gymnasien mit 8,32 Prozent und der höchste Ausfall an der Berufschule im Teilzeitbereich, also bei den Auszubildenden in den jeweiligen Berufsfeldern, mit fast 74 Prozent.

Nach Erlass ist Religionsunterricht in konfessionellen Lerngruppen zu erteilen. Wenn man dieses als Maßstab nimmt, war der Ausfall noch gravierender. Danach erhielten in der Grundschule mehr als 32 Prozent der Kinder keinen katholischen Religionsunterricht. Der Erlass schreibt vor, dass ab acht Lernenden einer Konfession Religionsunterricht einzurichten ist. Diese Zahl wird bei rückläufiger Gesamtschülerzahl oft nicht mehr erreicht und eine Zusammenlegung zu einer Lerngruppe gelingt oft organisatorisch nicht Je komplexer ein Schulsystem ist, umso schwieriger ist es, den Religionsunterricht nach der Verfassungsgarantie zu organisieren. So konnten beispielsweise an Haupt- und Realschulen für fast 28 Prozent und an Integrierten Gesamtschulen für 43 Prozent der katholischen Schülerinnen und Schüler keine entsprechenden konfessionellen Lerngruppen eingerichtet werden. In den Diasporabereichen unseres Bistums ist das oft so.

Wo sehen Sie Chancen, diese Mangelsituation wenn schon nicht zu beheben so doch zu verbessern? Stichwörter: noch mehr Priester oder pastorale Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Unterricht, ökumenisch …

Die erste Maßnahme sollte sein, dass die ausgebildeten Lehrpersonen für den Religionsunterricht auch in einem angemessenen Maße in ihrem Fach eingesetzt werden. Das ist natürlich die Aufgabe der jeweiligen Schulleitung. Doch oft geht es um die Alternative Mangelfach Englisch oder Religion. Und da fällt der Religionsunterricht – oft auch in der Wertschätzung der Eltern – hinten runter. Ich wünsche mir, dass auch katholische Eltern für ihre Kinder das Recht auf diesen Unterricht einfordern.

„Ich wünsche mir, dass auch katholische Eltern für ihre Kinder das Recht auf diesen Unterricht einfordern.“ Wolfgang Ritz

Von der Schulverwaltungsseite her müsste zudem unbedingt bei der Personalzuweisung die Situation von kleinen Lerngruppen, die sich oft durch die konfessionelle Zusammensetzung ergibt, berücksichtigt werden. Eine Sonderzuweisung an Personal ist hier unbedingt nötig. Die Kirchen haben dieses in Gesprächen mit dem Ministerium oft angemahnt, aber in Zeiten knapper Kassen bislang erfolglos. Natürlich ließe sich die eine oder andere Stunde zusätzlich finden, wenn es mehr konfessionell gemischte Lerngruppen gäbe. Dort, wo es organisatorisch und personell gar nicht anders geht, genehmigen wir in enger Absprache mit der evangelischen Kirche solche Unterrichtsformen auf Antrag. Dabei muss aber im Kollegenkreis gut ökumenisch zusammen gearbeitet werden, und es muss Raum bleiben für die konfessionellen Eigenheiten. Wenn ökumenisches Lernen gut angelegt wird, ist das nicht mit weniger Personal zu machen.

Unsere Gemeindereferentinnen und – referenten sind fast alle mit mindestens vier Wochenstunden im Religionsunterricht tätig. In der Diaspora wäre vielerorts sonst gar kein Religionsunterricht möglich. Wünschenswert ist auch, dass Priester die Gelegenheit, Religionsunterricht erteilen zu können, engagierter ergreifen. Die Vielzahl zusätzlicher Aufgaben bei den Umstrukturierungen in Pastoralverbünden führt jedoch oft zu der Bitte, von der Erteilung des Religionsunterrichts entbunden zu werden. Ich persönlich finde das sehr schade und sehe es als eine vergebene Chance an, mit Kindern und vor allem auch mit Jugendlichen in Kontakt zu kommen, auch wenn sie nicht unbedingt der eigenen Pfarrei angehören.

Warum ist der Religionsunterricht für die Entwicklung junger Menschen so wichtig?

Ganz allgemein gesagt: Weil der Mensch in seinem Leben um Religion nicht herum kommt oder anders, weil der Mensch immer religiös ist, indem er sich die Sinnfrage stellt. Zum neuen Schuljahr ist für die Grundschule und die Schulformen der Sekundarstufe das Kerncurriculum Hessen mit Bildungsstandards in Kraft gesetzt worden. Im Vorwort zum Fach Katholische Religion heißt es da: „Schulische Bildung erschließt die eine Welt aus verschiedenen Perspektiven.“ Neben der Perspektive der Naturwissenschaften und Mathematik gibt es die der Geschichte und Politik, die der Sprache und Kunst, aber auch die der Religion und Philosophie.

Für mich ist Religion eine unersetzbare Weise der Weltbegegnung. Sie nimmt Welt eben nicht nur neutral wahr, sondern deutet sie. Wenn die Naturwissenschaften von Welt oder Erde sprechen, dann nennt der Religionsunterricht dieses Schöpfung und deutet es somit auf Gott hin. Ganz praktisch gesprochen erwerben junge Menschen im Religionsunterricht Wissen über die Kultur, in der sie leben, Wissen über ihren Glauben und über die Kirche. Sie entwickeln aber auch im Religionsunterricht die Fähigkeit, nach Gott zu fragen und so die Welt zu deuten. Sie fragen nach dem Sinn und Wert des Lebens und nach den Normen für das Handeln des Menschen. Dazu gilt es, Antworten aus dem Glauben der Kirche zu reflektieren, um daraus eigenes Handeln zu entwickeln. Eine Erkenntnis aus dem Religionsunterricht müsste zum Beispiel sein, dass der Mensch sich nicht nur über Leistung definiert, sondern als Mensch so von Gott gewollt ist und aus diesem Würdezuspruch auch ein Recht auf Annahme hat.

Ich denke, solch eine Zusage ist für die Entwicklung eines Menschen wohltuend und entlastend – bei allem Stress in der Schule. Auf diesem Weg wollen Religionslehrerinnen und -lehrer die jungen Menschen begleiten. Und das geht nur, wenn es auch Religionsunterricht in der Schule gibt.

Interview: Bernhard Perrefort

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