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„Genevieve war der Motor“
07.08.11

„Genevieve war der Motor“

Nach dem Tod der Tochter hat das Ehepaar Kuske Hilfe gesucht – Heute bietet es selbst Hilfe an

 

Ausgabe 32 vom 7. August 2011

Bietet nun selbst Kurse zur Trauerbewältigung an: das Ehepaar Tatjana und Dieter Kuske. Fotos (2): Günter Wolf

In freundlich-warmen Farben präsentiert sich das Logo

Dieter und Tatjana Kuske gründeten am 28. Mai 2010 den Verein „Trauernde Eltern und Kinder“. Das war auf den Tag genau ein Jahr nach dem plötzlichen Tod ihrer damals noch 19-jährigen Tochter Genevieve. Im Interview sprechen Dieter (53) und Tatjana (51) Kuske über ihre Motive.

Warum haben Sie den Verein „Trauernde Eltern und Kinder“ ins Leben gerufen?

Dieter Kuske: Auslöser war, dass es hier im Umkreis schwer war, professionelle Hilfe zu finden. Proaktiv wurde keine Hilfe von Seiten der evangelischen oder katholischen Kirche angeboten, obwohl Tatjana mehrere Jahre in der evangelischen und seit Jahren in der katholischen Kirche aktive Arbeit leistet beziehungsweise geleistet hat. Erst drei Wochen, nach direkter Anfrage beim katholischen Pfarrer, wurde uns eine Kontaktadresse für Einzelgespräche gegeben.

Tatjana Kuske: In der Akutphase hat man nicht den Kopf und die Nerven, um im Internet zu suchen oder in den Tageszeitungen nachzulesen, wo es eventuell Hilfe geben kann. Die Hilfe muss schnell und unverzüglich zur Verfügung stehen. Am Anfang wird die Hilfe schneller angenommen als Wochen oder Monate später.

Der Volksmund sagt: „Der Mann geht von der Seite, das Kind aber vom Herzen.“ Ist Trauer um ein gestorbenes Kind anders, so dass man ihr auch anders begegnen muss?

Tatjana Kuske: Als Mutter gesehen, beantworte ich das mit einem klaren Ja. Man trägt das Kind neun Monate unter seinem Herzen, spürt die ersten Bewegungen, Tritte … Doch dann stirbt das Kind. Dort, wo einst das Baby lag, entsteht ein riesiges Loch, so als würde es keine Verbindung mehr geben zwischen Oberkörper und Beinen. Die Mitte fehlt. Um dieses Loch etwas zu schließen, bedarf es professioneller Hilfe und viel Geduld.

Dieter Kuske: Männer und Frauen trauern anders, diese Erfahrungen konnte ich in München bei den verwaisten Eltern sammeln. In der Elterngruppe haben die meisten Väter selten ihre wahren Gefühle gezeigt. Emotional fuhren die Männer in den Elterngruppen mit „angezogener Handbremse“. Anders war es in der Vätergruppe. Hier haben wir zusammen unsere Kinder beweint und sehr offen gesprochen.

Wie und durch wen haben Sie in und mit Ihrer Familie Trost über den Verlust erfahren?

Dieter Kuske: Zu dieser Zeit war ich beruflich in München und suchte dort Hilfe. Bei den verwaisten Eltern in München fand ich eine Anlaufstelle und auch die benötigte professionelle Hilfe. Bei einer Psychologin sowie in einer offenen Eltern- und einer Vätergruppe fand ich Gesprächpartner, die mich auch ohne viele Worte verstanden und bei denen ich mich nicht schämte, Tränen zu vergießen. Zudem wurde mir bewusst, das ich nicht alleine war mit meinem Schmerz, was mich nach einiger Zeit ein wenig tröstete. Über diese gesammelten Erfahrungen habe ich mich oft mit meiner Frau Tatjana unterhalten. Auch das Anhören der drei Lieder, die auf Genevieves Beerdigung gespielt wurden, habe ich zur Trauerbewältigung genutzt. Hierbei habe ich regelmäßig mehr als ein Taschentuch benötigt, um die Tränen abzuwischen.

Tatjana Kuske: Trost war, dass Freunde es nicht gescheut haben zu uns zu kommen, mit uns zu reden, mit uns zu weinen, einfach da zu sein. Mit kleinen Diensten geholfen haben, wieder ein bisschen Alltag in unser Chaos zu bringen. Zum Beispiel: „Kommt zum Abendessen, gemeinsam schmeckt es besser, lasst uns spazieren gehen …“ Lauter Dinge, die sehr klein erscheinen, eine große Wirkung haben, einem helfen wieder ein wenig Alltag zu leben, sich nicht zu verschließen und zurück zu ziehen. Eine große Hilfe und Unterstützung wurde mir durch Pfarrer Werner Gutheil (Anmerkung: Diözesantrauerseelsorger in Hanau) zuteil. Er wurde durch einen Zeitungsartikel, in dem wir öffentlich machten, dass wir trauernden Eltern helfen wollen, auf uns aufmerksam. Bei unserem ersten Treffen standen nicht Fragen im Vordergrund wie „Wie stellen Sie sich das vor?“ oder „Was wollen Sie machen?“, sondern „Wie geht es Ihnen?“. Wir haben bei diesem und bei den weiteren Treffen lange über den Verlust von Genevieve gesprochen. Es waren sehr intensive und anstrengende Gespräche mit vielen Tränen, aber es hat mir sehr gut getan und mich motiviert, den nächsten Schritt zu gehen. Der erste Todestag von Genevieve war sehr anstrengend und emotional aufreibend, hierbei wurden wir auch von Pfarrer Gutheil unterstützt und aufgefangen. An diesem Tag haben wir auch den Verein „Trauernde Eltern und Kinder“ gegründet.

