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Fastenhirtenbrief 2011
27.03.11

Fastenhirtenbrief 2011

Die verwundete Kirche und die Suche nach ihrem Heilmittel

 

Ausgabe 13 vom 27. März 2011

„Je liebevoller wir den Gottesdienst vorbereiten, je begeisterter wir ihn feiern, umso mehr bereiten wir dem Dienst Gottes an uns ein würdiges Gefäß“, schreibt Bischof Algermissen. Abgebildet ist

„Wir brauchen den Gottesdienst, den Dienst Gottes für uns und zum Heil der ganzen Welt“, schreibt Bischof Heinz Josef Algermissen

Als einen Weg, den Missständen und Nöten in der Kirche zu begegnen, hat Bischof Heinz Josef Algermissen in seinem Fastenhirtenbrief „eine neue Hinwendung zum lebendigen Gott, dem wir in der Feier des Gottesdienstes begegnen“, bezeichnet.

Die Kirche lebt von jeher in Spannung zwischen ihrer geistlichen und göttlichen Dimension sowie ihrer irdischen, menschlichen Verfasstheit. Insofern ist sie grundsätzlich heilig und doch auch zugleich sündig. Konkret: Wir alle, die zur Kirche gehören, sind Sünder, die der Barmherzigkeit Gottes bedürfen. Gerade im vergangenen Jahr wurde diese Wahrheit durch viele Berichte über Missbrauch und andere Missstände vor Augen geführt. Manchmal musste man sich als katholischer Christ, der seine Kirche liebt, geradezu schämen.

Unsere Kirche selbst ist verwundet. Sie leidet unter der Macht von sündigen Menschen, die ihr edles Antlitz beschmutzen. Das ist nichts Neues. Schon die heilige Hildegard von Bingen beschrieb die von der Sünde der Menschen befleckte Kirche.

Haben wir also den Mut, uns dieser bitteren Wahrheit zu stellen. Schauen wir auf die Wunden, an denen unsere Kirche leidet, suchen wir nach den geeigneten Heilmitteln, die sie wieder gesunden und zu ihrer ursprünglichen Schönheit zurückfinden lassen. Aber zunächst bedarf es einer ehrlichen Diagnose.

1. Die Missbrauchsfälle – eine immer noch offene Wunde

Da sind einmal die Missbrauchsfälle zu nennen, die im vergangenen Jahr für so viel Aufsehen gesorgt haben. Priester, Ordensleute und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen haben sich an Jugendlichen und Kindern vergangen. Manche haben zum Himmel schreiende Sünden begangen und in den Seelen der ihnen anvertrauten Menschen tiefe Wunden gerissen. Andere wieder meinten, sie müssten Glaube und Sitte auch mit körperlicher Züchtigung sprichwörtlich einbläuen. Entschuldigend verweisen einige darauf, dass solches Verhalten früher eben so gang und gäbe war. Wie immer, aus heutigen Erkenntnissen heraus wissen wir, dass dies absolut falsch war und keineswegs im Nachhinein toleriert werden kann. Wie viele Menschen wurden durch solche Methoden gedemütigt und bloßgestellt! Darum kann und darf es in der Kirche angesichts von Gewalt zukünftig keine Toleranz geben. Nur in absoluter Offenheit und eindeutiger Verurteilung all der schlimmen Dinge, die vorgefallen sind, kann sich die Kirche von diesem Makel reinigen und in Zukunft davor sicher sein, soweit menschliche Gebrochenheit und Sündhaftigkeit diese Hoffnung zulassen.

Doch müssen wir neben dem körperlichen Missbrauch auch die Wunde des geistigen Missbrauchs bekennen. Wenn kirchliche Herrschaftsausübung Menschen demütigt, klein macht oder verängstigt, geschieht etwas, was mit der milden Herrschaft unseres Herrn, der sich selber als den Guten Hirten bezeichnet, in keiner Weise in Einklang stehen kann. Viele Menschen erzählen heute noch von den strengen Pfarrern und Kaplänen ihrer Kindheit. Einigen Gläubigen wurde die Beichte, das Sakrament der Versöhnung und der Lebenszusage, gerade im Beichtstuhl von unweisen Beichtvätern für ihr ganzes Leben verdorben.

