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Jedes Kind hat Fähigkeiten
21.11.10

Jedes Kind hat Fähigkeiten

Dr. Michaela Lomb: Hochbegabte Kinder fördern – Akademieabend im Fuldaer Bonifatiushaus

 

Ausgabe 47 vom 21. November

Interessiert: Zuhörer sprechen nach dem Vortrag und der Diskussion mit Dr. Michaela Lomb (Mitte). Foto: Günter Wolf

Fulda (gw). Sind Hochbegabte lernbehindert? Wer die Unesco-Richtlinien und auch die in Deutschland geltenden Schulgesetze liest, könnte diesen Eindruck gewinnen.

„Hochbegabte sind Menschen mit besonderen Fähigkeiten“, machte die 36-jährige Gymnasiallehrerin Dr. Michaela Lomb aus Mannheim in der Reihe „Kinderrechte in Deutschland“ deutlich. „Hochbegabte Kinder haben ein Recht auf adäquate Förderung und Ausbildung.“ Dass Deutschland, trotz seiner Hochindustrialisierung und der vorbildlichen Demokratie Nachholbedarf bei der Förderung hochbegabter Kinder hat, wurde von der gebürtigen Fuldaerin Lomb, die im Stadtteil Neuenberg aufwuchs, vor Augen geführt.

Vor den Zuhörern im Grünen Saal des Bildungshauses – neben Fachleuten auch viele junge Leute, die den Erzieherberuf erlernen – sagte die promovierte Kirchenrechtlerin: „In Deutschland wird nach dem Bericht der Unesco-Kommission nur 18 Prozent der lernbehinderten Kinder ein ihnen adäquater Unterricht angeboten.“ Dieser Zahl stehe gegenüber, dass etwa zwei Prozent einer Schülergeneration als Hochbegabte gelten, die ebenso Gefahr laufen, nicht gemäß ihrer Anlagen und Fähigkeiten gefördert zu werden.

Hochbegabte können Defizite beim Lernen haben

Die vielfach von Kritikern beschworene „Bildungswüste Deutschland“ scheint also nicht nur bei der Beschulung „normaler“ Kinder ein Defizit zu haben, sondern insbesondere auch für die Kinder, die aufgrund von Lernbehinderungen, aber auch ihrer Hochbegabung, besondere Angebote benötigen. Denn, so Lomb: „Die Unesco, aber auch die nationalen Schulgesetze nennen Lernbehinderte und Hochbegabte oft in einem Atemzug beziehungsweise Sinnzusammenhang.“ Hochbegabte können oft Defizite beim Lernen oder in der Motorik oder im sozialen Verhalten haben, die einer Behinderung entsprechen, so Lomb.Sie ist auch eine der Geschäftsführerinnen der Jugendakademie Mannheim Rhein-Neckar-Dreieck (Stiftung Begabtenförderung der Stadt Mannheim).

Wie schwierig es ist, im Schul- oder gar im Kindergartenalltag Hochbegabung zu erkennen, machte Lomb deutlich. Sie stellte vor, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, die (Hoch)Begabung von Kindern zu ermitteln – allerdings nach unterschiedlichen Maßstäben. Fazit: „Es gibt kein allgemeingültiges System, denn in der Regel werden solche Schemata von nicht Hochbegabten nach deren Vorstellungen von Hochbegabung entwickelt.“ Hilfreich sei es aber auch nicht, ein solches System von Hochbegabten entwickeln zu lassen, da sie auch nur in ihren Grenzen denken, so Lomb.

Auf unterforderte Schüler achten

Ein Dilemma? „Keineswegs“, meinte Lomb. „Die Förderung von Schülern mit besonderen Begabungen und Bedürfnissen ist eine Aufgabe aller Schularten, nicht von Elite- oder Spezialschulen.“ Schulformübergreifende Zusammenarbeit sei zu empfehlen. Außerdem müsse darauf geachtet werden, ob Kinder unterfordert seien. Hier biete sich für Hochbegabte die Möglichkeit, Schulklassen zu überspringen, um ihren geistigen und kreativen Fähigkeiten gerecht zu werden. Sonst bestehe die Gefahr, dass Kinder zu „Minderleistern“ (Underachiever) werden, die weit hinter ihren Möglichkeiten blieben.

