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Das Gleichgewicht ist weg
20.09.09

Das Gleichgewicht ist weg

300 Gäste beim Kolpingforum in Fulda zum Generationenvertrag – Kurt Biedenkopf ist Gast

Auf dem Podium im Fuldaer Kolpinghaus: Nadine Mersch, Michael Schwab, Kurt Biedenkopf und Walter Arnold (von links). Foto: Andreas Ungermann

Fulda (ez). Seit 30 Jahren wird das Problem „Generationengerechtigkeit“ vertagt, beklagt Kurt Biedenkopf. „Die Kosten wachsen mit der verlorenen Zeit!“ Etwa 300 Teilnehmer kamen zum Kolpingforum „Nach uns die Sintflut?“. Drei Experten diskutierten im Fuldaer Kolpinghaus.

Neben Biedenkopf, ehemaliger Ministerpräsident von Sachsen und Autor des Buches „Die Ausbeutung der Enkel“, nimmt an der Veranstaltung auch Nadine Mersch teil, Referentin für Jugendpolitik bei der Berliner Bundesstelle des BDKJ (Bund der Deutschen Katholischen Jugend). Verhindert ist Norbert Kartmann, Präsident des Hessischen Landtags. Für ihn springt das Fuldaer Landtagsmitglied Dr. Walter Arnold (CDU) ein. Die Moderation liegt bei Michael Schwab, Leiter der Magistratspressestelle Fulda.

Flicker: Riesige Lasten für folgende Generationen

„Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht!“ beschreibt Kolping- Diözesanvorsitzender Steffen Flicker eine Haltung, die nicht weiterführe. „Riesige Lasten für nachfolgende Generationen: Mit welchem Recht muten wir ihnen das zu?“ Fuldas Oberbürgermeister Gerhard Möller grüßt die Gäste und lobt, dass Kolping über das „vielleicht wichtigste Thema“ diskutiert.

Keine Zukunftsfrage, sondern längst Gegenwartsfrage ist laut Professor Biedenkopf die Finanzierung der Renten. Der 79-Jährige führt in das Thema ein mit einer Parabel, die im weiteren Verlauf der Diskussion als anschauliches Modell dient. Ein Bauer trägt drei Brote nach Hause: eins für die Eltern, eins für sich und seine Frau, eins für die Kinder. Einem Wanderer erklärt der Bauer, er hoffe, im Alter von den Kindern sein Brot genauso zu erhalten.

In Wirklichkeit heiße dieses Modell „Generationenvertrag“: die Aktiven sorgten für die Alten und die Jungen, so Biedenkopf. Doch erstmals in der Menschheitsgeschichte seien die Alten viel zahlreicher als die Jungen. Der Bauer aus der Geschichte kann nur noch zwei Brote backen, ein immer größeres für die Alten und ein gleich großes für seine eigene Generation. Biedenkopf: „Für die Kinder ist nichts mehr übrig!“ Und wenn der Bauer im Alter das Brot, das er einmal den Eltern gab, von seinem eigenen Nachwuchs erwarte, sei auch für ihn nichts mehr da. „Das Gleichgewicht ist weg.“ Selbst wenn die Alten, zahlenmäßig mächtig, „beschließen, dass die Jungen das leisten müssen, wird es nicht funktionieren, weil die Enkel das nicht schaffen.“

Nadine Mersch greift das Bild auf: „Den dritten Teil des Brotes soll der Staat finanzieren.“ Aber darauf könne sich die junge Generation nicht verlassen. Im Gegensatz zur einstigen Aufschwunggesellschaft, wo jeder seinen Beitrag sah und gerne leistete, gebe es heute zu viele Veränderungen. „Es ist unfassbar anstrengend, junge Leute kommen überhaupt nicht langfristig ins Leben hinein, um etwas leisten zu können.“

Als „höchst besorgniserregende Sache“ betrachtet Walter Arnold die Staatsverschuldung. Die Schuldenbremse greife bald, der Staat könne nicht alles richten. Arnold erklärt: „Die Rentenfrage braucht neue Ideen.“ Bisherige Verbindungen müssten entkoppelt, die Belastung auf mehrere Schultern verteilt werden.