Christus selbst lehrt uns, wenn er von sich selbst als dem Guten Hirten spricht: „Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten; ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Johannes 10,10). Wer die Menschen nicht mit den gütigen Augen dieses Guten Hirten sieht, der zerstört. Nur wenn wir die Menschen mit dem Blick Jesu betrachten, bringen wir ihnen Leben und Freude. Dazu müssen zunächst wir aber aus der Verbundenheit mit Jesus Christus leben.

2. Eine gefährliche Unsicherheit: Was ist überhaupt richtig katholisch?

Eine weitere Wunde, an der unsere Kirche leidet, ist zu diagnostizieren: Selbst viele eifrige Katholiken, die ganz selbstverständlich am Leben der Kirche teilnehmen, wissen nicht mehr richtig, was denn wirklich der katholische Glaube lehrt, was unverzichtbarer Teil katholischer Identität in Lehre und gelebtem Glauben ist. Diese gefährliche Wunde tat sich schon einmal auf: Im Zeitalter der Reformation führte sie zur Spaltung der Kirche, die bis heute nicht überwunden ist. Joseph Lortz, ein großer Kenner der Reformationsgeschichte, hat einmal gesagt, eine der Ursachen der Kirchenspaltung sei gewesen, dass viele Menschen nicht mehr recht wussten, was denn katholischer Glaube sei und was nicht.

Und wie ist das heute? Viele Katholiken stellen sich ihren Glauben selbst zusammen. Konservative und Fortschrittliche bekämpfen einander heftig und werfen sich gegenseitig vor, die Kirche zu verraten. Die einen meinen, ihren Glauben und ihre liturgische Feier vor der modernen Welt schützen zu müssen, die anderen laufen einem dem Glauben und der Kirche nicht gewogenen Zeitgeist nach. Der Öffentlichkeit muten wir dadurch zuweilen das Bild eines neurotisierten Querulantenhaufens zu, in dem alle Beteiligten damit beschäftigt sind, sich aneinander wund zu reiben. Tatsächlich ergibt sich daraus ein ernsthaftes Glaubwürdigkeitsproblem.

3. Der Priestermangel, der immer bedrohlichere Formen annimmt

Dieses Problem ist eine der Ursachen für den Priestermangel, der immer bedrohlichere Dimensionen annimmt und als weitere Wunde am Leib der Kirche unserer Zeit genannt werden muss. Wer von den jungen Männern will denn heute noch Priester werden, wenn er von seinen Freunden belächelt wird, wenn ihm seine geistlichen Beweggründe nicht mehr abgenommen werden?

Manche betrügen sich selber mit der Meinung, wir hätten keinen Priestermangel, sondern einen Gläubigenmangel, und für die wenigen, die noch nach Gott und seiner Kirche, nach ihren Gottesdiensten und ihrer Lehre verlangen, seien eigentlich genügend Priester da. Ich frage mich: Haben wir eigentlich das Recht, die große Masse der nicht mehr Kommenden einfach abzuschreiben? Und wenn es so ist, dass sie deshalb nicht mehr kommen, weil sie nie einen Priester und seinen Dienst für sie richtig kennen gelernt haben? Wo werden Geistliche noch als Vorbilder wahrgenommen, die einen jungen Menschen auf die Idee kommen lassen könnten, es ihnen gleich zu tun und Priester zu werden? Priester- und Gläubigenmangel bedingen einander, sind beide füreinander ursächlich verantwortlich.

Was sind die Folgen? Im christlichen Volk verschwindet das Bewusstsein von der einzigartigen Bedeutung der Eucharistiefeier. Sie wird zu einer Gottesdienstform neben anderen. Steht ein Priester nicht zur Verfügung, werden Ersatzformen als gleichrangig angesehen. Mit dem Schwinden der Feier der Hl. Eucharistie schwindet aber auch das Bewusstsein von der Bedeutung des Weiheamtes. Viele sehen nicht mehr ein, weshalb für die Messfeier ein Priester benötigt wird, für alle anderen Gottesdienstformen aber Diakone oder Laien genügen. Die wirkliche Bedeutung des priesterlichen Dienstes in seinem Werkzeugcharakter für den an seiner Kirche handelnden Herrn wird nicht mehr wahrgenommen. Für neue Berufungen zum Priestertum hat dies katastrophale Auswirkungen. Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen: Der Priestermangel bedroht unsere Kirche in ihrem Wesenskern.

