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Ein Viertel der Kinder ohne Reli
07.08.11

Ein Viertel der Kinder ohne Reli

An vielen Schulen fällt das Fach aus – „Drei Fragen an …“ Wolfgang Ritz

 

Ausgabe 32 vom 7. August 2011

Fantasie: Ein interessanter Religionsunterricht kann auch bedeuten, dass sich die Kinder in einen Kreis setzen und eine Meditation vorbereiten. Fotos: kna-Bild (1), privat (1)

Am Montag beginnt das neue Schuljahr. Viele Schulen ermöglichen es ihren Schülerinnen und Schülern, einen Gottesdienst zu besuchen. Wie aber steht’s mit dem Religionsunterricht? Drei Fragen an Wolfgang Ritz von der Schulabteilung des Bischöflichen Generalvikariats in Fulda.

Frage: Für das neue Schuljahr liegen vermutlich noch keine Zahlen vor. Zu wie viel Prozent wurde der katholische Religionsunterricht an den verschiedenen Schulformen im vergangenen Jahr abgedeckt?

Ritz: Es ist richtig, wie Sie vermuten. Um eine Aussage über die Abdeckung des Religionsunterrichts zu machen, muss ich schon die offiziellen Daten des Hessischen Kultusministeriums vom letzten Schuljahr heranziehen. Danach erhielten bezogen auf alle Schulformen 25,65 Prozent der katholischen Schülerinnen und Schüler keinen Religionsunterricht. Dabei war der geringste Ausfall zu verzeichnen in den Gymnasien mit 8,32 Prozent und der höchste Ausfall an der Berufschule im Teilzeitbereich, also bei den Auszubildenden in den jeweiligen Berufsfeldern, mit fast 74 Prozent.

Nach Erlass ist Religionsunterricht in konfessionellen Lerngruppen zu erteilen. Wenn man dieses als Maßstab nimmt, war der Ausfall noch gravierender. Danach erhielten in der Grundschule mehr als 32 Prozent der Kinder keinen katholischen Religionsunterricht. Der Erlass schreibt vor, dass ab acht Lernenden einer Konfession Religionsunterricht einzurichten ist. Diese Zahl wird bei rückläufiger Gesamtschülerzahl oft nicht mehr erreicht und eine Zusammenlegung zu einer Lerngruppe gelingt oft organisatorisch nicht Je komplexer ein Schulsystem ist, umso schwieriger ist es, den Religionsunterricht nach der Verfassungsgarantie zu organisieren. So konnten beispielsweise an Haupt- und Realschulen für fast 28 Prozent und an Integrierten Gesamtschulen für 43 Prozent der katholischen Schülerinnen und Schüler keine entsprechenden konfessionellen Lerngruppen eingerichtet werden. In den Diasporabereichen unseres Bistums ist das oft so.

Wo sehen Sie Chancen, diese Mangelsituation wenn schon nicht zu beheben so doch zu verbessern? Stichwörter: noch mehr Priester oder pastorale Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Unterricht, ökumenisch …

Die erste Maßnahme sollte sein, dass die ausgebildeten Lehrpersonen für den Religionsunterricht auch in einem angemessenen Maße in ihrem Fach eingesetzt werden. Das ist natürlich die Aufgabe der jeweiligen Schulleitung. Doch oft geht es um die Alternative Mangelfach Englisch oder Religion. Und da fällt der Religionsunterricht – oft auch in der Wertschätzung der Eltern – hinten runter. Ich wünsche mir, dass auch katholische Eltern für ihre Kinder das Recht auf diesen Unterricht einfordern.

