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Hirt und Herde eine Einheit
11.07.10

Hirt und Herde eine Einheit

Fuldaer Pastoraltheologe Hartmann: Gegenwart und Gesellschaft nicht gottverlassen – Interview

 

Ausgabe 28 vom 11. Juli

Professor Richard Hartmann Foto: privat

Glaubwürdigkeit in der Kirche wird es nicht mit einer „Rolle rückwärts“ geben, sondern dann, wenn die Bischöfe mit den Priestern ihren richtigen Platz als Hirten finden, schreibt Professor Richard Hartmann in einem „Kommentar zur Lage der Kirche in Deutschland“. Der Lehrstuhlinhaber für Pastoraltheologie und Homiletik an der Theologischen Fakultät Fulda ist Vorsitzender der Konferenz der deutschsprachigen katholischen Pastoraltheologinnen und -theologen.

Zu dem derzeitigen Glaubwürdigkeitsverlust der Kirche stellen Sie fest: „Hirten, die sich vor ihre Herde auf ein Podium stellen und diese bepredigen, habe ich – außer in der Kirche – nicht gesehen.“ Mit Hirten meinen Sie Bischöfe und Priester. Meine Feststellung ist: Ein Prediger sollte sich erhöht stellen, sonst wird er kaum gehört. Oder sagen Sie, die Predigten haben ausgedient, die heutigen Menschen sollten, wollen anders angesprochen werden?

Als Homiletiker und Predigtlehrer kommt es mir sehr darauf an, dass Predigt im Stil vom „homologein“ – das meint: vertraut miteinander reden – gestaltet wird. Dann muss ich auch im Monolog deutlich erkennen lassen, was die Fragen, die Bedenken und Vorbehalte der Hörerinnen und Hörer sind und wie ich sie mit auf den Weg eines Lernprozesses nehmen kann. Da helfen nicht allein Appelle und Behauptung von Richtigkeiten. Wichtig ist eine Grundhaltung des Dialogs.

Sie sagen: die Hirten sollten vor der Herde gehen, sich auch inmitten der Herde aufhalten und hinter der Herde stehen. Was bedeutet dies übersetzt in unsere Wirklichkeit?

Es ist schon spannend, dass heute etliche Hirten, Bischöfe wie Priester, objektiv nachzuweisen versuchen, wie viel Zeit sie in direkten Begegnungen aufwenden. Sie haben selber den Eindruck: So viel waren wir noch nie bei den Leuten. Zugleich hören sie die Klage: Der Bischof – oder Pfarrer ist nie da. Meine Frage ist: Wie ist diese Präsenz: Gibt es erkennbar ein Interesse, voneinander zu lernen, oder vielleicht doch eher die Haltung: „Ich weiß schon was ihr denkt, fühlt oder meint, aber ich muss dagegen sagen ...“ Manchmal wäre es wichtig, dass eine gegenseitige Solidarität auch im fragenden Schweigen besteht. Dann werden Hirten auch manchmal dem Volk nachfolgen, oder die Karte der Zeit mit anderen gemeinsam lesend an der Spitze sein, oder auch stumm, abwartend und zögerlich mitten drin im Volk Gottes.

Sind die kirchlichen Begriffe vom „Hirten“ und von der „Herde“ überhaupt noch zeitgemäß, oder sollten heute andere Bilder für die Seelsorger und das Volk Gottes verwendet werden, die besser nachvollziehbar sind?

Hier bin ich biblisch begründet konservativ. Wer anschaut, was ein Hirte tut und wie er sich verhält, kann viel lernen, was auch in der modernen Gesellschaft gilt. Er spürt, dass Hirt und Herde ganz nahe zusammengehören. Das ist eine erste wichtige Aussage. Der Altmeister der Pastoralpsychologen Hermann Stenger hat in seiner Reflexion „Im Zeichen des Hirten und des Lammes“ davon geträumt dass wir, also alle Christinnen und Christen gemeinsam, beides verkörpern: Hirte und Lamm. Und beides sind Bilder für Christus, dem wir nachfolgen.

In Ihrem Kommentar sprechen Sie von der „fetten Weide“, die genug Anreiz bietet für die Herde, die „richtigen Wege“ einzuschlagen. Was meinen Sie damit?

