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Bei Missbrauch: Null Tolernz
11.04.10

Bei Missbrauch: Null Tolernz

Kirche und Tageszeitung veranstalten Podiumsdiskussion in Kassel: Opfer diskutiert mit

 

Ausgabe 15 vom 11. April

Diskutieren: Dr. Wunibald Müller, Generalvikar Gerhard Stanke, Moderator Dr. Tibor Pézsa, Annegret Laakmann und Stephan Hoffmann (von links). Foto: Günter Wolf

Ulrich Leinweber (am Mikrofon). Hinter ihm wartet Pfarrer Thomas Meyer, um seine Fragen stellen zu können. Foto: Günter Wolf

Kassel (gw). „Ich bin Opfer!“ bekennt Stephan Hoffmann vor 400 Menschen im Kulturbahnhof Kassel. Hoffmann war von Generalvikar Gerhard Stanke eingeladen worden, am Podium zum Thema „Sexueller Missbrauch – Verfehlung Einzelner oder Fehler im System?“ teilzunehmen.

HNA-Politik-Chef Dr. Tibor Pézsa moderiert. Eingeladen hatten zur Podiumsdiskussion die katholische Kirche in Kassel und die Hessische/ Niedersächsische Allgemeine (HNA). Die Zuhörer reden mit: Über ein Dutzend Männer und Frauen treten ans Saalmikrofon.

„Im Jahre 1976 wurde ich als Internatsschüler von einem Laienpädagogen an der Stiftsschule St. Johann in Amöneburg sexuell missbraucht. Ich nehme an dieser Veranstaltung teil, um den Opfern ein Gesicht zu geben“, sagt der in Berlin lebende Hoffmann.

Täter bittet Hoffmann um Verzeihung

Hoffmann ist Vollwaise, als er ins Internat der Amöneburger Stiftsschule kommt. „Der Täter war ein reformfreudiger Pädagoge“, beschreibt er seinen Peiniger, mit dem er vier Tage vor der Veranstaltung auf Vermittlung des Generalvikariats ein fast zweistündiges persönliches Gespräch in Fulda hatte. Der Täter bat ihn dabei um Verzeihung für seine Taten.

Zwei Jahre nach dessen Missbrauch machte Hoffmann diesen 1978 öffentlich. „Doch mir wurde damals nur teilweise geglaubt. Ich wurde eher zum Schweigen angehalten. Auch wurde ich als Nestbeschmutzer beschimpft“, erinnert er sich. Ein Jahr nach seinem Abitur sei für ihn das Thema „beerdigt“ gewesen, „aber nicht verarbeitet“. Lediglich mit Freunden und Bekannten habe er darüber sprechen können. Im Zuge der aktuellen öffentlichen Diskussion entschied er sich: „Ich muss das Ganze aufräumen!“

Hoffmann, der aus der Kirche ausgetreten ist, fand bei Generalvikar Stanke und der Bistumsbeauftragten für Verdachtsfälle von sexuellem Missbrauch, Anne Schmitz, „offene Ohren und Mithilfe“. „Sie haben mir geholfen, aus der Anonymität zu treten.“ Hoffmann will dazu beitragen, das „Opferbild zu revidieren“. Zugleich möchte er insbesondere jungen Menschen, die sich in einer vergleichbaren Situation befi nden, Mut machen, sexuellen Missbrauch aufzudecken. Es gehe darum, das Thema zu enttabuisieren. Außerdem will Hoffmann zur Vorbeugung beitragen.

Generalvikar Stanke geht auf die im Bistum bekannten Fälle ein, und auch, wie damit umgegangen werde. Für den Prälaten ist es wichtig, dass sich der Blickwinkel der Kirche verändert habe und nun das Opfer im Mittelpunkt steht, nicht der Täter oder die Institution Kirche. „Wir nehmen uns Zeit für die Opfer. Wir fordern sie auch immer auf, Strafantrag zu stellen. Außerdem übernehmen wir die Therapiekosten für die Opfer“, erläuterte er die Vorgehensweise des Bistums. Es gelte eine „strikte Null-Toleranz-Politik“.

Stellung nimmt Stanke auch zum Fall eines in Nordhessen im Ruhestand lebenden Pfarrers, der wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt wurde. Hierzu stellt Stanke heraus, dass das Bistum „immer sehr offen mit dem Fall umgegangen sei und sehr bewusst den Pfarrer dort eingesetzt hat, wo man ihn kennt, weil wir dadurch auch eine soziale Kontrolle erwartet haben“. Dass der Geistliche nach seiner Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs im Bistum Erfurt in der Seelsorge im Jugendstrafvollzug eingesetzt wurde, bezeichnet Stanke als Fehler. Der Erfurter Bischof Joachim Wanke hat in diesem Zusammenhang erklärt, dass er heute so nicht mehr entscheiden würde, sagt Stanke.