Die Überlegungen zu einem Kolping-Rentenmodell (siehe „Stichwort“) kommentiert Biedenkopf mit „auf dem richtigen Weg, aber noch nicht fertig“. Eine Sockelrente müsse sich aus Steuereinnahmen finanzieren. Biedenkopf empfiehlt das Prinzip Subsidiarität, bekannt aus der katholischen Soziallehre: „Verantwortung für das tragen, was ich aus eigener Kraft kann.“ Seine Idee: „Auf kommunaler Ebene kleine Netzwerke bilden, in denen Menschen sich die Zuständigkeiten wieder holen, die sie an den Staat abgegeben haben.“

Für solche Erneuerungsprozesse müssten die Kommunen aber freie Geldmittel zur Verfügung haben. Als Beispiele nennt Professor Biedenkopf Gruppen allein erziehender Mütter, Mehrgenerationenprojekte oder Wohnformen für alte Menschen. Die Leute schließen sich zusammen und verteilen ihre Lebenshaltungskosten untereinander: „Für mehrere wird es billiger.“

Man dürfe sich nichts vormachen: „Familienpolitik wird in den nächsten 25 Jahren nichts verändern. Es gibt ein Drittel weniger junge Frauen. Selbst wenn die jetzt mehr Kinder kriegen, reicht das nicht.“

Biedenkopf: Umwälzung fordert heraus

Die „Umwälzung als Herausforderung begreifen“, das sei die einzig mögliche Lösung für die jetzige Phase. Denn wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gingen, komme es zu „dramatischen Veränderungen“ im Verhältnis zur aktiven Bevölkerung. Biedenkopfs Vorhersage: „Der Wohlstand geht zurück. Die Leistungsfähigkeit bisheriger Strukturen reicht nicht aus.“

„Die staatliche Rente allein wird es nicht mehr packen“, sagt auch Landtagsmitglied Arnold. Biedenkopfs Gedanke, dass über die Steuer alle etwas geben sollen, fi ndet er „gut“. „Der erste Schritt ist der schwerste, man muss es beginnen.“ Nadine Mersch hält es für richtig, Möglichkeiten für neues Zusammensein zu schaffen, „nicht unbedingt nur für Blutsverwandte“.

Auch die Publikumsgäste diskutieren rege mit. Wichtigster Einwand: Aus Sicht der katholischen Verbände rechne sich deren fertiges Rentenmodell sofort. Doch die Politik handele nicht. Dass die Gesellschaft nicht fi nanzieren könne, was die Familie einst geleistet habe, greift Biedenkopf im Schlusswort auf und rät dazu, auch das „Netzwerk Familie“ zu stärken.

Stichwort

Rentenmodel der Verbände

Die hohe Arbeitslosigkeit, der Rückgang sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, die Zunahme von unterbrochenen Erwerbsbiografien, die unzureichende Berücksichtigung der Erziehungsleistungen von Eltern und die Alterung der Gesellschaft stellen die sozialen Sicherungssysteme vor große Herausforderungen.

Die katholischen Verbände sagen dazu: „Unser Rentenmodell ist eine zukunftsfähige Antwort auf diese Herausforderungen.“ Ziel des Rentenmodells ist soziale Sicherheit im Alter und die Stärkung des solidarischen Ausgleichs in der Gesellschaft.

Das bedeut

  • die Stärkung des solidarischen und leistungsbezogenen Systems der gesetzlichen Rentenversicherung
  • die Verhinderung von Altersarmut durch die existenzsichernde Sockelrente
  • die eigenständige Alterssicherung für Frauen und Männer
  • die bessere Anerkennung der Erziehungsleistungen von Eltern

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