„Ich wünsche mir, dass auch katholische Eltern für ihre Kinder das Recht auf diesen Unterricht einfordern.“ Wolfgang Ritz

Von der Schulverwaltungsseite her müsste zudem unbedingt bei der Personalzuweisung die Situation von kleinen Lerngruppen, die sich oft durch die konfessionelle Zusammensetzung ergibt, berücksichtigt werden. Eine Sonderzuweisung an Personal ist hier unbedingt nötig. Die Kirchen haben dieses in Gesprächen mit dem Ministerium oft angemahnt, aber in Zeiten knapper Kassen bislang erfolglos. Natürlich ließe sich die eine oder andere Stunde zusätzlich finden, wenn es mehr konfessionell gemischte Lerngruppen gäbe. Dort, wo es organisatorisch und personell gar nicht anders geht, genehmigen wir in enger Absprache mit der evangelischen Kirche solche Unterrichtsformen auf Antrag. Dabei muss aber im Kollegenkreis gut ökumenisch zusammen gearbeitet werden, und es muss Raum bleiben für die konfessionellen Eigenheiten. Wenn ökumenisches Lernen gut angelegt wird, ist das nicht mit weniger Personal zu machen.

Unsere Gemeindereferentinnen und – referenten sind fast alle mit mindestens vier Wochenstunden im Religionsunterricht tätig. In der Diaspora wäre vielerorts sonst gar kein Religionsunterricht möglich. Wünschenswert ist auch, dass Priester die Gelegenheit, Religionsunterricht erteilen zu können, engagierter ergreifen. Die Vielzahl zusätzlicher Aufgaben bei den Umstrukturierungen in Pastoralverbünden führt jedoch oft zu der Bitte, von der Erteilung des Religionsunterrichts entbunden zu werden. Ich persönlich finde das sehr schade und sehe es als eine vergebene Chance an, mit Kindern und vor allem auch mit Jugendlichen in Kontakt zu kommen, auch wenn sie nicht unbedingt der eigenen Pfarrei angehören.

Warum ist der Religionsunterricht für die Entwicklung junger Menschen so wichtig?

Ganz allgemein gesagt: Weil der Mensch in seinem Leben um Religion nicht herum kommt oder anders, weil der Mensch immer religiös ist, indem er sich die Sinnfrage stellt. Zum neuen Schuljahr ist für die Grundschule und die Schulformen der Sekundarstufe das Kerncurriculum Hessen mit Bildungsstandards in Kraft gesetzt worden. Im Vorwort zum Fach Katholische Religion heißt es da: „Schulische Bildung erschließt die eine Welt aus verschiedenen Perspektiven.“ Neben der Perspektive der Naturwissenschaften und Mathematik gibt es die der Geschichte und Politik, die der Sprache und Kunst, aber auch die der Religion und Philosophie.

Für mich ist Religion eine unersetzbare Weise der Weltbegegnung. Sie nimmt Welt eben nicht nur neutral wahr, sondern deutet sie. Wenn die Naturwissenschaften von Welt oder Erde sprechen, dann nennt der Religionsunterricht dieses Schöpfung und deutet es somit auf Gott hin. Ganz praktisch gesprochen erwerben junge Menschen im Religionsunterricht Wissen über die Kultur, in der sie leben, Wissen über ihren Glauben und über die Kirche. Sie entwickeln aber auch im Religionsunterricht die Fähigkeit, nach Gott zu fragen und so die Welt zu deuten. Sie fragen nach dem Sinn und Wert des Lebens und nach den Normen für das Handeln des Menschen. Dazu gilt es, Antworten aus dem Glauben der Kirche zu reflektieren, um daraus eigenes Handeln zu entwickeln. Eine Erkenntnis aus dem Religionsunterricht müsste zum Beispiel sein, dass der Mensch sich nicht nur über Leistung definiert, sondern als Mensch so von Gott gewollt ist und aus diesem Würdezuspruch auch ein Recht auf Annahme hat.

Ich denke, solch eine Zusage ist für die Entwicklung eines Menschen wohltuend und entlastend – bei allem Stress in der Schule. Auf diesem Weg wollen Religionslehrerinnen und -lehrer die jungen Menschen begleiten. Und das geht nur, wenn es auch Religionsunterricht in der Schule gibt.

Interview: Bernhard Perrefort

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