Wer rettet uns aus all diesen Nöten? Wer gibt uns Rat und Weisung? Wer vergibt die Schuld der Schuldigen und heilt die Wunden der Opfer? Wer lehrt uns die Wahrheit ohne jeden Hintergedanken? Wer führt seine Kirche in eine gute Zukunft? Das bist du Gott allein!

Und so müssen wir in dieser österlichen Bußzeit hellhörig werden für seine Klopfzeichen und Stimme.

4. Ich will hören, was Gott redet (Psalm 85, 9)

Was redet denn Gott nach diesem Psalmwort? „Frieden verkündet der Herr seinem Volk und seinen Frommen, den Menschen mit redlichem Herzen.“

Immer wieder kommen Menschen ratlos ans Ende ihrer Kräfte und suchen bei Gott die Lösung in Ausweglosigkeit. Im Buch der Psalmen ist der Tempel der Wohnsitz Gottes, an den sich die Menschen in ihren Nöten wenden. In Psalm 43 bittet der Beter, Gott möge sein Licht und seine Wahrheit senden, „damit sie mich leiten; sie sollen mich führen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung. So will ich zum Altar Gottes treten, zum Gott meiner Freude. Jauchzend will ich dich auf der Harfe loben, Gott, mein Gott“ (Psalm 43, 3 – 4).

Am Altar Gottes gibt es für den Suchenden und von Mühen Geplagten Rat und Weisung: „Ich will mich niederwerfen vor deinem heiligen Tempel und deinem Namen danken für deine Huld und Treue. Denn du hast die Worte meines Mundes gehört ... Du hast mich erhört an dem Tag, als ich rief; du gabst meiner Seele große Kraft“ (Psalm 138, 2 – 3).

Heil und Heilung gibt es also im Tempel, am Altar Gottes. Was die Psalmen uns lehren, gilt ebenso für das neutestamentliche Gottesvolk. Wer mit dem lebendigen Gott in lebendiger Verbindung steht, ehrlichen Herzens um seine Führung bittet und sich von seiner Gnade leiten lässt, wer von den Sakramenten, insbesondere von der Eucharistie und vom Bußsakrament lebt, der schöpft Kraft und Zuversicht für die Zukunft, weil die Verheißung unwiderruflich gilt, dass keine Macht die Kirche zu vernichten vermag.

5. Gottesdienst ist Gottes Dienst für uns

Nein, Gott braucht unsere Gottesdienste nicht, zumal sie leider viel zu oft armselig sind und ohne Begeisterung gefeiert werden. Sein Lob singen die Engel am Thron des Allerhöchsten, wie uns der Prophet Jesaja lehrt. Aber wir brauchen den Gottesdienst, den Dienst Gottes für uns und zum Heil der ganzen Welt. Erfassen Sie, liebe Schwestern und Brüder im Glauben, was das heißt, dass Gott uns Menschen dient? Er dient uns, wie eine Mutter ihren kleinen Kindern dient, sie nährt, pflegt und auch manche Nacht an ihrem Bett wacht. In jeder heiligen Messe schenkt uns Gott den eingeborenen Sohn, damit wir durch ihn leben. Der Vater schenkt uns seinen Sohn, nicht mehr wie an Weihnachten in die Krippe von Bethlehem, sondern in unsere Hostienschale und in den Kelch hinein, damit der Leib und das Blut des Herrn in der Feier der Hl. Eucharistie für die ihn Empfangenden zur „Arznei der Unsterblichkeit“ und zum „Gegengift gegen den Tod“ werde, wie schon in der Frühzeit des Christentums der heilige Ignatius von Antiochien die eucharistischen Gaben bezeichnet hat.

