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Sind auf Behinderte angewiesen
23.01.11

Sind auf Behinderte angewiesen

Bischof Algermissen spricht mit Bewohnern des Antoniusheims – „Wer ist normal?“

Erhellend: Bischof Algermissen im Gespräch mit einem Jungen aus dem Antoniusheim. Links ist der Geschäftsführer der Fuldaer Behinderteneinrichtung, Rainer Sippel. Foto: Hans-Joachim Stoehr

Fulda (st). „Einige von euch kenne ich schon von meinen Besuchen.“ Behinderte Menschen aus dem Antoniusheim sowie deren Eltern traf Bischof Heinz Josef Algermissen zu einem Gespräch im Speisesaal des Fuldaer Priesterseminars.

Rahel freut sich über die Begegnung mit dem Bischof. Das Mädchen mit Down-Syndrom, das in die Schule des Antoniusheims geht, hört dem Bischof zu. Dann umarmt sie ihn. Die Freude steckt an. Dr. Wolfram Geiger, der ehrenamtlich in der Stiftung der Einrichtung mitarbeitet, sagt dazu: „Ich bekomme im Antoniusheim viel mehr zurück als ich gebe.“ Was er damit meint, wird deutlich, als ein Bewohner des Antoniusheims schildert, was er in einem Stadtbus erlebt hat. „Eine ältere Frau mit Krücken stieg in den Bus und bat einen Jugendlichen, aufzustehen und sie auf dem Platz sitzen zu lassen. Der junge Mann rührte sich nicht. Da habe ich der Frau meinen Platz angeboten.“

„Wer ist normal?“ An diese Frage eines Mitbruders aus seiner Kaplanszeit in Bielefeld erinnerte Bischof Algermissen. Zur Pfarrei gehörten auch der Stadtteil Bethel mit den Einrichtungen, die von Friedrich von Bodelschwingh für kranke und behinderte Menschen gegründet worden waren. „Die Normalen leben hier oben in Bethel, nicht unten in der Stadt“, sagte der Geistliche damals zu Algermissen. Der Bischof ist überzeugt: „Wir vermeintlich Unbehinderten sind auf die Behinderten angewiesen, um die eigenen Grenzen zu entdecken und dazu zu stehen.“ Je mehr jemand mit seinen eigenen Behinderungen und Einschränkungen fertig werde, desto mehr werde er auch ein Gespür für den Umgang mit behinderten Menschen gewinnen.

Nicht über, sondern mit Betroffenen sprechen

„Das Treffen heute ist ein Experiment“, betonte der Bischof bei der Begrüßung im Priesterseminar. Es gehe darum, das Thema „behinderte Menschen“ nicht in der Theorie zu erörtern. Vielmehr sollte mit betroffenen Menschen über die Sorgen und Freuden gesprochen werden. Eine von ihnen ist Jessie, die in der Bäckerei des Antoniusheims eine Ausbildung macht. An einem der Tische im Speisesaal erzählt sie von ihrem Alltag – dass sie lieber in der Backstube arbeitet als im Verkauf an der Theke des Antoniusladens.

Eltern von behinderten Kindern berichteten im Gespräch mit dem Bischof von Schwierigkeiten, die sie auch in Kirchengemeinden erleben. Etwa, dass ein behindertes Kind nicht mit den anderen Gleichaltrigen zur Erstkommunion gehen soll. „Manchmal ist es auch in Kirchengemeinden noch ein Spießrutenlauf“, sagte eine Frau. Der Bischof antwortete: „Die Gemeinden müssen erkennen, dass die behinderten Menschen dazugehören.“

Zuvor hatte Algermissen in seiner Ansprache (siehe „Hintergrund“) den evangelischen Pfarrer Ulrich Bach zitiert, der seit seinem 23. Lebensjahr an den Rollstuhl gefesselt ist: „Eine Gemeinde ohne Behinderte ist eine behinderte Gemeinde.“ Nach Gottes Willen solle sie in dieser Welt nicht nur eine Gemeinde von gesunden, glaubensstarken und belastbaren Leuten, die sich einsetzen für Arme, Schwache und Behinderte, sein, sondern vielmehr eine Gemeinschaft von Menschen, „von denen keiner ganz schwach und keiner ganz stark ist, keiner nur behindert und keiner ganz unbehindert“. Wo ein Geist der Gemeinschaft und Solidarität herrsche und einer dem anderen beistehe, da lernten Eltern, auch ein behindertes Kind anzunehmen.

Behinderte Menschen bereichern die Familien

Eine Frau sagte, wenn sie bei der Schwangerschaft erfahren hätte, dass ihr Kind behindert sein wird, hätte sie es abgetrieben. Sie berichtete, ihr Bruder sei behindert gewesen und damals oft versteckt worden. Heute sehe sie dies allerdings völlig anders. Ein Vater fügt hinzu: „Es ist schade, dass in unserer Gesellschaft so wenig über die Bereicherung gesprochen, die behinderte Menschen etwa für ihre Familien darstellen – bei allen Schwierigkeiten, die es auch gibt.“

Hintergrund

Jedes Kind ein Original und keine Kopie der Eltern

„Wer ein Kind mit seinen Behinderungen annimmt, ist weder blind noch blauäugig – er sieht es vielmehr ganz einfach mit den Augen Gottes an“, betont der Bischof in seiner Ansprache beim Treffen mit Bewohnern und Verantwortlichen des Fuldaer Antoniusheims. Der Mensch verdanke sein Dasein nicht allein dem Willen seiner Eltern oder einer Laune der Natur. Er sei Kind Gottes. „Vor all seinen Fähigkeiten und Behinderungen ist er von Gott bereits angenommen und durch Jesus Christus erlöst.“ Darin gründe seine unveräußerliche Würde.

„Alles steht auf dem Spiel, wenn es um das Leben geht, erst recht, wenn es an das Leben geht“, mahnte der Bischof mit Blick auf das beliebige Eingreifen des Menschen in Fortpfl anzungsprozesse. Es komme dann so weit, dass Eltern glaubten, ihre Kinder „erschaffen“ zu müssen nach ihrem eigenen Bild, sozusagen als Spiegelbild ihrer Wünsche und Träume. Ebenbild Gottes zu sein heiße dagegen, „in Freiheit ein Original zu sein und keine Kopie der Eltern“.

Die Methoden der vorgeburtlichen Früherkennung Präimplantationsdiagnostik (PID) und Pränataldiagnostik (PND) bezeichnete Algermissen als „eine zweischneidige Sache“. „Diagnostik ist eigentlich eine Voraussetzung für Therapie, also Heilung, aber im Falle der Fruchtwasseruntersuchung (PND) und der Untersuchung bei künstlicher Befruchtung entstandener Embryonen (PID) führt sie oft zum Tode, da menschliches Leben abgetrieben und getötet wird.“ Die Selektion von Kindern, die leben dürfen, und denen, die nicht leben dürfen, sei eine Tragödie.

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