Der Generalvikar betont, das der Geistliche seit seiner Rückkehr ins Bistum Fulda „nicht mehr in der Seelsorge eingesetzt war und Messen nur noch unter strengsten Auflagen in Gemeinden feiern durfte“.

Psychotherapeut Dr. Wunibald Müller hebt hervor, dass der Zölibat der katholischen Priester nicht mitursächlich sei für sexuelle Übergriffe in der Kirche. „Vor Pädophilie schützt weder Ehe noch Zölibat“, betont der Leiter des Recollectio-Hauses der Benediktinerabtei Münsterschwarzach. Vielmehr gehe es um die Frage, so der Podiumsteilnehmer, ob Menschen die notwendige persönliche und auch sexuelle Reife besitzen, um die Lebensform des Zölibats in verantwortungsvoller Weise leben zu können. Allerdings gesteht er zu, dass verheiratete Priester eine Bereicherung für die Kirche wären. Sexualtäter seien unreife Menschen, die auf dem Entwicklungsstand von Kindern stehen geblieben seien, weswegen sie ihre Sexualität auf Kinder und Jugendliche richten.

Kein Verharmlosen, Verdrängen oder Vertuschen

In Fällen sexuellen Missbrauchs gibt es für Müller „nur ein rigoroses Vorgehen“. „Es darf kein Verharmlosen, Verdrängen oder Vertuschen geben“, fordert er. Transparenz sei dabei das Wichtigste, Missbrauchsfälle und das Thema Sexualität allgemein dürften nicht in der „Dunkelkammer der Kirche“ verborgen bleiben, auch wenn das Kleid der Kirche dadurch Schmutzflecken erhielte. Müller kritisiert jedoch auch, dass derzeit die Kirche als Sündenbock für ein gesamtgesellschaftliches Problem herhalten müsse. Als „spiritueller Mensch“ frage er sich auch, was Gott den Christen und seiner Kirche in dieser Situation sagen wolle. Für Müller befinde sich die Kirche gezwungenermaßen in einem Läuterungsprozess, der die Kirche auch zur Demut auffordere.

Über ein Dutzend Männer und Frauen ergreifen im Saal das Wort. Ulrich Leinweber will „als Vater“ wissen, wie aufmerksam Eltern ihre Kinder im Blick haben. „Haben denn die Eltern nichts bemerkt, wenn ihre Kinder sexuell missbraucht wurden?“, fragt er.

Die Diskussion schlägt einen weiten Bogen. Debattiert wird, ob der Zölibat „noch zeitgemäß ist“. Während Müller hoffnungsfroh ist, dass er die Abschaffung des Zölibats noch erleben werde, macht Stanke klar, dass ein katholischer Priester nur zölibatär leben darf. Hinweisen auf einen Verstoß gegen diese Pflicht gehe er nach.

Dechant Harald Fischer, Organisator der Veranstaltung, zieht ein positives Fazit. „Meine Erwartungen wurden übertroffen“, sagt er. Es wurden „gute Fragen gestellt, aber es wurde auch offen mit diesen Fragen umgegangen“, so sein Urteil. Die große Resonanz zeige, wie sehr die Menschen das Thema sexueller Missbrauch, aber auch andere Fragen in der Kirche beschäftige.

Fischer kann sich vorstellen, auch zu anderen in der Diskussion gestellten Fragen Podien zu veranstalten.

Die bundesweite Telefon-Nummer „Hilfe für Opfer sexuellen Missbrauchs“ ist ein Angebot der katholischen Kirche. Der Anruf ist kostenfrei. Telefon 0800 /120 1000

Hintergrund

Opfer möchten über ihre Erlebnisse reden

Die KirchenVolksBewegung „Wir sind Kirche“ hatte im Jahre 2002, als das Thema sexuelle Übergriffe aus den USA nach Deutschland „überschwappte“, ein so genanntes Not-Telefon für Missbrauchsopfer eingerichtet, so Annegret Laakmann. In den ersten acht Wochen meldeten sich über 100 Opfer, berichtet die Podiumsteilnehmerin.

Nachdem die Deutsche Bischofskonferenz im September 2002 ihre „Leitlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche“ veröffentlich hatte, gingen die Anrufe bei der KirchenVolksBewegung zurück, „doch in den vergangenen sechs Wochen haben sich 90 Opfer bei uns gemeldet“, so Laakmann.

Ihre Erfahrung sei, so Laakmann, dass die Opfer, die zum Teil jahrzehntelang ein unverarbeitetes Trauma mit sich herum trügen, jemanden suchen, mit dem sie über ihre schrecklichen Erlebnisse reden können. Auch helfe die KirchenVolksBewegung, Opfer-Täter-Gespräche zu vermitteln, wenn die Opfer dies wünschten.

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