Zum Dienst Gottes gehört auch, dass er uns in den heiligen Schriften seine heilende Gegenwart schenkt und uns zur innigen Gemeinschaft mit ihm einlädt. Im Gottesdienst erfahren wir seine Wahrheit, sehen die Mitmenschen, ja die ganze Welt mit ganz anderen Augen, betrachten sie mit dem Blick Gottes, erfahren in der Feier die Freude seiner Gegenwart – und sind so davor gefeit, anderen weh zu tun oder sie zu missbrauchen.

6. „Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden“

So lehrt der heilige Mönchsvater Benedikt in seiner Regel (43, 3). Die Feier der Liturgie bildet die Herzmitte im Leben einer Klostergemeinde. Mit Recht: Neben Arbeit und Erholung ist das Wesentliche einer Mönchsgemeinschaft, sich für die Gnade Gottes zu öffnen und im Gottesdienst seine Nähe zu erfahren.

Nehmen wir uns daran ein Beispiel. Darum lautet meine Bitte: Kehren wir mit aller Entschiedenheit, ja Begeisterung zum „Kerngeschäft“ unserer Kirche zurück, zu dem, was uns von allen anderen Gemeinschaften unterscheidet, zur Feier des Gottesdienstes, so wie wir Menschen ihn vor Gott zu verantworten haben!

Sicher: Gottesdienst ist zuallererst der Dienst Gottes an uns. Aber wir geben diesem Dienst die sichtbare Grundlage. Lassen Sie mich einen Vergleich anstellen: Es ist wie beim Guss einer Glocke. Die Vorbereitungen sind entscheidend. Je sauberer die Hohlform gefertigt wird, umso erfolgreicher kann der eigentliche Glockenguss erfolgen. Ebenso gilt im Gottesdienst: Je liebevoller wir ihn vorbereiten, je begeisterter wir ihn feiern, umso mehr bereiten wir dem Dienst Gottes an uns ein würdiges Gefäß. Stellen wir die Schönheit unserer liturgischen Feiern ganz oben an, denn Gott ist nicht nur die Liebe selbst, sondern auch unendlich schön, so wunderschön, dass sich sein Geschöpf Mensch eine ganze Ewigkeit an ihm nicht satt zu sehen vermag. Ein Strahl dieser Schönheit muss sich auch in der gottesdienstlichen Feier in unsere Kirchen hineinsenken und die Welt, wie sie ist mit allen ihren Sünden, Bedrängnissen und Nöten in einem neuen Licht, im Licht Gottes, erstrahlen lassen.

7. „Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht schauen wir das Licht“

Lassen Sie mich mit diesem Psalmwort (Psalm 36,10) schließen. Nicht wenige in der Kirche Verantwortliche meinen, man müsse den aufgezeigten Missständen und Nöten mit Mitteln begegnen, die uns Menschen zur Verfügung stehen. Man hofft auf neue Strukturen, auf Hilfen aus Psychologie und Soziologie, auf neue Organisationsformen. Ich glaube nicht, dass dies uns zum Durchbruch und zu einer inneren Reform verhilft. Ich bin vielmehr davon überzeugt, dass nur eine neue Hinwendung zum lebendigen Gott, dem wir in der Feier des Gottesdienstes begegnen, Hilfe bringen kann. In seinem Licht gilt es, die Wahrheit zu sehen: Die Wahrheit, dass wir Sünder sind, aber dennoch unendlich geliebt werden; die Wahrheit, dass der Mitmensch zusammen mit mir erlöster Mitchrist ist, mit dem ich die Freuden des Himmels teilen soll; die Wahrheit, dass gerade im Gottesdienst die Schöpfung zu ihrer höchsten Würde und Schönheit gelangt.

Sorgen wir für einen würdigen und ergreifenden Gottesdienst. Dann werden wir aus dem Geist der Liturgie heraus davor bewahrt werden, einander Böses zu tun. Dann werden wir den Schatz unseres Glaubens befreiend erfahren. Und aus der Begeisterung für den Gottesdienst heraus werden auch wieder mehr junge Männer sich auf den Weg zum Priestertum machen, junge Frauen sich für den Dienst Gottes in einer Ordensgemeinschaft entscheiden.

Dies gewähre uns der dreifaltige Gott: der +Vater und der +Sohn und der +Hl. Geist.

Ihr

Heinz-Josef Algermissen

Bischof von Fulda

Fulda, Aschermittwoch 2011

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