Wie haben Ihre familiäre Umgebung und Ihr Bekanntenkreis auf Ihre Gründungsinitiative reagiert?

Tatjana Kuske: Mit sehr großer Verwunderung und Äußerungen wie „Ist das nicht zu früh?“, „Übernehmt ihr euch damit nicht?“, „Das könnte ich nicht.“, „Wie schafft ihr das bloß alles?“ Gleichzeitig wurde uns auch viel Respekt und Achtung entgegen gebracht, da zwischen der Ankündigung und der Umsetzung nur wenig Zeit vergangen war.

Dieter Kuske: Der Motor, der uns immer wieder antrieb, war unsere Tochter Genevieve, die immer eine helfende Hand und ein großes Herz hatte.

Wen wollen Sie mit Ihrer Arbeit erreichen? Was sind die Ziele Ihres Vereins?

Dieter Kuske: Wir wollen alle, die um ein Kind trauern, also Eltern, Großeltern, Geschwistern und Nahstehenden, ein Stück begleiten, auf dem Weg zurück ins Leben. Mit unserer Arbeit tragen wir dazu bei, dass den Hinterbliebenen, die um ein verstorbenes Kind trauern, die für sie individuelle, professionelle und schnelle Hilfe und Begleitung zur Verfügung steht.

Was bieten Sie an? Wer arbeitet mit?

Tatjana Kuske: Je nach Bedürfnis bieten wir Einzel-, Paar-, und Familienberatungen an. Wir führen offene und geschlossene Gesprächsrunden durch und halten Tages- und Wochenendseminare ab. Neben qualifizierten Trauerbegleiterinnen und Trauerbegleitern gibt es in unserem Team auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Bereichen Seelsorge, Psychologie, Sozialarbeit, Hospiz und dem Gesundheitswesen. Hat Ihnen Ihr Engagement geholfen, die Trauer über den Verlust von Genevieve besser zu bewältigen?

Tatjana Kuske: Ja, da wir parallel dazu noch die Ausbildung zum zertifizierten Trauerbegleiter absolvierten. Durch die Ausbildung, Presseterminen mit dem Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) und dem Landrat des Main-Kinzig-Kreises, Erich Pipa (SPD) sowie einer Reportage des Hessischen Rundfunks wurden wir immer wieder mit dem Verlust von Genevieve konfrontiert. Aufgrund der häufigen Auseinandersetzung mit dem Geschehenen haben wir erfahren, dass jeder für sich einen Weg finden kann, um mit der Trauer umzugehen.

Welche Botschaft wollen Sie trauernden Eltern und Geschwistern vermitteln?

Dieter und Tatjana Kuske: Wir wollen trauernden Eltern und Geschwistern zeigen, das sie mit diesem Schicksal nicht alleine dastehen und bei uns Hilfe und Unterstützung finden können.

Interview: Günter Wolf

Hintergrund

„In ein tiefes schwarzes Loch gefallen“

Am 27. Mai 2009 erhält Tatjana Kuske die Information, dass ihre Tochter Genevieve in Barcelona einen allergischen Schock erlitten hat. Noch in der Nacht stirbt sie. Die Eltern fliegen am Morgen nach Spanien, um ihre tote Tochter heimzuholen. Dabei begegnen sie nicht nur den Ärzten und Schwestern im Krankenhaus, sondern auch den Schulkameraden in Callea. In dem Ort wird auch ein erster Trauergottesdienst gefeiert. Am 15. Juni wird Genevieve in ihrer Heimat beigesetzt.

„Der Tod von Genevieve hat uns in ein richtiges schwarzes Loch fallen lassen“, erinnert sich das Ehepaar. Sie stellten sich die Fragen nach dem Warum, verspürten Schmerz, Angst, Wut, Aggressionen. „Die Trauer gab uns auch das Gefühl der Ohnmacht, so Tatjana Kuske. Der Weg daraus war kein einfacher.

Doch das Ehepaar Kuske nutzte dies nicht nur für die eigene Trauerbewältigung, sondern schöpfte daraus auch die Kraft, um für andere Menschen in der gleichen Situation ein Begleitungs- und Unterstützungsangebot zu entwickeln. „Im Umkreis unseres Wohnortes war es schwer, überhaupt Hilfe zu finden“, sagt Dieter Kuske. Der heute 53-jährige IT-Leiter war damals beruflich in München tätig. Dort führte ihn der Weg zum Verein „Verwaiste Eltern“. Der gemeinsame Sohn Maurice, damals 21 Jahre, besuchte ein Wochenendseminar des Vereins „Leben ohne dich“ in Kleve. Für Tatjana Kuske, eine gelernte Einzelhandelskauffrau, war es ungleich schwieriger, Gesprächspartner zu finden. Erst im September gelang es, Einzelgespräche mit einer Tauerbegleiterin zu organisieren. Letztlich half auch der Kontakt zu Pfarrer Werner Gutheil, seit vergangenen Herbst Diözesantrauerseelsorger des Bistums.

Ein Jahr nach dem Tod von Genevieve gründeten die Kuskes den Verein „Trauernde Eltern und Kinder“, der sich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert und dem Bundesverband „Verwaiste Eltern“ angehört. Kooperiert wird mit dem Bistum Fulda und der Selbsthilfekontaktestelle Gelnhausen. (gw)

Kontakt: Trauernde Eltern und Kinder e.V., Main-Kinzig-Kreis/ Hessen, Rhönstraße 8, 63450 Hanau, Telefon 0 61 81 / 4 28 88 05, E-Mail: Info@trauerndeeltern- mkk.de, Internet: www.trauernde-eltern-mkk.de, Notfall-Telefon 0 61 81 / 4 28 88 86

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