Ich wehre mich gegen die ewige Abwertung der Gegenwart und der Gesellschaft. Sie ist weder gottverlassen und einfach auf dem Weg zum kulturellen Abstieg. Je genauer ich – mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil – die Zeichen der Zeit lese, desto deutlicher erkenne ich Freude und Hoffnung genauso wie Trauer und Angst. Fette Weide, Ausdruck der Freude und Hoffnung für mich heute sind: Die Bereitschaft, sich für andere zu engagieren, die intensive Suche vieler nach religiöser Tiefe, die gewachsene Toleranz und Nähe zu anderen gesellschaftlichen Gruppen. Das sind nur drei Beispiele. Viele Menschen engagieren sich in guter Weise heute, und das muss gesehen werden. Da gehen uns die Ideen nicht aus. Mich ärgert, dass zu oft nur die Gefahren benannt werden und das Schlechte in den Vordergrund geschoben wird.

In Ihrem Kommentar fragen Sie: „Wofür brauchen wir Priester und wo wird die Kirche aus allen Christgläubigen getragen?“ Meine Frage an Sie: Wo ist der rechte Ort, diese Fragen zu stellen, um mögliche Antworten zu diskutieren?

Diesen Ort können wir nur miteinander finden, im Gespräch von Gemeindechristinnen und -christen, Bischöfen und theologischen Forschern: Die Aufgaben und Rollenverteilung, die vor 30 Jahren war, oder die wir heute vorfinden, ist nicht der einzige Weg: Gemeinden können lernen, dass sie nicht nur Helfer der Pfarrer sind, sondern Träger der Kirche mit ihnen. Die Pfarrer, dass sie nicht alles selber machen müssen oder alleine kontrollieren. Die Bischöfe, dass sie mit allen Seiten im Gespräch sind: Die Dienste und Ämter gibt es heute in Partizipation an der Sendung der Kirche und im Prüfen gegenseitigen Zugewinns, nicht in Macht und Über- und Unterordnung.

Werden die Anwärter auf das Amt des Priesters ausreichend vorbereitet?

Ich warne, die Zeit der Priesterausbildung zu überfrachten. Das Lernen fängt in ersten kirchlichen und gesellschaftlichen Begegnungen an und wird in allen weiteren Phasen im Miteinander vertieft. Und doch würde ich die Priesterkandidaten nicht vorrangig im geschützten Raum des Seminars ihre Spiritualität und die Konzepte ihres Arbeitens entwickeln lassen, sondern in großer Nähe „mitten unter den Menschen“.

In Ihrem Kommentar geben Sie zu bedenken, dass die „Orientierungen der kirchlichen Sexualmoral und ihre Begründungen (!) nicht mehr angenommen werden und neu buchstabiert werden müssen. Sonst wird immer ein Teil der Lebensformen abgespalten.“ Wen laden Sie zu diesem „Buchstabieren“ ein?

Ich bin froh, dass die Skandale um den Missbrauch in kirchlichen und nichtkirchlichen Einrichtungen die Diskussion zur Sexualität neu anfacht: Menschliche Sexualität kann weder im „Schwarz- Weiß“ vom Gebot und Verbot geordnet werden, noch hilft den Menschen eine Parole des „alles ist möglich“. Ich wünsche hier das genaue Durchbuchstabieren der vielen Spielarten, die auch kulturgeprägt sind durch genaue Wahrnehmung dessen, was heute Praxis ist, der Prüfung, was den Menschen dient, ihm in dieser Weise schöpfungsgemäß zukommt. Das gilt für pubertäre Sexualität genauso wie für eheliche, das gilt für Menschen die sich als homosexuell erfahren ebenso, wie für jene, die sich freiwillig dafür entscheiden, zölibatär zu leben und mit ihrer Sexualität in anderer Weise umzugehen. Null-Toleranz-Programme wie sie gerade für die Priestererziehung von Einzelnen gefordert wurden sorgen für Null-Wahrhaftigkeit. Das wissen eigentlich gerade die Priestererzieher.

Interview: Dietmar Kuschel

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