Warum setzt sich Dr. Michaela Lomb leidenschaftlich für die Förderung von hochbegabten Kindern, aber auch von „normalen“ Schülern ein? An dem Mannheimer Lessing-Gymnasium, wo sie Latein und Religion unterrichtet, sind 80 Prozent der Schüler normal begabt. „In den Klassen mit den normal begabten Kindern gibt es keinen Unterschied in der Motivation und in den Anstrengungen zu lehren gegenüber der Klasse, in der die Hochbegabten unterrichtet werden“, sagte sie. Der Grund liegt auch in ihrer christlichen Überzeugung: „Ich interessiere mich für Kinder und deren Begabungen. Jedes Kind hat eine Begabung. Die zu fördern und zur Geltung zu bringen, ist Teil unseres christlichen Grundverständnisses und Menschbildes.“ Daher verdienen alle Kinder den gleichen, ungeschmälerten Einsatz ihrer Lehrer, so Lomb.

Der Pädagoge habe den Auftrag, „das Kind richtig zu erfassen und nicht einfach in die selbst empfundene normale Ecke zu drücken“, sagte Lomb. „Sowohl in den Familien, aber auch in der Schule und an der Universität geht es nicht darum, die Kinder schnellstmöglich mit überfliegenden Ergebnissen durchzupeitschen, sondern ihre Fähigkeiten so zu entwickeln und zu befördern, dass sie den Kindern, aber auch der Allgemeinheit dienen“, betonte die Referentin.

Nicht fachspezifische Eliten züchten

Dass dieses Ziel nicht an bestimmten Internaten, sondern besser in „normalen“ Schulen „inklusiv“, also im gemeinschaftlichen Lernen von hochbegabten und normal begabten Kindern, erreicht wird, ist Lomb überzeugt. „Es geht nicht darum, fachspezifische Eliten zu züchten“, sagte sie. Zudem sind Hochbegabte oftmals nur in sehr eingeschränktem Umfang mit ihrer besonderen Fähigkeit ausgestattet, die in anderen Bereichen, wegen Unterforderung oder Desinteresse, nicht zur Entfaltung kommen. „Insofern kann es sein, dass Hochbegabte über Lernbehinderungen verfügen“, sagte sie. Gleichwohl machten hochbegabte Jugendliche bereits mit 14 Jahren Abitur oder seien in der Schulzeit an Hochschulen eingeschrieben oder sogar bei wissenschaftlichen Projekten mit dabei.

Sollten Kinder bereits im Kindergarten auf ihre mögliche Hochbegabung getestet werden? Dr. Michaela Lomb lehnt dies ab. „Das ist zu früh, denn gerade in dieser Phase befindet sich die kognitive Entwicklung im Fluss und erlaubt keine gesicherten Festlegungen.“

Zur Sache

Kinderrechte

Studienrätin Dr. Michaela Lomb hielt ihren Vortrag in der Abendakademiereihe „Kinderrechte in Deutschland“. Sie ist ein gemeinsames Projekt des Bonifatiushauses und der lebensbegleitenden Lerninitiative Hessencampus Fulda, einem Zusammenschluss regionaler Bildungsträger in Osthessen. Geleitet wurde die Veranstaltung vom Direktor des Bonifatiushauses, Gunter Geiger.

Termine der nächsten Vorträge:

  • Mittwoch, 1. Dezember: „Eine unendliche Geschichte ... – Die Rechte von Flüchtlingskindern in Deutschland“ mit Heiko Kauffmann, Pro Asyl Frankfurt
  • Mittwoch, 9. Februar 2011: „Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung – zur Anerkennung der Menschenrechte in Bildungsprozessen“ mit Professor Andrea Platte, Hochschule Fulda
  • Mittwoch, 16. Februar 2011: „Arm, krank und sozial isoliert – Warum die Gesundheitsförderung von benachteiligten Kindern sozial gerecht und ökonomisch vernünftig ist“ mit Professor Uta Meier-Gräwe, Universität Gießen

Internet: www.bonifatiushaus.de
www.hessencampus-fulda.de
www.jugendakademie-mannheim.de

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